Diner in Springfield: Wo die Hot Dogs selig schwofen
Mitten im Nirgendwo des US-Bundesstaats Illinois liegt ein Diner, wie aus der Zeit gefallen. Hier verzaubert nicht nur die Speisekarte.
Ein knapper Tag schon auf diesem Highway, der oft keiner Autobahn, sondern eher einer deutschen Bundesstraße gleicht, mit einigen Abschweifungen rundherum. Endlose Straßen, große Plakate auf Wiesen und an halbrunden Scheunengiebeln laden zu country fairs, die wir nicht besuchen. Es gilt voranzukommen.
Gerade haben wir das echte, in Wahrheit komplett rekonstruierte Wohnhaus Abraham Lincolns passiert, in einer Kleinstadt, die heißt wie der US-amerikanische Durchschnittsort, weshalb auch die Simpsons in einer nicht näher geografisch verorteten Version von ihr wohnen: Springfield. Einige Meilen weiter südlich, noch immer in Springfield, aber gefühlte Welten entfernt von Abraham Lincoln, zeichnet sich am pastellfarbenen Abendhimmel ein fabelhaftes Schild zweier innig zum Tanz umschlungener Hot Dogs ab. Sie gehören zum Cozy Dog Drive In.
Von außen ist es das unspektakulärste kastenförmige Gebäude der Welt, an einem commercial strip, wie es ihn zu Zehntausenden an den Ortsaus- beziehungsweise -eingängen in den USA gibt. Doch drinnen ist der Wahlspruch des Lokals – Get cozy!, also: mach es dir gemütlich – ernst zu nehmen. Das Cozy Dog Drive In gleicht nämlich einer Lokalbücherei zum Speisen oder einem Restaurant mit eingebauter Bibliothek.
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Neben den randvoll mit Büchern gefüllten Holzschränken und den archetypischen Dinertischen mit fest installierten Bänken aus ewigem Stahl und pink-türkis-lila Farbdekor finden sich Fotowände mit Besuchergruppen aus mehreren Dekaden (teils noch vom vorherigen Standort nicht weit von hier, wo das Cozy Dog Drive In 1949 gegründet wurde) und eine Verkaufsecke mit allerlei Memorabilien.
Eine Zuflucht aus Corporate America
Darunter sind handgezeichnete Postkarten, neonpinke Cozy-Dog-Streichholzbriefchen, Pappaufsteller mit den beiden schwofenden Würstchen und ein Faltblättchen mit diversen Orten entlang der Route 66, etwa ein Verkaufsstand für Imkerhonig und ein Barber Shop. Das meiste erscheint uns original, vor Jahrzehnten auf hochwertigen Papieren gedruckt und hergestellt und schon leicht angegilbt.
Wüsste man es nicht besser, es könnte sich hier auch um eine zeitgenössische Kunstausstellung vom eine Weile sehr angesagten dokumentarisch-archivarischen Typus handeln: Fotos von wildfremden Menschen, ein umfassendes Archiv und dazwischen – und hier unterscheidet es sich von den meisten Ausstellungshäusern – gutes und wirklich bezahlbares Essen: Ein Burger für 3,20 Dollar, eine Portion handgeschnittener Pommes für 3,75, Salat für 2,40 und das Signature-Gericht, den in Maismehlteig getauchten, frittierten Hot Dog am Stiel, für 2,85. Eine Angestellte mit blauen Haaren nimmt freundlich unsere Bestellung auf.
Es klingt fast unglaublich für ein Lokal jenseits der großen Ketten, nicht zu dieser Zeit gehörend (obwohl die Preise in den USA, sobald man die großen Städte verlässt, überall massiv fallen). Und auch sonst wirkt dieser Ort wie eine Unmöglichkeit, die sich nur für uns mitten im Nirgendwo von Illinois manifestiert hat.
Wir würden gerne noch viel mehr Zeit an diesem Ort verbringen, der wie eine Zuflucht aus Corporate America erscheint (allerdings mit all dessen Verheißungen und tollen Dingen, das schon). Wir haben dann noch jede Menge Postkarten mit handgezeichneten Motiven zu weniger als einem Dollar das Stück gekauft und die meisten davon behalten.
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