OFF-KINO: Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
Eines erscheint relativ klar: Die Fragen um die persönliche Schuld des Regisseurs Veit Harlan, die er mit Nazipropagandafilmen wie „Jud Süß“ und „Kolberg“ auf sich geladen hat, verhindern meist eine genauere Auseinandersetzung mit seinen Filmen. Doch die überwiegend düsteren Melodramen erscheinen uns auch vom ästhetischen Standpunkt heute eher fremd: mit ihren zum Teil pathetischen Figuren, den schwülstigen Gefühlsaufwallungen und einer Musik, die mit dräuenden Klavierakkorden und ahnungsvollen Chören vom kommenden Unheil kündet. Ein schärferer Blick zeigt jedoch, dass Harlans Filme tatsächlich von Gegensätzen und Widersprüchen leben: So finden etwa die überladenen Interieurs und die Szenen absoluter Künstlichkeit – wie etwa Äls’ Fiebertraum im Todeskampf in der Dreiecksgeschichte „Opfergang“ (1942/44) – ihren Widerpart in Harlans Liebe zur Natur und seinem Gespür für die Landschaft. Dieser Begeisterung für das Natürliche entsprach auch die Erotik der Hauptdarstellerin Kristina Söderbaum: sehr feminin, unverdorben, frisch und naiv. Die Außenwelt ist in „Opfergang“ für die Figuren der Ort fieberhafter Aktivitäten: Schwimmen, Reiten, Rudern, Bogenschießen. In den Innenräumen hingegen lauern Stillstand, Krankheit und Tod. Selbst die bei den Nazis so beliebte Geschichte von Pflichterfüllung und großem Opfer funktioniert hier überhaupt nicht: Wenn Albrecht (Carl Raddatz) am Ende von „Opfergang“ vorgibt, mit seiner Gattin Octavia (Irene von Meyendorff), einer kühlen Hanseatin, glücklich zu sein, dann hat der Film die lebenslustige Skandinavierin Äls (Kristina Söderbaum) mit ihrer Live-fast-die-young-Philosophie in derart glühenden Farben als die erheblich faszinierendere Frau gezeichnet, dass man es als Zuschauer besser weiß: Diese Frau wird Albrecht niemals vergessen. Propagandaminister Goebbels zeigte sich angesichts der unverhohlenen Mischung aus Erotik und Todessehnsucht übrigens ziemlich entsetzt. (2. 9. Eva-Lichtspiele)
Ein betrügerischer Geschäftsführer trachtet dem Neffen einer Warenhausbesitzerin nach dem Leben, die Marx-Brothers greifen ein. In „Die Marx Brothers im Kaufhaus“ blödeln sich die anarchischen Brüder in ihrer gewohnt impertinenten Weise durch den Kapitalismus, kurbeln dabei den Warenumsatz mit Musicalnummern an – und schäkern mit der wie immer entsetzt guckenden Margaret Dumont. (OmU, 1. 9. Freiluftkino Mitte)
Anarchie, die Zweite: Wie die Marx-Brothers erkennt auch Zazie, eine rotzfreche und etwas frühreife Göre, keine Autoritäten an. In „Zazie dans le Métro“ stürzt sie Paris ins Chaos und wirft mit Bomben, weil die U-Bahn streikt. Anspruch auf Realismus gibt es dabei keinen, absurde Einfälle brechen die innerfilmische Realität immer wieder, und die irren Zerstörungsorgien erinnern an Zeichentrickfilme. Dazu kommen filmhistorische Zitate und diverse Insiderjokes, mit denen Louis Malle die Filmsprache der frühen Nouvelle Vague gleichermaßen benutzt wie parodiert. (28.–29. 8. Filmkunst 66) LARS PENNING
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