: Edle Wilde in Fantasie-Landstrichen
Eine Ausstellung in der Zitadelle Spandau widmet sich stereotypen Darstellungen von Menschen des „Orients“ in den Büchern von Karl May. Das Besondere: Armenische, ezidische und kurdische Communities wurden eingeladen, eigene Ausstellungskapitel beizusteuern
Von Hülya Gürler
Die kleine Karl-May-Ausstellung in der randstädtischen Spandauer Zitadelle fällt für Berliner Verhältnisse nicht wirklich ins Gewicht. Schließlich hat Berlin eine viel größere Ausstellung über den weltberühmten sächsischen Abenteuerautor gesehen, 2007 im stadtmittig gelegenen Deutschen Historischen Museum nämlich. Darum könnte sie leicht übersehen werden, obwohl sie von Karl May handelt, dem nicht nur der Auflagenzahl von weit über 100 Millionen Büchern nach zu urteilen erfolgreichsten deutschsprachigen Volksautor; dem umstrittenen Erfinder von Winnetou und Old Shatterhand, der immer wieder für Debatten sorgt, wie auch im letzten Jahr.
Das Besondere an der aktuellen Ausstellung ist nicht bloß eine von Fachkundigen vollzogene Aufarbeitung von Mays stereotypen Darstellungen von Menschen des Konstrukts Orient in seinem Orientzyklus oder über indigene Einwohnerinnen Nordamerikas in den Wildwest-Werken. Die von dem Karl-May-Experten Thomas Kramer kuratierte Ausstellung „Das Herz des Orients gewinnen!“ nimmt dezidiert die in Mays Werken stereotyp gezeichneten Armenier, Eziden und Kurden in Augenschein, mit einem ganz besonderen Anspruch: Besagte Minderheiten sollten nicht bloß passive Objekte der Schaulust sein. Vertreter*innen der drei Gruppen wurden eingeladen, eigene Ausstellungskapitel selber zu gestalten.
Der Spandauer Frauenverein Hinbun etwa stellt neben einem kurdischen Lebensbaum mit Geschichten von mutigen Kurdinnen und Infos über den eigenen Weg zur Frauenemanzipation Fotos aus einem selbstverwalteten Dorf in Rojava in Nordsyrien aus. Unerträglich hingegen sind ausgestellte alte Fotos von geköpften Armenier*innen und qualvoll gefolterten armenischen Kindern. „In früheren Ausstellungen haben deutsche Akademiker*innen erklärt, wie der nordamerikanische Indigene lebt, wie der Kurde jagt, was der Ezide trägt. Es wurde immer von außen über die Communities, die bei Karl May in seinem Wildwest- und seinem Orientkosmos eine Rolle spielen, berichtet“, sagt Thomas Kramer. „Gefragt wurde niemand aus diesen Communities: Wie seht ihr denn das, wie ihr da dargestellt werdet?“
Gefragt wurde laut Kramer auch nicht nach zeitgenössischen Rassismen Karl Mays, so zum Beispiel nach seinem „unerträglich rassistischen Bild über die Armenier.“ So ist auf einem der Ausstellungsplakate unter anderem das folgende May-Zitat zu lesen: „Man bereise den Orient mit offenen Augen (…). Wo irgend eine Heimtücke, eine Verräterei geplant wird, da ist sicher die Habenichtsnase eines Armeniers im Spiele.“
Nicht immer sind stereotype Darstellungen in den May-Romanen negativ: Ezid*innen werden laut Kramer überromantisiert. May beschreibt sie außerdem als den Deutschen sehr ähnlich: „Man hat behauptet, dass nur der Deutsche das besitze, was man ‚Gemüt‘ nennt. Wenn dies wahr sein sollte, so waren diese Dschesidi den Deutschen sehr ähnlich.“
Sein Kurdenbild ist eher gemischt. Mal heißt es: „Nichts ehrt der Kurde mehr als Tapferkeit.“ Dann aber müssen die Romanhelden sich „vor den Kurden hüten“, denn „so gastfrei und aufopfernd der Kurde seinen Freunden gegenüber ist, den Fremden hält er für gute Beute.“ Das sei „in jenen Gegenden seit Menschengedenken so und nicht anders gewesen.“
Mit Gegenden meint May in seinem gleichnamigen Orientroman das „wilde Kurdistan“, ein Fantasie-Landstrich, der, ganz der Ambivalenz des eurozentristisch-kolonialen Blicks treu, von edlen Wilden auf der einen und räuberisch-meuchelnden Stämmen auf der anderen Seite bewohnt wird. Durch dieses Land nun reitet der Superheld Kara Ben Nemsi und dessen trottelig gezeichneter muslimischer Begleiter Hadschi Halef Omar.
