Die Wahrheit: Kein Kanzler bei Flutopfer Mümmel

Trotz harter Öffentlichkeitsarbeit gehen Orte am Rande des Hochwassers in der Medienflut unter. Ein Deichbericht von exotischen Destinationen.

Zum Trockenen aufgehängte Gummistiefel

Stumme Zeugen der Flut: Gummistiefel Foto: Paul Langrock/zenit

„Das nächste Mal schaffen wir es bestimmt“, gibt sich Ortsvorsteher Steffen Schriefel zuversichtlich. So energisch, wie es der kniehohe Pegel der Schorla im historischen Ortskern von Klöbau in der Göbener Börde zulässt, schreitet der parteilose Bürgermeister in Gummistiefeln durch seine überflutete Gemeinde. Hier nimmt er einen Sandsack von einem Wall, dort löst er eine Türdichtung oder ein Schalbrett, das vor ein Parterrefenster genagelt wurde, aber viel ausrichten kann der parteilose Lokalpolitiker nicht. Der Schaden bleibt einfach zu gering für die Abendnachrichten. Eher lustlos stochert ein Lokalreporter aus der Kreisstadt in der trüben Brühe. „Menschen sind nicht zu Schaden gekommen“, notiert der Berichterstatter ernüchtert.

Doch Schriefel ist ein Macher, ein Pragmatiker, der sich nicht so leicht unterkriegen lässt. Auf die Schnelle zieht der Medienprofi für die Presse das Flutopfer Mümmel samt Exklusiv-Interview mit der schwer traumatisierten Halterin aus dem Hut. „Ich bin schwer traumatisiert“, bekennt Kristina (7) unter Tränen, allerdings ist ihr Kaninchen bloß sehr nass geworden. „Vielleicht holt es sich noch Kaninchenschnupfen“, hofft Optimist Schriefel auf ein emotionales Finale.

Doch als der Blick des Bürgermeisters auf den kaum abgesackten Turm der Pfarrkirche fällt, gefriert sogar sein dynamisches Lächeln. „Nach meinen Berechnungen dürfte das Scheißding gar nicht mehr stehen“, murmelt er und stampft wütend in den aufgeweichten Morast. „Das Video vom Einsturz wäre viral gegangen“, vermutet der Bürgermeister.

Das Hochwasser ist Schriefels Projekt, sein Baby. Jahrelang hat er bei Landes- und Bundesbehörden antichambriert, um Schutzmaßnahmen wie Deiche und Rückhaltebecken zu schleifen. Mit dem eigenen Tiefbauunternehmen hat Schriefel die Schorla in ein Betonbett gezwängt und die Flussauen zu Parkplätzen versiegelt, bis jedem Klöbauer eine Stellfläche für 15,3 Pkw zur Verfügung stand.

Reporter in Gummistiefeln

Doch am Ende hat es wieder nicht gereicht, obwohl das wackere Flüsschen die Samtgemeinde wunschgemäß unter Wasser gesetzt hat. Die Gummistiefelreporter der großen TV-Sender haben ihre alarmierten Aufsager woanders in die Mikrofone gesprochen. „Wir waren so nah dran!“, barmt Schriefel. „Beinahe wäre der Kanzler-Heli bei uns gelandet!“

Aber dann hat sich Bundeskanzler Olaf Scholz doch lieber nebenan beim Hochwasser in Oberröblingen an der Helme filmen lassen. In Pöbla an der Schimpfe machte wenigstens Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff seine Aufwartung, um mit einer begeisterten Bevölkerung Beleidigungen auszutauschen.

Doch gewann in dieser Hochwassersaison vor allem die niedersächsische Provinz an Aufmerksamkeit, die bislang zu den lebensfeindlichsten und unbesuchtesten Landschaften weltweit gehörte. Nur durch ihren zeitweiligen Untergang konnten

wie Rinteln, Dingsbums am Rübenberge oder Hodenhagen einem Publikum außerhalb des norddeutschen Grünkohldschungels bekannt werden. Sogar die Existenz eines legendären niedersächsischen Atlantis namens „Schwülper an der Schunter“ wurde von der Landesregierung erstmals eingeräumt, auch wenn der Ortsname die Grenzen von Glaubwürdigkeit und sprachlichem Anstand weit überschreitet.

