Jazzmusikerin über den Geruch von Musik: „Es riecht nicht schön!“
Es kommt immer auch auf die Intention hinter dem Sound an, sagt Steph Richards. Die kanadische Jazzmusikerin tritt beim Berliner Jazzfest auf.
taz: Steph Richards, an der University of California San Diego unterrichten Sie musikalische Aufführungspraxis. Was beinhaltet diese genau?
Stephanie Richards: Ich lehre experimentelle Musik, Computermusik und zeitgenössische klassische Musik. Im Moment unterrichte ich die Musik von Anthony Braxton, mit dem ich schon seit über einem Jahrzehnt zusammen spiele. Er war selbst hier, um mit meiner Ensemble-Klasse über seine Musik zu sprechen. Es ist wichtig, dass die ältere Jazz-Generation, die die Musik für uns verändert hat, ihr Wissen weitergibt. Ich bin außerdem daran interessiert, auf welche Weise Räume beeinflussen, wie wir Musik hören und erleben. Ich untersuche ortsspezifische Improvisation. Dabei beziehe ich auch gerne Choreografien ein und arbeite mit Tanz oder anderen Formen der Bewegung.
Stephanie Richards (*1985 in Grande Prairie, Alberta) ist eine kanadische Komponistin und Trompeterin, die u. a. mit Butch Morris und Henry Threadgill arbeitete, mit John Zorn, Laurie Anderson, Yoko Ono und Kanye West auftrat, und in San Diego/Kalifornien experimentelle musikalische Aufführungspraxis unterrichtet. Ihr Debütalbum „Fullmoon“ (2018) wurde von der „New York Times“ als Entdeckung gefeiert.
Um welche Orte handelt es sich genau?
Ich habe zum Beispiel eine Klasse zusammen mit einem Kollegen von mir unterrichtet, der Choreograf ist. Wir suchten uns verschiedene Orte auf dem Campus aus, etwa ein Wäldchen. Wir nahmen uns Zeit, um uns dessen Geräusche bewusst zu machen und über die Struktur von Bäumen zu sprechen. Auch darüber, wie sich Nähe in einer Konzerthalle anfühlt, im Gegensatz zu einem Außenraum ohne Dach.
Sie unterrichten seit 2014, da waren Sie erst 29 und haben oft in New York gespielt, darunter auch mit dem Trompeter und Dirigenten Butch Morris. Wie haben Sie ihn kennengelernt?
Er sah ein Konzert von mir und lud mich anschließend ein, in seinem Ensemble mitzuspielen. Er wurde später zum Mentor für mich. Ihm verdanke ich, dass ich meine Community in New York kennengelernt habe. So auch Henry Threadgill, der für mich nach Butchs Tod so etwas wie ein Mentor wurde, weil er zur Familie gehörte.
Steph Richards, live beim Jazzfest, 3. 11. Quasimodo Berlin
Sie haben auch Auftragswerke für Neue Musik geschrieben, wie „Rotationen für 12 Musiker und Karussell“. Worum geht es da?
Ich bin daran interessiert, raumspezifisch zu komponieren. In Brooklyn wohnte ich direkt gegenüber von einem Karussell. Es hatte eine Calliope-Orgel, die wirklich schön klang und in gutem Zustand war. Und ich wollte so gerne für dieses Instrument komponieren, dass außer den Orgelpfeifen auch eine kleine Trommel und eine große Trommel hat. Ich bekam dann den Auftrag, ein Stück für ein anderes Karussell in Brooklyn zu komponieren. In diesem Stück schrieb ich für das Karussell einen Orgelteil und einen Schlagzeugteil. Dann gab es noch einen Bläsersatz und einen weiteren Schlagzeuger. Außerdem hatten wir Kostüme und eine Choreografie, also all das, was mir Spaß macht.
Warum haben Sie eigentlich zur Trompete gegriffen?
In der Schule konnte ich mir ein Instrument aussuchen und entschied mich für die Trompete, weil ich in meiner kindlichen Vorstellung damit sowohl in der Jazzgruppe als auch im klassischen Orchester spielen konnte. Ich habe ein Instrument gewählt, das in vielen verschiedenen Kontexten funktioniert, ästhetisch und in Bezug auf das Genre, denn ich lebe in einem experimentellen Raum. Es ist kein klassischer Jazz, doch ich fühle mich geehrt, wenn ich als Jazzmusikerin bezeichnet werde. Dort liegt mein Herz und meine Seele. Für mich ist Jazz nicht bloß ein starres Genre, da sich seine Musik ständig verändert. Jazz ist für mich Evolution und Revolution.
