Michel Decar „Kapitulation“: 7.500 Euro und die Folgen

Michel Decar hat einen hochkomischen Künstlerroman geschrieben: „Kapitulation“. Er handelt vom versuchten Aufbruch eines prekären Poeten.

Schriftsteller Michel Decar.

Das Buch „Kapitulation“ von Michel Decar ist im März Verlag erschienen Foto: Lea Hopp

László Carassin ist ein Loser­. Nein, das ist eine gemeine Übertreibung. László hat sich dem Künstlerdasein verschrieben, und diesem ist es nun einmal eigen, dass man zumeist verkannt und verarmt endet. László hat sich schon damit abgefunden, dass seine Dinosaurierlyrik und seine Weltraumnovellen weder bei Verlagen noch beim Publikum Anklang finden.

Da erhält er eine Auszeichnung für sein ­Schaffen: Die Sparkasse Celle-Gifhorn-Wolfsburg verleiht ihm einen Förderpreis, 7.500 Euro in Hundert-Euro-Scheinen. Was macht László mit dem Geld? Er besteigt einen Zug in Richtung der Bulgarischen Riviera, um das verdammte Dichterdasein für immer hinter sich zu lassen.

Das ist die Exposition zu Michel Decars grandios-komischem Künstlerroman „Kapitulation“. Nun gibt es gar nicht wenige Texte, die sich auf die eine oder andere Art mit dem prekären Poetendasein beschäftigen, mit der Vereinbarkeit von Brotjobs und Literatur. Decars Twist besteht darin, dass sein Protagonist, für sich selbst undurchsichtig, für die Leser aber sehr offensichtlich, an Selbstüberschätzung und Selbsttäuschung leidet. Das ist die berühmte Fallhöhe eines Textes, die in Decars Fall schreiend komisch anmutet.

Von Bulgarien an den Balaton

Michel Decar: „Kapitulation“. März Verlag, Berlin 2023, 217 Seiten, 23 Euro

Man verliebt sich unmittelbar in László, der von Bulgarien aus an den Balaton reist, wo er bei seinem Onkel unterkommt. Hier will er sich dichterisch frühverrenten, doch wie soll das Geld für den Lebensabend reichen? Es verflüchtigt sich schneller, als er „Sparkasse Celle-GifhornWolfsburg“ sagen kann.

„Mich kotzte es an, arm zu sein. Warum hat mir die Sparkasse Celle-GifhornWolfsburg nur 7.500 Euro in den Umschlag gesteckt, dachte ich an einem dieser verregneten Septembertage, warum nicht 10.000 oder 15.000? Mit 15.000 Euro hätte ich jetzt weniger Probleme. 15.000 oder 20.000 wären eine anständige Preissumme gewesen, aber nein, sie haben mir nur 7.500 Euro in ihren Umschlag getan, weil sie mich mit dieser absurd schiefen Summe demütigen wollten.“

Da sitzt er, der arme Poet, und statt von Sommer, Sonne und einer Ahnung von Unendlichkeit umgeben zu sein, hockt er auf Plastikstühlen und sinniert über Nintendo-Spiele. „Dafür bin ich nicht Dichter geworden. Dichter bin ich geworden, um auf Wildeseln über die kasachische Hochebene zu reiten und wahnsinnig arrogante Topmodels auf der Piazza di San Silvestro abzuknutschen, aber sicher nicht, um in Wolfsburg als Pausenclown aufzutreten.“

Die gekränkte Eitelkeit macht László in Augen des Lesers, der ja in abgeklärter Manier dem Typus des gescheiterten Poeten bei seinen Abenteuern beiwohnt, nur nahbarer. Einmal überlegt er, ob er nicht eine Bank ausrauben soll, aber seine kleinbürgerliche Erziehung reicht nur für kleinkriminelle Akte.

Das Eine-Million-Euro-Gedicht

Da schlägt ihm Onkel Bernát vor, ein Eine-Million-Euro-Gedicht zu schrei­ben. Warum denn nicht! Sogar an einer göttinnengleichen Dio­tima mangelt es László nicht, nur heißt sie bei ihm Mercedes Czeminski. Die hat er angebetet, während er, 29-Cent-Netto-Spaghetti essend, das Dasein als armer Poet fristete. Nur am Rande: Die Netto-Spaghetti, die scheinbar jeder gute Dichter konsumiert haben muss, haben ihren Auftritt auch in einem Martin-Piekar-Gedicht, sie sind literarisch und lyrisch also voll satisfaktionsfähig geworden.

Jetzt nur nicht abschweifen! Die eigentlich ernst gemeinte Frage nach der dichterischen Kapitulation in Zeiten der massenmedialen Dauerbeschallung, in denen die Vorstellungen von Dichterfürsten uns nur mehr von George-Buchcovern entgegenwehen, mutet hier so komisch an, weil dem Leser sofort durchsichtig ist, dass László kein großer Dichter ist.

Nicht nur Kalauer

Doch liefert dieser Künstler­roman nicht nur Kalauer; er spielt vielmehr literarische Verfahren durch. Allerdings versanden auch diese wie Lászlós Pläne. Gleich zu Beginn begegnet er im Zug zwei Herren mit Bürstenhaarschnitt; da kommt doch noch was, denkt man, das ist der Auftakt zu einen Krimi, mindestens einem im Stile von Emil und die Detektive. Aber die Männer verschwinden.

Dann sind da Dingsymbole, die wiederholt auftauchen und von denen der Leser unbedingt wünscht, dass sie Signifikantenstatus erhalten. Was ist etwa mit den seltsamen Uhrenmagazinen, die permanent gelesen werden? László ist sicher, dass sie „(a)ls Reiseführer in die Tiefen des bundesrepublikanischen Unterbewusstseins, als Sternenkarte und Kodex für das Unaussprechliche“ fungieren. Wenn er das sagt!

Nichts ist signifikant, alles ist überdeterminiert. Alles und nichts, darum geht es in der Literatur. Einnehmender könnte die Kapitulation vor der Literatur nicht sein.

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