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Vier Wände ergebenein Leben

In ihrer Arbeit „Home Street Home“ hat die Fotografin Debora Ruppert ehemalige Obdachlose porträtiert, die es geschafft haben, wieder eine Wohnung zu finden. Die Bilder sind zur Zeit in einer Ausstellung im Bundestag zu sehen

Fotos: Debora Ruppert

Maria, 20 Jahre, BerlinMaria lebte als Kind in Heimen und bei Pflegefamilien und wurde mit 14 vom Jugendamt aufgrund großer Probleme dort herausgenommen. Es folgten verschiedene Jugendhilfeeinrichtungen. Dieses System habe für Maria nie funktioniert, weshalb Maria bewusst einen anderen Weg wählte: das Leben auf der Straße – in Leipzig, Berlin und Salzburg. Die Erfahrungen dort waren prägend. Heute macht Maria das Abitur, will Vi­deo­gra­f*in werden, engagiert sich u.a. im Bereich Queerness, Aktivismus und Sport – und fordert von der Politik mehr Räume für junge Menschen sowie eine empowernde Sozialarbeit.

Auf den ersten Blick wirken sie harmlos, diese Bilder von Menschen in ihren Wohnungen, voller scheinbar belangloser Details: ein auf dem Sofa drapiertes Kissen hier, eine Topfpflanze dort. Um die Wucht von Debora Rupperts Fotografien zu verstehen, muss man die Vorgeschichte kennen. Denn diese Menschen aus allen möglichen Ecken der Bundesrepublik haben eins gemeinsam. Bevor sie diese Wohnungen bezogen, haben sie alle auf der Straße gelebt.Die Ausstellung „Home Street Home“, die derzeit im Paul-Löbe-Haus am Bundestag zu sehen ist, erzählt mit positiven Bildern und Geschichten von einer furchtbaren Angelegenheit. Denn weil die Geborgenheit spürbar wird, die ein paar Wände ausmachen, und das Emotionale hinter ein paar im Grunde banalen Dekoartikeln, bekommt man beim Betrachten der Bilder zumindest eine kleine Ahnung vom Leben auf der Straße. Wo es all das nicht gibt.

Julia, 37 Jahre, Saarbrücken Ihre Suchterkrankung finanziert sie durch Prostitution. Von der Abhängigkeit wegzukommen, sei unglaublich schwierig, sagt Julia. Die eigene Wohnung sei ein erster Schritt. Doch genauso wichtig seien mehr Anlaufpunkte für Menschen mit Suchterkrankungen.

Gerade jetzt – mit dem Winter vor der Tür – geht es bei der Frage nach dem Dach über dem Kopf buchstäblich um Leben und Tod. Im Durchschnitt erfrieren in Deutschland jeden Winter ungefähr 15 Wohnungslose auf Parkbänken, unter Planen und in Hauseingängen. Die Zahl derer, die wegen Nässe, Kälte und den hygienischen Bedingungen der Straße an vergleichsweise harmlosen Krankheiten versterben, ist um ein Vielfaches höher. Und so komisch das klingen mag: Das Leben auf der Straße ist teuer. Wer nicht kochen kann und keine Vorräte lagern, der gibt Unsummen aus für warmes Essen und für Kaffee. Weil man ohne Wohnsitz kaum eine Wohnung findet, dreht sich das Problem im Kreis – nicht wenige Wohnungslose kommen tageweise für horrende Summen oder andere Ausbeutungsformen irgendwo unter. Auch daran erinnern diese Fotografien, obwohl sie doch eigentlich das Gegenteil zeigen.

Loredana, Dorel und Familie, HamburgDie Unterkunft, in der Loredana und Dorel zusammen mit ihren drei Kindern eine Zeit lang lebten, befand sich in einem sehr schlechten Zustand. Nach kurzer Zeit der Obdachlosigkeit fanden sie mit der Unterstützung von „Hinz&Kunzt“ eine Wohnung. Dort fühlen sie sich sehr wohl. Ihren Lebensunterhalt finanzieren sich Loredana und Dorel zum Teil über Minijobs. Für ihre Kinder wünschen sie sich eine gute Zukunft in Deutschland – Dorel hingegen würde gerne mit seiner Frau irgendwann nach Rumänien zurückkehren.
Stefanella, 51 Jahre, Veitsroth in Rheinland-Pfalz Stefanella studierte in Idar-Oberstein Kunst. Aus gesundheitlichen Gründen musste sie ihr Studium jedoch abbrechen. Sie war mehrere Monate in verschiedenen Städten wohnungslos, bis sie über „Housing First für Frauen“ eine Wohnung in Berlin fand. Den Prozess der Geschlechtsangleichung beschreibt sie als intensiv und kräfteraubend – es sei aber dennoch die richtige Entscheidung gewesen. Heute lebt sie wieder in der Nähe von Idar-Oberstein, wo sie demnächst Schmuckdesign studieren und ein Praktikum in einer Edelsteinschleiferei beginnen wird. „Für die Zukunft wünsche ich mir, dass ich so bleibe, wie ich bin.“ „Ich möchte nicht in Schachteln gepresst, sondern respektiert werden.“

Trotz der Intimität dieser Bilder stellt Debora Ruppert diese Menschen nicht aus. In vielen Händen sind Selbstauslöser zu sehen, die Kontrolle über den eigenen Ausdruck ermöglichen und Authentizität schaffen. Denn das ist noch so eine Banalität, über die man in einer besseren Welt gar nicht erst sprechen müsste: Die Personen auf diesen Bildern, die auf der Straße gelebt haben, sehen aus wie ganz normale Menschen.

Chris, 57 Jahre, DüsseldorfChris konsumierte über 40 Jahre harte Drogen und war länger im Gefängnis. Dort hat er sich geschworen, clean zu werden – was er auch geschafft hat. Darauf ist er heute sehr stolz. Seine Obdachlosigkeit war mit großer Angst verbunden, beraubt, betrogen oder gar umgebracht zu werden – eine Angst, von der obdachlose Menschen immer wieder berichten.„Für mich ist es immer schön, wenn ich die Jalousie hoch tue, und da ist Himmelblau.“

Jan-Paul Koopmann

Die Ausstellung „Home Street Home“ ist noch bis zum 17. November im Paul-Löbe-Haus zu sehen, montags bis freitags von 9 bis 17 Uhr, dienstags bis 18 Uhr. Anmeldung zwei Tage vor dem Besuch per E-Mail an ausstellungen@bundestag.de

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