: Nach der Eintagseuphorie
Das Sportjahr 2024 mit sehr jugendlichen Gastgebern der Fußball-EM, dem Trans-Horst, spektakulären Olympia-Frauen, tierischem Breakdance, einem Sextuple verpasster Titel und einer taz-Klage gegen die AfD
Von Bernd Müllender
London, 3. Januar. Rekordflut bei derDarts-WM: Allein am Finaltag meldet die Polizei „180“. So viele Menschen müssen „notärztlich in den umliegenden Krankenhäusern wegen Alkohol-Abusus akutversorgt werden“ – pro Stunde. Vor halb leeren Rängen und mehrheitlich vollgekotzten Tischen in der Müllhalde Ally Pally gewinnt der Niederländer Michael van Gerwen alias maschinensucher.de.
Melbourne, 28. Januar.Tennisprofi Alexander Zverev triumphiert bei den Australian Open gegen Titelverteidiger Novak Đoković und freut sich über die zwei Millionen Euro Siegprämie: „Das gibt mir daheim etwas mehr Spielraum.“ Im Oktober 2023 hatte das Amtsgericht Tiergarten Zverev wegen häuslicher Gewalt zu 450.000 Euro Geldstrafe verurteilt.
Frankfurt, 27. März. Nach den neuen Testspielblamagen der DFB-Elf fordern Faninitiativen „zur Euphorisierung der Massen vor der Europameisterschaft neue Aufbautests gegen Gibraltar und San Marino“. DFB-Teamchef Rudi Völler lehnt ab: „Selbst wenn es die Kleinen noch gäbe, für uns wären sie Giganten.“ Derweil will Chefcoach Julian Nagelsmann „den EM-Kader grundlegend überdenken“.
Augusta, 7. April. Die neuerdings ins moderat Modernistische metastasierenden Machos des Augusta National Golf Club lassen zum schon vierten Mal leibhaftige Frauen auf ihren Prachtplatz. Lange waren People of Colour als Mitglieder und erst recht Frauen of Anything auf den Grüns tabu. Jetzt aber kommt es zum „maximum desaster“ und „negro takeover“, so erste Kommentare im feinen Alte-weiße-Männer-Klub, als mit der US-Amerikanerin Megha Ganne eine Schwarze gewinnt. Ganne jubelt über ihren Nichtpreis: „Wenigstens bekomme ich keines der hässlichen grünen Jackets umgehängt.“ Die Woche danach eilen die Kerle zu ihren Masters.
Hoffenheim, 18. Mai. Mit der 12. Meisterschaft in Folge des FC Nimmersatt durch den üblichen Last-second-Sieg sieht Aufsichtsrat Karl-Heinz Rummenigge „unser nachhaltiges Existenzrecht an der Bundesliga-Spitze“ bestätigt. Mit dem 34. Titel insgesamt habe man in Europa endlich „diese provinziellen Großmäuler vom RSC Anderlecht eingeholt“, betont das lebenslange Kleinmaul. „Und bis zu diesen Ajax-Tulpen mit ihren 36 Titeln sind es nur noch zwei lächerliche Jahre.“ Vizekusen gibt sich demütig mit dem 6. Untertitel zufrieden.
Brüssel, 19. Mai. Anderlecht holt in Belgien den 35. Landesmeistertitel.
Frankfurt, 20. Mai.Wenig überraschend nominiert Julian Nagelsmann die komplette U17-Weltmeisterelf für die EM, ergänzt nur um die gestandenen Frühroutiniers Florian Wirtz und Youssoufa Moukoko. „Ich sehe große Potenziale mit schwimmenden Dreiviertel-Zehnern, hängenden Schienenhavertzern und dynamisch abknickenden Umschaltsechsern, dazu Titelgier und viel mentale Resilienz.“
München, 14. Juni. „Die neue Nagelsmannschaft“, früher nur „Die Mannschaft“, schafft im ersten Spiel ein begeisterndes 1:0 gegen Schottland. Die Sun höhnt: „Ihr Bravehearts seid die Germans des Tages.“
Stuttgart, 23. Juni. Nach der Eintagseuphorie über die Nagelsjungschaft folgt allerdings mit zwei Niederlagen das schnelle Turnierende, „ein ehrenvoll knappes Ausscheiden“, so der Kicker. Das fachliche Blatt kündigt großherzig an, man werde „den Rest der sommermärchenmüden EM trotzdem weiterverfolgen“.
Berlin/Brilon, 14. Juli. Wie immer bleiben zum Endspiel zwei Teams übrig. Sie müssen in einem ungeeigneten Leichtathletikterrain („Olympiastadion Berlin“) antreten. „Nicht mal das kann die Versager-Ampel verhindern“, populismiert Fußballexperte Friedrich Merz (SV 1920 Brilon e. V.) in Richtung Kanzlerstadt. Den neuen Europameistern ist das egal: „Wir nehmen auch den Berlintitel. Grüße aus Anderlecht und überall sonst in Belgien.“
Düren, 27. Juli. Und schon fällt die nächste Bestmarke. Die Luzernerin Ruedina Camenzind schafft bei der WM im Kirschkernweitspucken 24,89 Meter (Große Schwarze Knorpelkirsche, prunus avinum duereniensis, drei Stunden lang abgelutscht). Beglückt teilt sie mit: „Ich liebe meine Katapultzunge.“
Paris, 2. August. Am Rande der Multisportveranstaltung aka Olympia bedauert Eisschnelllaufprinzessin und Polizeiuniformperformerin Claudia Pechstein (52, CDU, acht Teilnahmen bei Winterolympia), dass ihr neuer Sommersport Speed-Inlinern „immer noch nicht olympisch“ sei. „Neulich bin ich schon bei der EM mitgerollt. Ich kann aber warten, schließlich fühle ich noch ein paar Jahrzehnte Leistungssport in mir.“
Versailles, 8. August. Letztmalig sind beim Modernen Fünfkampf Pferde am Start. Das Springen mit Fremdrössern wird durch pferdefreien Extremhindernislauf (Survival Running) ersetzt. Anlass ist das Gertegate: Bei Olympia 2021 in Tokio hatte die Deutsche Annika Schleu ihrem lustlosen Pferd Saint Boy ausdauernd auf die Flanken gepeitscht, Trainerin Kim Raisner anfeuernd „Hau richtig drauf!“ gerufen. „Erkennbare Überforderungen von Pferd-Reiter-Kombinationen“, notierte damals der Deutsche Sportbund. Raisner ist weiter Bundestrainerin und Schleu unter Tarnnamen (Heirat) samt Gerte in Paris am Start. Saint Boy grast wettkampfbefreit in der Präfektur Shiga.
Paris, 10. August. Breaking News: Zum Multisport gehört jetzt auch Breakdance, offizielle Bezeichnung „Breaking“. Das US-Frauengoldteam tanzt sich nach dem Wettkampf bei einem spektakulären Lightshowevent in pulsierenden Formationen den Eiffelturm herunter. Unten wird nachgezählt. „Alle sind noch dabei. Hurra.“
Paris, 11. August. Alexandra Popp und Co holen Gold im Fußball mit 3:2 gegen Spanien. Spontan transt sich Trainer Horst Hrubesch: „Ich bin die glücklichste Frau der Welt.“
Wunsiedel, 12. August. „Parallel zu unserer erfolgreichen Arbeit am fremdverseuchten deutschen Volksgemüt soll jetzt auch der erschlaffte Volkskörper zu neuer Kraft erwachen“: Einen Tag nach den Fackelscheinaufmärschen zum 246. Geburtstag von Turnvater Jahn weiht AfD-Vizehauptfunktionär Friedrich Adolf Graf Wanst „in unserer Hess-Stadt die erste nationale Rundlaufanlage“ (vulgo Parcours) ein. Vom früheren „Trimm Dich“ grenzt sich die Bewegung ab durch „Stähl dich frei im Lügenland“ auf den verschenkten T-Hemden. Man werde, so Wanst, „in völkisch-nationaler Tradition die urdeutsche Kultur der Leibesübungen wiederbeleben“. Die taz klagt gegen die „widerrechtliche Aneignung des geschützten Begriffs Leibesübungen“.
Rudi Völler, DFB-Sportdirektor
M’gladbach, 16. August. Die neue Fußballsaison startet wie immer mit der Supercup-Partie Pokalsieger gegen Meister. „Wie klug unser frühes Pokal-Ausscheiden in Saarbrücken war“, analysiert Bayern-Coach Thomas Tuchel, „sonst hätten wir ja vielleicht gegen uns selbst spielen müssen.“ Das Match endet mit einem vereinsinternen Rekord: In kaum 17 Monaten hat Tuchel das Sextuple verpasster Titel geschafft, jeweils zweimal Supercup, Pokal und Champions League.
Sölden, 28. Oktober. Schneefahnder finden auf dem Rettenbach-Restgletscher erstmals kein brauchbares Eis mehr, das sie sprengen und zu Pulver mahlen könnten. Der Start in die Skisaison fällt aus. „Wir werden“, so die FIS, „alle Rennen, auf vier Wochen komprimiert, im Januar täglich starten, bei zu warmer Witterung halt nachts.“
Madrid/Paris, 31. Oktober. Jude Bellingham, „el no stoppable one“ (El País), gewinnt nach triumphalem Jahr mit zahllosen Toren und Titeln bei Real Madrid den Ballon d’Or. „Mit 21 viel zu jung dafür. Der muss doch noch reifen“, mosert Lothar Matthäus, nach dessen frängischer Expertise immer der falsche gewinnt (Vorjahr: Messi). „Und Drainerin des Jahres mussde doch Horst Hrubesch werden.“ Seine Hausbosdille Bild nennt Matthäus darauf doppelgülden „Weise Goldstimme d’Or“.
Zürich, 31. November(!). „Dä Lauf für Alli“, Zürichs Silvesterlauf, findet nach dem 10.Dezember 23 in seiner 48. Auflage nun tatsächlich im Spätnovember statt. Für spätestens 2030 kündigt die neue 1. Vorlaufende Marie-Reine Claude-Wurnsbacher „den Silvesterlauf als Mittsommerevent“ an.
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