Die Wahrheit: „Kalle vor, Eigentor!“
König Charles III. hielt am Dienstag seine erste und letzte „King’s Speech“. Der taz liegt exklusiv vor: The German Version.
Sehr geehrter Herr Bundespräsident, sehr geehrte Frau Bundestagspräsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Deutsche. Es ist eine große Ehre, heute bei Ihnen zu sein. Meiner Frau Camilla und mir bedeutet es sehr viel, dass wir auf meiner ersten Auslandsreise als König nach Deutschland, ach … nee … halt! Entschuldigung, falsche Rede. Moment …
(Raschel, raschel, hüstel, hüstel, leichtes Raunen im indignierten Publikum. Ab hier wird die Rede nicht mehr auf Deutsch, sondern auf Englisch gehalten. Erleichterung im Saal. Schließlich handelt es sich um die erste offizielle Thronrede zur Parlamentseröffnung des neuen Königs. Wir bleiben aber im Protokoll der deutschen Übersetzung.)
Gut, gut, Ladies and Gentlemen! „Am Ball bleiben“, heißt hier und heute die Devise. Ich möchte Ihnen allen das Leder zupassen, in dieser für uns und alle anderen Teams schwierigen Zeit, so mitten in der Saison. Die Herausforderungen der Welt liegen klar vor uns, wo immer man auch hinschaut. Aber aufgepasst, wenn ich das richtig sehe, ist der Matchplan, den mir der sehr verehrte Herr Premierminister vorab taktisch klug zugespielt hat, kaum an Deutlichkeit zu überbieten.
Es geht darum, die Zügel anzuziehen, den Gegnern unseres Empires keinen Raum zu gönnen, sondern stattdessen flott durch ein gestaffeltes Mittelfeld mit präzisen Steckpässen hinter die letzte Linie der Viererkette und möglichst bis zum Toraus durchzubrechen, um in gewagten Eins-zu-eins-Situationen die Räume zu schaffen, um den Verkehr in der Box auch mal mit einer falschen Neun – so nötig! – aufzulösen.
(Verhaltener Applaus, erste „Sunak raus!“-Rufe auf den Rängen seitens der Opposition auf der Gegentribüne.)
Die Iren, um einmal in medias res zu gehen, wie der alte Lateiner sagt, haben im Moment Hochwasser, und damit ist nicht nur gemeint, dass Flüsse das Land überschwemmen, von wegen menschengemachtem Klimawandel. Gemeint hatte ich, der König, dass sie „Oberwasser“ im Sinne einer momentanen Überlegenheit verspüren. Schon der kleinste Patzer unserer stolzen Nation könnte uns also schnell in Rückstand bringen, insofern ist es wichtig, dass schnell nach vorne verschoben wird, dass die Abstände stimmen, dass das Gegenpressing und die Umschaltbewegungen präzise ablaufen, dass jederzeit mit Vertikalpässen in die Schnittstellen hinein agiert werden kann. Gerade in einem Spiel, in dem die Nerven blank liegen, muss man sein wahres Gesicht zeigen und die Hosen runterlassen.
(Gelächter im Parliament of Great Britain; vereinzelt werden Buhrufe laut; von draußen erklingen die ersten Tröten der Gegner der Monarchie.)
Ja, meine Damen und Herren und Dritte, es wird keine einfache Spielzeit, die uns da bevorsteht. Wir sollten also die Vorsicht bevorzugen und strategiegeleitet vom höheren Zustellen profitieren. Der Gegner wird im Aufbau kaum größere Freilaufbewegungen wagen und gegen den Ball weitgehend auf hohes Pressing verzichten; also stellen wir gut zu und halten im eigenen Ballbesitz viel Personal hinten. Das bedeutet gleichzeitig: Man hat viele Leute in der Restverteidigung. Gerade auf die Positionierungen der Außenverteidiger kommt es an, sie sollten in der Hauptsache hinter dem Ball sein. Dazu wird es flache Flügelpositionen geben, halbraumbreit.
(Schieres Entsetzen im House of Lords. Protestierende versuchen, die Kammer zu stürmen. Erste Parlamentsmitglieder verlassen fluchtartig den Raum.)
Ja, meine Damen und Herren! An der Grenze des Zwischenlinienraums, also tatsächlich mit wirklichem Kontakt zur Mittelfeldlinie im engen 4-5-1, da finden die Auseinandersetzungen statt! Und dann geht es darum, die Abschlüsse zu suchen, auch mal den zweiten Ball zu behaupten, mehr Personal in die Box zu bekommen … um schließlich …
(Plötzlicher Abbruch der Rede, Tumulte, Panik in den Straßen Londons, sofortige Auflösung der britischen Monarchie.)
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