Seine damaligen Fans wollte May in dem Glauben lassen, er habe die in den Romanen beschriebenen Gegenden selber bereist und sei eigentlich Kara Ben Nemsi höchstpersönlich. Dabei bestanden seine Quellen unter anderem aus zeitgenössischer Reise- und Forschungsliteratur. In „Durchs wilde Kurdistan“ zitiert er beispielsweise laut Kramer „seitenlang mitunter wortwörtlich“ aus einem Werk des britischen Assyrologen Austen Henry Layard, dessen Stereotype über Kurden er übernimmt.
Für beide waren die Menschen der Region Barbaren, „in der zivilisierte Europäer nur kurzzeitig für Ordnung sorgen können“, schreibt Thomas Kramer in seinem die Debatten über Karl Mays stereotype Darstellungen begleitenden Buch „Karl May im Kreuzfeuer“.
Mays Leben und Werk durchweg rassistische und damit entmenschlichende Absichten zu unterstellen, wird ihm allerdings nicht gerecht. Angesichts erlittener Gewalt bringt der Volksautor den Eziden beispielsweise viel Empathie entgegen. Über die bereits zu seinen Lebzeiten kollektiv verfolgten und ermordeten Armenier*innen tut das der Opportunist May tragischerweise nicht. So zeigt denn auch die Ausstellung – und das ist ihre Stärke – Karl May in all seiner Widersprüchlichkeit. In seinem ausgestellten Spätwerk „Und Friede auf Erden“ wendet er sich sogar gegen Rassenhass und nationalistische Überheblichkeit.
Karl Mays Einfluss ist nicht zu unterschätzen: „Erst die Produktionen der Karl-May-Filmwelle der Sechzigerjahre (…) hinterlassen tiefe Spuren im kulturellen Bewusstsein der Deutschen“, heißt es im „Kreuzfeuer“. Spannend wäre es, zu erfahren, wie sich Karl Mays stereotype Bilder über Kurd*innen, Armenier*innen, Ezid*innen und andere Volksgruppen heute noch auswirken. Die Beantwortung dieser Frage ist nicht die Absicht der Ausstellung.
Ohne eigene Auseinandersetzungen der drei ausstellenden Minderheiten-Teams mit Karl Mays rassistischen Zuschreibungen wird hier aber eine Chance für die Gegenwart verpasst: In aktuellen Studien befragte Kurd*innen etwa berichten durchweg über erlebten Rassismus und Diskriminierung, wie aus einer aktuellen Expertise des Mediendiensts Integration hervorgeht. Laut der Expertise sind deutsche Leitmedien weit davon entfernt, stereotypenfrei über Kurd*innen in Deutschland zu berichten. Demnach erscheinen Kurd*innen in den Medien am häufigsten im Zusammenhang mit (Clan-) Kriminalität und Gewalt.
Ohne eine solche Auseinandersetzung hat die Ausstellung mit einem riesigen Beduinenzelt und Volkstrachten zum Teil etwas von einer Völkerschau und liegt deshalb teilweise nicht mehr auf der Höhe der Zeit.
„Das Herz des Orients gewinnen! Armenier, Eziden und Kurden bei Karl May und wie sie sich selbst sehen“: ZAK – Zentrum für Aktuelle Kunst, Zitadelle Spandau. Bis 7. Januar 2024. Vortrag: „Vertreibung, Verfolgung, Vernichtung: Fotoausstellung zum Völkermord an den Armeniern“ von Prof. h.c. Dr. phil. Tessa Hofmann am 2. November um 19 Uhr
Thomas Kramer: „Karl May im Kreuzfeuer“. Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2023. 168 Seiten, 19 Euro
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen