kritisch gesehen: „epic fail“ am jungen schauspielhaus in hamburg: An der Zukunftsangst gescheitert
Acht Schauspiellaien, 14 bis 20 Jahre, schweigen in freundlicher Neugier fragend ins Publikum, mischen individuell im Ausdruck ein bisschen Grummeligkeit, Coolness oder Ratlosigkeit hinzu und gehen wieder ab. Erst nach dieser stummen Vorstellung des wunderbar diversen Ensembles platzen dann die Worte hervor, prima angeleitet fürs „Epic Fail“-Erzähltheater am Jungen Schauspielhaus Hamburg vom Regieduo Yeşim Nela Keim Schaub und Lisa Pottstock. „Ich falle durch den leeren Raum“, sagt einer, die Zukunft sei ungewiss, „dieses Ungeheuer wächst und wächst“, „bricht über uns herein“, ja, „wie soll ich etwas wagen?“
Statt sich brav ins Morgen hinein zu entwerfen, erstarren die Jugendlichen wie das sprichwörtliche Kaninchen vor der Schlange. Zukunftsangst. Gefolgt von einer Identifikation mit der Seherin Kassandra, die ja mit dem Fluch belegt ist, dass ihre Blicke in die Zukunft niemals ernst genommen werden. Sie kann also nichts bewirken, verändern in ihrer Welt: Troja – das all den Warnungen zum Trotz dann auch zugrunde geht. Zu diesen Ausführungen schmeißt das Ensemble die Nebelmaschinen an, erkennt frei nach Christa Wolfs „Kassandra“-Monolog aber klarsichtig in der tragischen Heldin den zeitlosen Kampf, sich in einem patriarchalen System als Frau Gehör zu verschaffen.
Lieber nicht sprechen
Da wir jetzt schon mitten in der „Griechennovela“ sind, wird im Schnelldurchlauf auch noch der Gründungsmythos der europäischen Zivilisation skizziert: vom Chaos zu Gaia und all den Mackergöttern. Gesungen werden dazu traurige Lieder und als einer fragt: „Es gibt doch Hoffnung?“, rücken alle von ihm ab. Denn einig sind sie, dass sich in der Gegenwart das olympische Männlichkeitsgetue fortsetzt mit all den Kriegen, Vergewaltigungen und brutalen Machtspielen. Das müsse aufhören!
Zur Bestärkung dieser Forderung reißen alle die Vorhänge herunter, die den Spielraum begrenzen und von den Blitzgewittern des Gottvaters Zeus geziert sind. Die Jugendlichen betonen, nicht verflucht zu sein. Sie könnten also alles sagen, und hier im Theater würde man ihnen auch zuhören und glauben. Ja, verdammt noch mal, sie wollen gehört werden und Einfluss nehmen. Aber sie stehen nur ratlos herum und sagen: „Öffentliches Sprechen, wie soll das gehen?“ Also lieber noch ein Lied singen.
Von diesem angestauten Tatendrang zu künden, dieser Hilflosigkeit, sich einzubringen in die Gegenwart, also erwachsen zu werden, ist leidenschaftliches Anliegen der Protagonist:innen. Ihr Epic Fail. Wollen, aber nicht können. Nicht wissen wie. Oder gepeinigt von der Angst vorm Fehlermachen, vorm Versagen, sind Misserfolge in unserer Leistungsgesellschaft doch geächtet, so dass Niederlagen das Selbstwertgefühl demolieren.
Leider sprechen die Jugendlichen aber nicht nur in ihrer Sprache. Die Textcollage klingt häufig wie ein Mix der gelb markierten Sentenzen aus einem Reader zum Thema. Das Ganze ergibt kein Stück, um sich mit der behaupteten Zukunftsangst auch auseinanderzusetzen. Um Handeln zu ermöglichen. Work in Progress. So wie Schriftsteller Samuel Beckett einmal formulierte: „Immer versucht. Immer gescheitert. Einerlei. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.“ Jens Fischer
„Epic Fail“ (ab 13 Jahren): heute, 19 Uhr, Hamburg, Große Bühne Wiesendamm; weitere Aufführungen: 22. 2., 23. 2., 8. 3.
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