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Nicht nur Künstlerinnen werden eingeflogen, sondern auch Tontechniker und Instrumentenstimmer Foto: Nikolai Schmidt

Lausitzfestival ohne LausitzerKulturpolitik nach Gutsherrenart

Der Hamburger Intendant Daniel Kühnel soll mehr Kultur in die Lausitz bringen. Doch die Menschen werfen ihm vor, selbstherrlich zu sein.

Das Team des Lausitz Festivals verabschiedet sich aus einem erfolgreichen Festival 2023.“ So steht es auf der Webseite des Festivals, das seit vier Jahren das kulturelle Aushängeschild der Lausitz sein will. Es folgen ein paar Dankesworte an das Publikum, die Künstlerinnen und Künstler und vor allem an die Geldgeber.

Doch zu Ende ist das Festivaljahr für den Intendanten Daniel Kühnel wohl noch nicht. Wenn am Freitag das erste Lausitzer Kulturforum in Doberlug-Kirchhain an Brandenburgs Grenze zu Sachsen zusammenkommt, geht es auch um Kühnels bisherige Bilanz. Bereits am Tag zuvor ist der künstlerische Beirat zu einer Klausurtagung eingeladen. Es dürfte eine Krisensitzung werden. Denn zahlreiche künstlerische Akteurinnen und Akteuren aus der Region werfen Kühnel vor, selbstherrlich und ohne Bezug zur Region zu agieren. In einem fünfseitigen Brief, der der taz vorliegt, fordern sie ein „echtes Lausitz Festival“.

Es hat sich etwas aufgestaut in der Brandenburger und Sächsischen Lausitz, in der der Hamburger Intendant den Strukturwandel kulturell begleiten und künstlerische Impulse setzen soll. Den Anspruch formuliert Kühnel selbst auch für sich. „Wir wollen mit den Menschen, die hier leben, die Lausitz transformieren“, sagte er im Juli vergangenen Jahres in einem Interview mit dem Cottbuser Magazin Hermann.

Die Festivalausgabe 2023, insgesamt die vierte unter der Regie Kühnels, stand unter dem Leitmotiv „Hereinforderung“. „Klingt gut. Doch der Anspruch wird bei Weitem nicht eingelöst“, meint Jörg Ackermann, der den offenen Brief „Für ein echtes Lausitz Festival“ mit initiiert hat.

Es gibt keine Beteiligung regionaler Künstler

Jörg Ackermann, Kulturmanager

Ackermann ist einer, der die Lausitz kennt. Bis 2021 hat er das Filmfestival in Cottbus veranstaltet, und noch bis zum Sommer dieses Jahres hat er versucht, beim Lausitz Festival zu retten, was zu retten ist. Inzwischen hat er das Team verlassen. „Es gibt keine Diskussion, wie man den Anspruch des Festivals unter Beteiligung regionaler Künstlerinnen und Künstler entwickeln kann“, sagt Ackermann der taz.

Genau dafür aber hat der Bund das Festival üppig ausgestattet. 2019 stellte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretzsch­mer (CDU) in Görlitz erstmals die Pläne für ein Lausitz Festival vor. Vier Millionen Euro würde der Bund jährlich dafür bereitstellen. Im Schlepptau hatte Kretzschmer den 1973 in Jerusalem geborenen Kühnel, im Hauptberuf Intendant der Symphoniker Hamburg. Schon damals gab es kritische Stimmen aus der Region. In einer Resolution hatten Kulturschaffende aus der Oberlausitz vom „Gefühl der Missachtung“ der etablierten Kulturakteure gesprochen, denen es nicht ausreiche, die „Erzeuger“ jener von Kühnel im Konzept als spannend erachteten „poetischen Leitmythen“ zu sein.

Geld für den Strukturwandel

Das Zauberwort für die Förderung in der Lausitz heißt Strukturstärkungsgesetz. 40 Milliarden Euro stellt der Bund den ehemaligem Kohleregionen für den Strukturwandel zur Verfügung. Alleine zehn Milliarden bekommt Brandenburg.

Ausgereicht werden die Fördermittel über zwei Säulen. Sechs Milliarden gibt der Bund in Brandenburg für Leuchtturmprojekte wie das ICE-Werk in Cottbus, die Hochschulmedizin oder den Lausitz Science Park. Fast vier Milliarden werden über die Wirtschaftsregion Lausitz in Werkstattverfahren gegeben. Eine eigene Kulturwerkstatt gibt es nicht.

