: Berlin macht Druck auf Kiew
MENSCHENRECHTE Bundespräsident Joachim Gauck sagt eine Reise in die Ukraine ab. Bundesregierung rügt Umgang mit der Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko
VON DANIEL BAX
BERLIN taz | Bundespräsident Joachim Gauck hat eine Reise in die Ukraine abgesagt. Dort war er für Mitte Mai zu einem Treffen zentraleuropäischer Präsidenten in Jalta auf der Krim eingeladen. Dass diese Absage aus politischen Gründen erfolgte, stellte sein Sprecher klar, indem er unterstrich, Gaucks Entscheidung sei „in engem Benehmen“ mit der Bundesregierung gefallen.
Die Bundesregierung ist verärgert über Kiews Umgang mit der inhaftierten Oppositionsführerin Julia Timoschenko. Die 51-jährige Ex-Ministerpräsidentin, die sich seit Freitag im Hungerstreik befindet, hatte erklärt, sie sei in der Haft misshandelt worden. Gegen die erkrankte Politikerin, die eine siebenjährige Haftstrafe absitzt, begann letzte Woche ein neuer Prozess. Steuerhinterziehung und Betrug lauten die Vorwürfe, doch viele halten sie für politisch motiviert.
Die Bundesregierung sorgt sich um Timoschenkos Gesundheit. Außenminister Guido Westerwelle erneuerte deshalb am Mittwoch das Angebot der Bundesregierung, Timoschenko zur Behandlung nach Deutschland ausfliegen zu lassen. Dagegen aber sperrt sich die Regierung in Kiew. EU-Außenministerin Catherine Ashton forderte deshalb am Donnerstag, den Botschafter der Europäischen Union in Kiew in Begleitung von Ärzten zu der inhaftierten Ikone der „Orangenen Revolution“ vorzulassen. Der Fall Timoschenko belastet derzeit auch die Verhandlungen der Ukraine über ein Assoziierungsabkommen mit der EU.
Die sportpolitische Sprecherin der Grünen, Viola von Cramon, ist über die deutlichen Töne aus Berlin und Brüssel nicht erstaunt. Man habe seit langem an die ukrainische Seite appelliert, Timoschenko einen fairen Prozess zu gewähren. „All das scheint nicht gefruchtet zu haben“, sagte sie der taz. „Die Reaktion der Ukraine war durchweg negativ.“ Die Grüne findet die Kritik richtig: „Es geht um die demokratischen Grundwerte, die in der Ukraine durch den autokratischen Präsidenten Janukowitsch aufs Spiel gesetzt werden.“ Die Oppositionsparteien SPD und Grüne stehen in dieser Frage deshalb ganz hinter der Bundesregierung. Grünen-Chef Cem Özdemir nannte Gaucks Absage ein „sehr starkes Signal“. Und SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles forderte: „Die ukrainische Regierung darf sich einer Behandlung Timoschenkos in Deutschland nicht in den Weg stellen.“
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz, brachte zudem einen Boykott der Fußball-EM in der Ukraine im Juni durch Berliner Politiker ins Spiel. Präsident Wiktor Janukowitsch habe sicher ein Interesse daran, „dass er die Spiele auf der Ehrentribüne nicht ohne internationale Gäste aus der EU verfolgt“, sagte der CDU-Politiker. In Regierungskreisen hält man von einem solchen Boykott allerdings wenig. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) kündigte daraufhin sogar an, er werde zum Spiel Deutschland gegen die Niederlande nach Charkiw in der Ukraine fahren. „Sollte Frau Timoschenko bis dahin noch in Haft sein, möchte ich mit ihr sprechen“, sagte der Minister, der auch für den Sport zuständig ist.
Ob Gauck zur Fußball-Europameisterschaft in die Ukraine reisen will, steht noch nicht fest.
Mitarbeit: Barbara Oertel
Gesellschaft + Kultur SEITE 14
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