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Einen stabilen Rahmen, bitte

Das Engagement der Deutschen für das Gemeinwohl ist ungebrochen. Die gesellschaftliche Entwicklung hat aber in vielen Bereichen die Voraussetzungen und Strukturen stark verändert

Von Cordula Rode

Im Jahr 2019 engagieren sich 28,8 Millionen Menschen in Deutschland freiwillig – das sind 39,7 Prozent der Bevölkerung ab 14 Jahren. Diese Zahlen gehen aus dem Deutschen Freiwilligensurvey des Bundesministeriums für Familie, Frauen, Senioren und Jugend hervor. Dabei ist der Anteil von Männern und Frauen inzwischen ausgewogen, es zeigen sich aber deutliche Entwicklungen in den unterschiedlichen Altersbereichen. Besonders ausgeprägt ist der Anstieg bei den 65-Jährigen und Älteren, der zwischen 1990 und 2019 von 18 auf 31 Prozent gestiegen ist.

Insgesamt ist der Anteil freiwillig engagierter Menschen in den letzten 20 Jahren um fast 10 Prozent gestiegen. Dabei hat das klassische Ehrenamt eine deutliche Wandlung erfahren. „Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich stark verändert“, erläutert Jana Priemer. Die Politikwissenschaftlerin vom Zentrum für Zivilgesellschaftsforschung am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) beschäftigt sich seit einigen Jahren mit dieser Entwicklung.

„Das klassische Ehrenamt bekleideten die Menschen früher meist in Vereinen, bei Wohlfahrtsverbänden oder im Rettungsdienst – die Tätigkeiten erforderten neben einer gewissen Qualifikation vor allen Dingen Dauerhaftigkeit und Regelmäßigkeit“, so Priemer. Die aktuellen Lebensumstände der meisten Menschen ließen solche Tätigkeiten oft nicht mehr zu – es mangele an Zeit, und man sei auch nicht mehr so ortsgebunden wie früher. Deshalb würden sich viele Menschen flexibler und oft eher in akuten Krisen und Katastrophen engagieren: nach den Überschwemmungen im Ahrtal etwa oder in der Hilfe für Geflüchtete, Stichwort „Willkommenskultur“. Auch der eigene Alltag biete oft Möglichkeiten, sich eher punktuell einzubringen, so die Forscherin: „Ein gutes Beispiel sind die Fördervereine an Schulen – Kuchen backen für ein Fest, ein Klassenzimmer streichen – da gibt es viele Möglichkeiten.“

Während die jüngere Generation oft von dem Wunsch getrieben wird, etwas zu bewirken und zu verändern und ihr Engagement zur eigenen Weiterentwicklung und auch zum beruflichen Nachweis ihrer Qualifikation nutzt, ist die Motivation älterer Menschen oft eine Weitergabe der eigenen Lebenserfahrung. Das zeige sich besonders stark in einem aktuellen Trend, so Priemer: „Ein sehr starkes Wachstum beim freiwilligen Engagement findet sich im Bildungsbereich.“ Hier sind oft Men­to­r:in­nen und Pa­t:in­nen gefragt, die Kinder, Jugendliche, Geflüchtete unterstützen und begleiten. Und hier, so die Forscherin, würden sich besonders viele Menschen nach dem Abschluss ihres Berufslebens engagieren.

Ein Beispiel für diese Entwicklung ist der Verein „Senior­partner in School“ (SiS). Der 2001 gegründete Verein bildet in 14 Bundesländern Freiwillige als Me­dia­to­r:in­nen aus und vermittelt sie an Grundschulen. „Das Engagement in unserem Verein erfordert eine hohe Motivation und ein langfristiges Commitment“, sagt Matthias Kraemer, erster Vorsitzender des Bundesverbandes und Vorstandsvorsitzender des Landesverbandes Bayern „Am Anfang steht die umfassende Ausbildung von rund 85 Stunden, danach die Bereitschaft, einmal wöchentlich in die jeweilige Schule zu gehen.“

Die Aufgabe der Me­dia­to­r:in­nen ist es, Konflikte zwischen den Schü­le­r:in­nen aufzugreifen und mit ihnen gemeinsam eine Lösung zu finden. „Das ist eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe, die dort ansetzt, wo die Lehrkräfte einfach zeitlich überfordert sind“, so Kraemer. Die Nachfrage an den Schulen sei sehr groß, aber es sei schwieriger geworden, genügend Menschen für dieses wertvolle und ausgesprochen sinnstiftende Ehrenamt zu gewinnen. Wer aber einmal dabei sei, bliebe das auch oft lang. Verpflichtend sind anderthalb Jahre, um den Aufwand der Ausbildung aufzufangen, aber: „Die meisten bleiben fünf Jahre und länger und scheiden dann vor allem aus Altersgründen aus.“ Anders als früher seien Menschen beim Antritt ihres Ruhestandes heute oft noch sehr fit, gesund und unternehmungslustig: „Aus dem Lebensabend ist eher ein Lebensnachmittag geworden.“

Kraemer wünscht sich für die Tätigkeit des Vereins deutlich mehr Unterstützung aus der Politik: „Als Verein haben wir, bei allem Einsatz, nur begrenzte Möglichkeiten und Strukturen, erfüllen aber eine wirklich wichtige Aufgabe im Bildungsbereich, der von den Schulen dankbar angenommen und hochgeschätzt wird.“ Im Netzwerk mit weiteren Bildungsorganisationen bemüht sich SiS um mehr Sichtbarkeit bei Politikern und hofft im Zuge der anstehenden Verpflichtung des Bundes zur Ganztagsschule auf Unterstützung und Kooperation: „Ehrenamt braucht Hauptamt, um unsere Arbeit in einem stabilen strukturellen Rahmen nachhaltig zu sichern.“

Ganz ohne Staat funktioniert die Zivilgesellschaft aber nicht

Auch andere Organisationen wünschen sich mehr Unterstützung. So geraten viele kleinere Vereine und Organisationen in Personalnot, weil das klassische Ehrenamt dort immer weiter wegbricht. Größere Vereine haben eher die Möglichkeit, die ehemals ehrenamtlichen Tätigkeiten mit festem Personal aufzufangen, die kleineren bluten ohne Freiwillige oft aus. „Das ist bedenklich“, betont Priemer, „hier droht an manchen Stellen eine Aufspaltung der Zivilgesellschaft in zwei Klassen.“

Das Projekt „Zivilgesellschaft und Bildung. Bürgerschaftliches Engagement in kommunalen Bildungslandschaften“ des WZB und des Vereins „Stiftungen für Bildung“, das bis Dezember 2024 läuft und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird, will ein Mapping zivilgesellschaftlicher Akteure und ihrer Bildungsbeiträge entwickeln und die Rahmenbedingungen analysieren, unter denen diese zivilgesellschaftlichen Akteursgruppen arbeiten. Die Projektergebnisse sollen Handlungswissen für Politik und Praxis bieten, um langfristig optimale Bedingungen für all jene zu schaffen, die mit ihrem Engagement die Gesellschaft am Laufen halten.

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