: Der blanke Horror blüht auf einsam stiller Heide
Der Psychothriller „Haus der Stille“ ist beinahe so etwas wie eine One-Woman-Show: Simone Geißler hat das Drehbuch geschrieben, Regie geführt und sie verkörpert auch selbst die Hauptfigur. Um sich selbst zu therapieren, hat die sich in ein einsames Haus zurückgezogen. Schutz vor der unheimlichen Außenwelt bietet es indes nicht
Von Wilfried Hippen
Passiert das wirklich, was wir da sehen? Bei einen Spielfilm scheint dies eine unsinnige Frage zu sein. Natürlich hat sich all das, was uns gezeigt wird, jemand ausgedacht.
Aber es gibt im Kino auch verschiedene Realitätsebenen: Meistens wird vorausgesetzt, dass das, was wir sehen, in der fiktiven Welt der Erzählung tatsächlich geschieht. In einigen Filmen wird jedoch stattdessen das gezeigt, was im Kopf einer der Figuren abläuft. Mit dieser Unschärfe, die in Filmen wie Martin Scorseses „Shutter Island“ zu erschreckenden Verunsicherungen führen kann, spielt Simone Geißler in ihrem Psychothriller „Haus der Stille“.
Sie selbst verkörpert darin die Schriftstellerin Sorel, die nach einer Lesung in Berlin in die Lüneburger Heide reist, wo sie in einem abgelegenen Haus an ihrem neuen Buch arbeiten will, mit dem sie eigene traumatische Erfahrungen verarbeiten will. Aber sieht sie unter den Zuhörer*innen bei ihrer Lesung in einer der ersten Einstellungen wirklich den Mann, der ihr Gewalt angetan hat? Oder erleben wir hier eine ihrer Angstvisionen mit?
Und ist sie später dann tatsächlich allein in dem großen, sehr isoliert gelegenen Haus, oder ist ihr der Stalker in die norddeutsche Tiefebene gefolgt? Lauert er in der Heide?
Einige sehr kurze Einstellungen, die aus einer objektiven Perspektive gedreht wurden, scheinen dies zu belegen. Weil jenseits davon der Film fast immer aus der subjektiven Perspektive der Protagonistin aufgenommen wurde, in der wir das Gleiche sehen und erleben wie sie, wirkt es ganz so, als wäre Sorel tatsächlich in Gefahr.
Mit diesem Wechsel der Blickwinkel arbeitet Simone Geißler souverän. Auch die Filmmusik von Maxi Menot, die ständig zwischen besänftigen Melodien und einer in die Ohren kriechenden Schauermusik changiert, verstärkt diesen Kontrast. Und so ist das Haus, in dem sich der größte Teil der Handlung abspielt, alles andere als „still“ im Sinne von friedlich, denn Geißler nutzt es als einen Resonanzraum für die Ängste und die Wut ihrer Protagonistin.
Schnell wird deutlich, dass Sorel die Arbeit an ihrem Buch als eine Art Selbsttherapie versteht. Durch die will sie ihr Trauma überwinden. Und Simone Geißler zeigt eindrücklich, wie schwierig solch ein Heilungsprozess sein kann. Sorel beginnt viel zu trinken, sie igelt sich in dem Haus ein und verscheucht sogar ihre beste Freundin, die aus Berlin angereist ist, weil sie sich Sorgen um sie macht. Und das einsame Haus wird ihr – und uns – immer unheimlicher, denn sie fühlt sich sowohl von ihrem Stalker wie auch von einem einheimischen Mann verfolgt.
Leidet sie unter Albträumen oder sind diese Gefahren real? Simone Geißler gelingt es, deutlich zu machen, wie extrem solch ein Trauma einen Menschen erschüttert und wie diese Erfahrung alle Kontakte zu den Mitmenschen vergiften kann. „Nie wieder werde ich das Opfer sein!“ ist einer der Kernsätze, die Sorel in ihrem Buch schreibt – und er hat die gleiche Wirkung wie das berühmte Gewehr bei Anton Tschechow: Wenn es nun mal im ersten Akt an der Wand hängt, so muss daraus im letzten Akt geschossen werden.
Denn Simone Geißler hat den Zuschauer*innen eine Falle gestellt. Lange wiegt sie das Publikum in der vermeintlichen Sicherheit, hier einen einfühlsam inszenierten und kompetent gespielten Psychothriller anzusehen, der den Konventionen des Genres folgt und den so nur wenig von besseren Fernsehproduktionen unterscheidet. Doch dann zieht sie uns den Boden unter den Füßen weg.
Sorel nämlich wählt einen extrem radikalen Weg, um ihr Trauma zu überwinden und sich selbst zu ermächtigen. Und hier läuft Geißler zur Hochform auf – als Drehbuchschreiberin, Regisseurin und Darstellerin zugleich. Furchtlos rührt sie an Tabus und inszeniert dabei Schreckensbilder, die den Vergleich mit dem Horrorfilm „Audition“ des japanischen Filmemachers Takeshi Miike nahelegen, der unter Kritikern wie dem Briten Mark Kermode zu den „most scary movies ever seen“ zählt.
Mehr sollte hier nicht verraten werden. Gerade bei einem Film wie diesem verbietet sich das Spoilern. Aber dafür ist eine Triggerwarnung angemessen: Dieser Film ist für die Zartbesaiteten nicht geeignet. Und das ist durchaus als eine Empfehlung zu verstehen.
Kinostart: 7. 12., bundesweit
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