Sicherheitsexzess bei Olympia in Paris: Ein Code für die Sommerspiele

Das olympische Paris wird während des Großevents mit einer dystopischen Sicherheitsarchitektur überzogen. Hat man sich daran gewöhnt?

Armierung einer Stadt: Olympische Ringe vorm Eiffelturm.

Armierung einer Stadt: olympische Ringe vorm Eiffelturm Foto: Reuters

Es gab diese Zeiten tatsächlich: Menschen reisten ohne Visum und sogar ohne Pass nach Amerika oder Indien, sie überquerten Grenzen als Menschen und nicht als verdächtige Individuen. Man muss allerdings recht weit zurückgehen, um diesen Zipfel der Geschichte zu greifen. Stefan Zweig berichtet in seiner Autobiografie von den aus heutiger Sicht unglaublichen Bewegungsfreiheiten unbescholtener Bürger.

„Man stieg ein und stieg aus, ohne zu fragen und gefragt zu werden, man hatte nicht ein einziges von den hundert Papieren auszufüllen, die heute abgefordert werden. Es gab keine Permits, keine Visen, keine Belästigungen.“ Dann kamen der Nationalismus, die Weltkriege, der Terror, „das pathologische Misstrauen aller gegen alle“, das die Welt in einen „Drahtverhau“ verwandelt habe, wie Zweig schon damals bitter konstatierte, und vorbei war’s mit der fröhlichen Reiserei quer durch die Kontinente.

Der normale Drahtverhau wird während der Olympischen Spiele in einen olympischen Drahtverhau verwandelt. Diese Metamorphose haben die Pariser Sommerspiele nun vor sich. Die Planungen zur Armierung und Abriegelung der Stadt sind weit gediehen, diverse Sicherheitsfirmen eingebunden, die Exekutive sowieso. Tausende Beamte agieren offen und „undercover“.

Prüfung der „Zuverlässigkeit“

Die Stadt, traumatisiert von diversen Anschlägen in der jüngeren Vergangenheit, erinnert sei nur an den islamistischen Terror am Rande des Länderspiels der deutschen Fußballnationalmannschaft im Stade de France, blickt vor allem bang auf die Eröffnungsfeier, die pompös mit einem Bootskorso auf der Seine neue Gefilde erobert. Die Pariser sprechen derzeit nicht nur über die heftige Verteuerung der ÖPNV-Tickets während der Spiele, sie reden auch über die strengen Kontrollen zu dieser Zeit. Anwohner des Spektakels werden sich offiziell registrieren und einen QR-Code anfordern müssen, wollen sie ihr Quartier und somit ihre Wohnung betreten.

Es dürfte obligatorisch sein, dass sie sich gleichzeitig einer, wie es im Neusprech heißt, „Zuverlässigkeitsüberprüfung“ unterziehen müssen – für Journalisten mittlerweile leider ein üblicher Vorgang, um Personen des öffentlichen Lebens auch nur nahezukommen.

Als Beobachter dieser Maßnahmen ist man hin und her gerissen. Auf der einen Seite möchte man die Überbetonung von Sicherheitsfragen beklagen und bekritteln, auf der anderen Seite bauen sich die Szenen einer potenziellen und mitnichten imaginären Gefahr auf. So sind die Zeiten nun einmal, sagen die Ordnungspolitiker und schieben eine Restriktion nach der anderen aufs Tapet.

Naturgemäß gibt es auch noch ein paar Volksvertreter, die sich entweder an die „Welt von Gestern“ erinnern oder eben notorische Oppositionsgeister sind. „Diese Maßnahmen sind das Markenzeichen eines Ausnahmezustands“, sagt der zen­tristische Abgeordnete Philippe Bonnecarrere. Und seine Kollegin Nathalie Goulet vermutet einen „Angriff auf die Freiheiten“. „Das ist empörend, noch schlimmer als das, was wir befürchtet haben“, findet der linke Abgeordnete Eric Coquerel.

Das Maulen, auch in der Bevölkerung, wird wohl bald verstummen. Man ist gewohnt an Checks und Codes, die sich im digitalen Zeitalter noch leichter etablieren lassen. Das „gläubige Träumen vom Weltbürgertum“, dem Stefan Zweig einst (naiv) anheimfiel, ist einer „erniedrigenden Quengelei“ gewichen. Und das Bezeichnendste ist wohl: Man hat sich daran gewöhnt und keine Idee davon, wie es anders sein könnte.

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