die taz vor 13 jahren: dorothee winden über osteuropas rosarote revolution:
„Homosexuelle sind überall“. „Wir sind unter euch – lesbische Frauen“ und „Wir sind stolz, homosexuell zu sein“, hieß es in Slowakisch und Englisch auf den Transparenten. Zum ersten Mal demonstrierten Schwule und Lesben am vergangenen Samstag in der slowakischen Hauptstadt, mit Transparenten aus Papierbahnen und noch zaghaften Sprechchören. Doch was für die westlichen TeilnehmerInnen der rund 100 DemonstrantInnen Routinesache war, hatte für viele Lesben und Schwule aus den osteuropäischen Staaten eine ganz andere Bedeutung. „Ich hatte Angst. Bis gestern habe ich noch gesagt, daß ich nicht zur Demo mitgehe, aber dann hat mich die Stimmung auf der Konferenz mitgerissen. Das war meine ganz private ‚samtene Revolution‘ “, sagt Miro Koller von der örtlichen Lesben- und Schwulengruppe Ganymedes.
Zu ihrer 6. Osteuropa-Konferenz hatte der Internationale Lesben- und Schwulenverband (ILGA) vom 1. bis 3. Mai in Bratislava eingeladen. Mit 110 TeilnehmerInnen aus Rußland, Litauen, Lettland, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Serbien und Polen war es zugleich die bisher größte Osteuropa-Konferenz des Verbandes.
Mit Ausnahme von Litauen und Rumänien gibt es mittlerweile in allen osteuropäischen Staaten Lesben- und Schwulenorganisationen. Nach 40 Jahren des Totschweigens ist es nun leichter geworden, Homosexualität zum Thema zu machen. Die Gruppen haben überall großen Zulauf, auch das Selbstbewußtsein der Lesben und Schwulen ist gewachsen.
Dennoch betrachten weite Teile der Bevölkerung Homosexualität nach wie vor als Krankheit. Entsprechend schwierig ist es für Lesben und Schwule, ein positives Selbstbild zu entwickeln.
Krassi Spassov von der bulgarischen Lesben- und Schwulenorganisation Bulga ist enttäuscht von den praktischen Ergebnissen der Konferenz. „Ich gehe mit leeren Händen nach Bulgarien zurück, es ist nur geredet worden.“ Was nicht ganz stimmt, denn neben einigen kleineren Projekten wurde beispielsweise vereinbart, eine Safer-Sex- Broschüre für Schwule zu entwerfen, die in sämtliche osteuropäischen Sprachen übersetzt werden soll. Gelder für den Druck sollen in westlichen Ländern aufgetrieben werden. Aber in einem hat Spassov recht: das ist noch viel zuwenig. (taz, 6. 5. 1992)
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