Im Frühjahr 2024 erscheint Ihr neues Album „Power Vibe“, das Sie morgen beim Jazzfest in Berlin vorstellen. Welchem Konzept liegt die Musik zugrunde?
Das ist definitiv ein neuer Sound, mit sensorischer Elektronik. Speziell beim Schlagzeug kann die physische Bewegung elektronische Sounds und Sampling auslösen, der Schlagzeuger steht im Zentrum. Er erzeugt einen Großteil der Samples, über die wir innerhalb meiner Kompositionen improvisieren.
Sie werden auch Stücke Ihres Albums „Supersense“ von 2020 spielen. Musikalisch haben Sie mit dem Einfluss von Gerüchen auf Improvisationsverhalten und Publikumsresonanz experimentiert. Können Sie uns die wichtigsten Ergebnisse verraten?
Band und Publikum werden vorab Rubbel-Postkarten bekommen, auf denen dann der jeweils betreffende Geruch freigekratzt werden muss. Das wird ein lustiges Odorama ergeben, denn es riecht beileibe nicht nur schön!
Sie haben diese Gerüche in einem Labor mit dem Künstler Sean Raspet, der auch Chemiker ist, entwickelt.
Ja, als Künstler entwirft er neue molekulare Formen und Gerüche. Als ich ihn wegen dieses Projekts anrief, war er begierig darauf zu sehen, wie musikalische Strukturen mit Duftmarken kombiniert werden können, um emotionale Reaktionen auszulösen. Etwa beim Geruch von Verlust.
Nach was riecht denn Verlust so?
Der Geruch, der mich zu dieser emotionalen Reaktion auf Verlust und Trauer inspiriert hat, war der Geruch von etwas Trockenem. Es roch nach altem Schrank, vielleicht dem Schrank von Großmutter. Es roch durchaus wehmütig. Ich kann mich nicht mehr genau an die spezielle Rezeptur für Verlust erinnern, weiß aber noch, dass wir dafür Pheromone von Grillen verwendet haben, die riechen leicht süßlich und unangenehm trocken. Was ich an Düften liebe, ähnlich wie an Musik, ist, dass sie auch eine zeitbasierte Erfahrung sind. Mit Sean habe ich viel mit Farben gearbeitet, etwa, dass es ein bisschen gelb riecht oder wie eine Schwarz-Weiß-Konversation von Gegensätzen.
Oha! Sie lehren auch die von Butch Morris entwickelte gestische Dirigiersprache „Conductions“, können Sie diese bitte anschaulich erklären?
In jedem meiner Ensembles arbeite ich mit seinen Gesten, um musikalische Strukturen auf nicht-lineare Weise zu notieren. Es geht mir aber auch um sein Vermächtnis. Butch hat mit seinen „Conductions“ eine perfekte Formensprache geschaffen, die gleichzeitig so bescheiden war, denn es gab nichts Überflüssiges. Er verwendete kein Signal, keine Geste, nur weil sie beeindruckend war. Er hat versucht, den einfachsten Weg zu finden, um musikalische Strukturen zu vermitteln.
Bei seinen Dirigaten trug Butch Morris Spezialkleidung, Schuhe mit extrem dünnen Sohlen, um die Vibration der Musik besser zu spüren. Empfinden Sie Spezialkleidung auch als Teil von Musik, um ihr einen anderen Rahmen zu geben?
Absolut, ich denke, in dieser Musik geht es um Schwingung, aber auch innerhalb der Gemeinschaft der Musiker*innen auf der Bühne. Es ging Butch nie nur um den Sound an sich, sondern immer auch um die Absicht dahinter. Er gab sich dafür bestimmten Ritualen hin, um auf eine bestimmte Art im Bühnenraum zu existieren. Wie ein heiliger Ort, für den er ein Kostüm anzieht, das ihm dabei hilft, sich zu befreien. Das Wichtigste, was Butch mir beigebracht hat, ist, dass es nicht darauf ankommt, was ich spiele. Es ist die Intention hinter dem Sound. Davon lebt meine Musik.
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