Beinahe flächendeckend lief das Flächenland in der unansehnlichen norddeutschen Tiefebene voll, aus der Hannover nun wie ein besonders misslungenes Atoll brutalistischer Bauart ragt. Zwischen Harz und Ems ist Deutschlands größter Pop-up-Binnensee entstanden, der schon jetzt für zahlreiche Freizeitbetätigungen wie Sandsackhüpfen oder Kiten benutzt wird. Später sollen in der menschenleeren Flachwasserwüste Atombomben getestet werden.

„Davon kann unsereins nur träumen“, gibt Ortsvorsteher Steffen Schriefel zu, dessen Heimat ebenfalls ohne Sehenswürdigkeiten auskommen muss, sieht man vom Museum zur Geschichte der Schweinebesamung in der DDR und der dritthöchsten Kalihalde des Landkreises ab. Doch der ambitionierte Bürgermeister will es im nächsten Jahr wieder versuchen.

Schon im Februar soll der Spatenstich für einen Thyra-Schorla-Kanal erfolgen, der dem Südharz das begehrte Hochwasser abgraben und es nach Klöbau umleiten soll. Die Mittel für diese Infrastrukturmaßnahme sind schon bei der EU beantragt.

„In diesem Winter haben uns Aller, Leine und Oker nur ganz knapp überrundet. Im Winter davor hatte die Kyll in der Eifel die Pegel vorn, und 2021 hat die Katastrophe an der Ahr natürlich alle anderen Bemühungen überschattet. Aber wir geben nicht auf, der Klimawandel ist noch lange nicht zu Ende.“

Nester im Rampenlicht

Mit seinen ehrgeizigen Flutplänen für die Göbener Börde steht Schriefel nicht alleine. Viele Lokalpolitiker aus strukturschwachen Gegenden setzen auf das Winterhochwasser, um ihre gottverlassenen Nester wenigstens ein einziges Mal im Rampenlicht der Medien zu sehen. Es ist ihre einzige Chance, denn Experten schätzen, dass 97 Prozent aller deutschen Orts- und Flurnamen überregional bloß desinteressiertes Schulterzucken auslösen, Flüsse und Gewässer kennt erst recht kein Schwein.

Im Giffelsteiner Ländchen beginnt das THW deswegen schon jetzt damit, die Flüsse Schnakel, Ränfte und Sieper zu stauen, damit die malerischen Fachwerkstädte Löpphausen, Knüchteln und Oberwreme vor laufenden Kameras geflutet werden können. In Pöttscheidt, das im Schnütgenwald am Zusammenfluss von Arft und Wuchte liegt, hat eine Bürgerinitiative die örtliche Talsperre gekauft, um die Staumauer beim höchsten Pegelstand möglichst publikumswirksam zu sprengen.

In Durlingen an der Schmalzach arbeitet man mit einem Shampoohersteller zusammen, der auf einer tiefer liegenden Retentionsfläche neben dem Fluss ein Werk betreibt – im naturgeschützten Hopfimoser Ried soll beim nächsten Hochwasser die größte Schaumparty Europas gefeiert werden.

Geschätzt wird, dass wegen Klimawandels und Sabotage in der nächsten Saison bis zu 30 Prozent der Landesfläche natürlichen oder forcierten Fluten zum Opfer fallen könnte. Doch so unangenehm die Winterhochwasser in der deutschen Provinz für die zahlreichen Betroffenen sein mögen, für ehrgeizige „Stadt-Land-Fluss“-Enthusiasten sind sie ein exzellentes Training. Allein die Kenntnis aller Schunter-Zuflüsse von Ohe bis Wabe bringt einen uneinholbaren Vorsprung.

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