Immer wieder fordern Akteure in der Lausitz, nicht nur in Beton, sondern auch in Köpfe und Kultur zu investieren. Als Antwort heißt es dann: Wir haben das Lausitz Festival. Die Mittel für das Festival kommen aber nicht aus den Kohlegeldern, sondern direkt vom Bund. (wera)

Schnell hatte auch die Brandenburger Landesregierung den Finger gehoben, und so fungiert das Festival seit 2020 als gemeinsames Projekt der Brandenburger Niederlausitz und der Sächsischen Oberlausitz. Eine gemeinsame Trägergesellschaft zwischen beiden Ländern ist allerdings nie gegründet worden. Stattdessen gibt es seit April eine gemeinnützige GmbH der beiden Städte Görlitz und Cottbus.

Die Hamburg-Connection

Diejenigen, die das Geld für das Festival lockermachten, waren die beiden ehemaligen Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs (SPD) und Rüdiger Kruse (CDU). Als Mitglieder im Haushaltsausschuss des Bundestags gaben sie sich gerne als Kulturförderer, vor allem für die Hamburger Kulturszene. Daniel Kühnel soll mit der Idee des Festivals an Kruse herangetreten sein, schreibt das Kulturmagazin VAN.

Über Nacht waren dann die ersten vier Millionen in trockenen Tüchern. „In der deutschen Musiklandschaft sorgte so viel Geld für ein Festival, das es noch gar nicht gab und für das – wie sich später herausstellen sollte – weder ein Konzept noch Kooperationspartner vorlagen, für einige Verärgerung“, so das Magazin, das im Zusammenhang mit Kahrs und Kruse von einer „Hamburg-Connection“ spricht.

Später wurde gegen Kahrs, der 2020 sein Bundestagsmandat niederlegte, wegen des Verdachts der Beihilfe zur Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit der Cum-Ex-Affäre ermittelt. In einem Bankschließfach von Kahrs waren 210.000 Euro in bar gefunden worden.

Bis heute ist das Geschäftsgebaren des Festivals intransparent, heißt es nun in dem Brief, der auch an das Brandenburger Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur ging. Nicht einmal die genauen Zuschauerzahlen der einzelnen Veranstaltungen würden bekannt gegeben. Jörg Ackermann und die anderen Kritikerinnen und Kritiker fordern deshalb eine „sowohl quantitative als auch qualitative Evaluation des Festivals“ und die Schaffung von Transparenz. „Wir wissen nicht einmal, wie lange der Vertrag mit Daniel Kühnel läuft“, sagt Ackermann der taz.

Daniel Kühnel werden paternalistische Gesten vorgeworfen Foto: Rainer Weisflog/imago

Angestaut hat sich auch etwas bei Alexander Dettke. „Warum stecken wir so viel Geld pro Gast in ein Festival, anstatt die lokalen Strukturen zu stärken“, sagt er der taz. Dettke selbst stellt seit zehn Jahren das Festival „Wilde Möhre“ auf die Beine. Förderung bekommt er dafür nicht. Allerdings wurde das Festivalgelände in der „Alten Ziegelei Muckwar“ mit Lausitzmitteln gefördert. Dafür musste Dettke ein Werkstattverfahren der Wirtschaftsregion Lausitz durchlaufen. Bei den vier Milliarden Euro, die das Land Brandenburg über die Wirtschaftsregion Lausitz ausreicht, legt die Landesregierung viel Wert auf Transparenz.

Anders sei es beim Lausitz Festival, meint Dettke. „Inzwischen haben wir ein edles Programm, das aber nicht nachhaltig ist“, sagt Dettke der taz. „Es müssen aber Gäste kommen, die dann auch wiederkommen.“

Michael Apel sieht das ähnlich. „Man hat das Gefühl, die interessieren sich nicht für uns, nicht für die Leute, die hier leben, und auch nicht für die Kulturschaffenden“, sagt er der taz. Der Geschäftsführer der Spremberger Kino und Kultur GmbH spricht von einer Monokultur, die gerade durch eine andere getauscht werde. „Lange hing hier alles am Bergbau, und nun kommen die großen Player von außen.“

Natürlich stelle niemand infrage, dass beim Lausitz Festival hochkarätige Künstler auftreten. „Aber das ist nicht, was die Menschen hier gerade brauchen“, sagt Apel. „Was es braucht, ist Vertrauen und Dialog.“ Und Räume, in denen man zusammenkommen kann. Viele dieser Räume seien aber in der Vergangenheit dichtgemacht worden.

„Die Leute wählen auch die AfD, weil sie kein Vertrauen mehr haben in das, was ihnen versprochen wird“, sagt Apel. Gerade die in der Region verankerte Kultur könne hier eine wichtige Rolle spielen, meint Apel.

