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Puppenspiel am Deutschen TheaterDie Rache des Magister Frickl

Die neuen Stars am Theaterhimmel heißen Maria und Max von Trüb. Hinter ihnen stehen die Puppenspieler Nikolaus Habjan und Neville Tranter.

Neville Tranter  (l.) und Nikolaus Habjan lassen in „The Hills Are Alive“ im Deutschen Theater die Puppen tanzen Foto: Thomas Aurin

Die Klappe ganz weit aufzureißen, sperrangelweit, als ob sie mit dem nächsten Happs ein großes Stück aus der Welt beißen könnten – dazu sind die Klappmaulpuppen, mit denen Nikolaus Habjan und Neville Trenter ins Deutsche Theater gekommen sind, geradezu prädestiniert. Die schuhgroßen Unterkiefer sind ihr ausdrucksvollstes Instrument. Dass sich ihre Mimik sonst nicht verändern kann, man glaubt es kaum. Meint vielmehr zu sehen, wie Glück und Triumph, Sorgen und Angst, Hinterlist und Rachegefühle ihre Gedanken dominieren.

Der aus Australien stammende Puppenspieler Neville Tranter (geboren 1955) war der Lehrer von Nikolaus Habjan, der als Regisseur und Puppenspieler seit gut zehn Jahren Theater für Erwachsene macht, u. a. in Wien, Graz, Bayreuth und Dortmund. Beide sind mit Stücken bekannt geworden, die sich mit der faschistischen Geschichte Österreichs und ihrer langanhaltenden Verdrängung beschäftigen. Einige dieser Inszenierungen entstanden am Schauspielhaus Graz, wo Iris Laufenberg seit 2015/16 Intendantin war. Nun ist sie Intendantin am Deutschen Theater in Berlin und hat hierhin drei der Stücke mit den großmäuligen Puppen mitgebracht.

Er ist der Sohn eines Nazis

Den Anfang machte am Samstagabend „The Hills are alive“, von Habjan und Tranter zusammengespielt. Der Text stammt von Tranter, die Geschichte spielt in einer österreichischen Amtsstube, der Ausländerbehörde für Immigranten. Das alte Ehepaar Maria und Max von Trüb, das einst auf der Flucht vor den Nazis nach Amerika auswanderte, möchte nach Österreich zurück. Vor allem Maria, mit den umwerfenden Gesten einer Diva, die ihr Alter verleugnet, hofft auf eine herzliche Aufnahme, ist ihre Geschichte doch von Hollywood verfilmt worden. Doch Magister Frickl, zuständig für ihre Einbürgerungspapiere, denkt gar nicht daran. Er ist der Sohn eines Nazis, dem es einst nicht gelang, die Flucht der singenden Familie von Trüb zu verhindern. Und er will jetzt Rache.

Die Konstruktion der Geschichte bezieht sich zum einen auf ein legendäres Hollywoodmusical, „The Sound of Music“ von 1965. Es erzählte sehr rührselig die Geschichte der realen Trapp-Familie, die singend durch die Salzburger Landschaft tobt, bevor sie vor den Nazis in die USA fliehen muss. Das darin vermittelte kitschige Österreichbild ist bis heute in den USA und in der Salzburger Tourismusindustrie sehr lebendig. Auch wenn man den Musicalfilm nicht kennt, begreift man bald, dass die Puppenakteure Parodien von Hollywoodklischees sind, die mit großer Lust auskosten, was sich eben nur Klischees erlauben dürfen.

Zum anderen aber ist das Stück eine Satire auf die Politik der Stigmatisierung von Immigranten heute. Magister Frickl, äußerst empfindlich, wen ihn jemand auf seine Ähnlichkeit mit Hitler anspricht, wendet üble Tricks an, um die von Trübs als illegale Immigranten abzustempeln. Unter anderem Erpressung, Ausgraben von Fehltritten, Aufforderung zur Denunziation.

Er bellt die Souffleuse an

Eigentlich ist die Geschichte tragisch. Nicht nur wegen des Schicksals des alten, zurückgewiesenen Paares, sondern mehr noch, weil die Realität der zunehmenden Abschottung Europas gegen Migranten ja präsent im Raum steht und durch das löchrige Gewebe des Stücks scheint. Und dennoch sitzt man die meiste Zeit da und lacht.

Tranter und Habjan schaffen das auf viele Weise. Da ist der Sprachwitz: Sie spielen auf Englisch (mit deutschen Übertiteln), aber lassen den Magister Frickl zum Beispiel mit einem harten österreichischen Akzent und wütendem Suchen nach den Worten vorgehen, sich in Wiederholungen verfangen und die Souffleuse anbellen. Sie agieren mit dem Publikum, ahnen seine Reaktionen und beschimpfen es. Sie spielen die Momente des Theaters im Theater aus, wenn die eine Figur einem Höhepunkt ihrer Rolle zustrebt und ihr der von der Konkurrenz geklaut wird.

Denn die Puppen spielen nicht nur einfach eine Rolle, sondern zugleich auch das Verhältnis des Darstellers zu dieser Rolle. Very sophisticated. Auch die Unvollständigkeit des Puppenkörpers, der zum Beispiel keine Beine hat, wird gelegentlich ins Spiel geworfen. Aber trotz dieser offenen Reflexion, dass alles nur eine Illusion ist, erzeugen von Habjan und Tranter, die mit ihren Händen die Puppenmünder bewegen, mit ihren Stimmen die vielen Rollen sprechen und immer sichtbar sind. Die Illusion funktioniert.

Im Film „The sound of Music“ streichelt Julie Andrews als Maria, während sie singend über eine österreichische Weide in den Bergen streift, eine kleine Ziege. In „The Hills are alive“ hat sich das Leben des Ziegenbocks nachhaltig verändert. Er schreibt Maria ein Leben lang glühende Liebesbriefe. Dieser heimliche Verehrer macht sie glücklich. Dass er ein Ziegenbock ist, erfährt sie erst jetzt. Eine Wendung der Geschichte, die vielleicht auch dem geschuldet ist, was gerade das Puppentheater besonders gut kann: Tiere sprechen lassen.

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