In ihrem Brief fordert die Initiative deshalb ein kuratiertes, für die Lausitz gemachtes Festivalprogramm. „Gerade in der angespannten politischen Situation ist der Austausch künstlerischer Positionen und der Aufbau europa- oder weltweiter Netzwerke sinnvoll und wichtig“, heißt es. „Aber dafür müssen die Betreffenden vor Ort auf Augenhöhe einbezogen werden.“

Die Stärkung einer regionalen und kulturellen Identität gelte auch für die Zweisprachigkeit in der Region. Die sorbische Kultur finde sich im Programm kaum wieder.

Neues Geld vom Land

Kulturelle Initiativen vor Ort zu stärken: Das war Brigitte Faber-Schmidt schon immer ein Anliegen. Zwanzig Jahre lang leitete sie die Geschäfte von Kulturland Brandenburg. Jedes Kulturlandjahr hat ein eigenes Thema, zu dem Vereine, Initiativen, Museen mit eigenen Projektideen Fördermittel beantragen können. Das große Verdienst von Kulturland ist es, Fördermittel für kulturelle Projekte auch in ländliche Räume wie die Lausitz gebracht zu haben. Für ihr Engagement hat sie 2021 den Kulturpreis des Landkreises Elbe-Elster bekommen.

Seit 2021 ist Brigitte Faber-Schmidt Abteilungsleiterin im Brandenburger Kultusministerium. Sie wird auch bei der Sitzung des künstlerischen Beirats am Donnerstag und beim Lausitzer Kulturforum am Freitag dabei sein. Die Punkte, die die Lausitzer Kulturschaffenden in ihrer Kritik ansprechen, kennt sie. „Ich setzte sehr auf die Prozesse und die Moderation unter allen Beteiligten“, sagt Brigitte Faber-Schmidt der taz. „Aus meiner Zeit bei Kulturland weiß ich um die Wichtigkeit von Bottom-Up-Prozessen.“

Einfach wird diese Moderation aber nicht werden. Faber Schmidt will deshalb am Donnerstag und Freitag ihre Idee vorstellen, parallel zum Festival die lokalen Akteure zu stärken. „Wir werden für 2024 einen Projektförderfonds aufsetzen, der an die Erfahrungen des Ideenwettbewerbs Kulturelle Heimat Lausitz anknüpft“, sagt sie der taz. „Da geht es dann auch um Kooperationen mit dem Lausitz Festival.“

Kooperationen mit dem Festival gibt es schon jetzt. Doch die Erfahrungen sind durchwachsen. „Im zweiten Jahr fand bei uns eine Aufführung im Rahmen einer Filmreihe mit Krzysztof Kieślowski statt“, sagt der Spremberger Kinobetreiber Michael Apel. „Das, was wir davon bekommen haben, war die Saalmiete.“ Eine Kooperation gab es auch mit der Jazzwerkstatt in Peitz. „Da wird nicht nur der Flügel eingeflogen, sondern auch der Klavierstimmer“, heißt es aus dem Umfeld des Festes.

Ein Mitglied des künstlerischen Beirats des Lausitz Festivals sagt: „Wenn einer dieser Acts in die Lausitzhalle nach Hoyerswerda kommt, kann die Technik dort den Schlüssel abgeben. Dann übernimmt der Bühnenmeister aus Wien und der Tontechniker aus Hamburg. Als ob die Leute vor Ort das nicht können.“

Paternalistische Geste

„Natürlich ist es toll, so ein Festival zu haben, das ist auch eine Wertschätzung“, sagt das Mitglied des Beirats zur taz, das seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. „Aber so, wie es läuft, hat es vor allem eine paternalistische Geste. Wir bringen euch die Kultur. Wir knipsen das Licht an. Daran wird sich auch nichts mehr ändern.“ Mit der Lausitz habe das alles nichts zu tun.

Für das Mitglied des Beirats ist klar: „Die ganze Struktur geht nicht. Kühnel muss weg.“

Doch Daniel Kühnel, das wird Brigitte Faber-Schmidt am Donnerstag im Beirat und am Freitag beim Lausitzer Kulturforum berichten, wird nicht gehen. Gerade eben wurde sein Vertrag um weitere fünf Jahre verlängert.

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1 Kommentar

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  • Anderes ist von solchen "Grosskulturheinis" nicht zu erwarten. Die arbeiten meistens mehr an deren Image, als dafür, wofür sie jeweils angetreten sind. Ich kann die Verärgerung der Lausitzer sehr gut verstehen.



    Auch die politische Einschätzung, die besagt, dass die Bevölkerung aus Enttäuschung AFD wählt.



    So was passiert auch im kleineren Massstab, wenn Gemeinden ein Festival ausrichten und dann die ansässigen Künstler aussen vor lassen.



    Stattdessen schmückt man sich mit "Stars", die den Großteil des Etats auffressen. Auch hier wird der Auftrag missachtet die Kunstszene der Region zu fördern. Das habe ich als Jazzmusiker schon oft erlebt.