Freundliche Übernahme bei Jazz-Festival: Die Bandleaderin muss improvisieren
Das „Enjoy Jazz Festival“ in der Rhein-Neckar-Region gibt nichtwestlichen Musiker*innen eine Bühne. Zumindest, wenn die einreisen dürfen.
K eine hippen Clubs und gepflegten Theater, keine stets gefüllten Getränkekühlschränke: Nein, es war kein gewöhnliches Event, das Festival au Désert, gegründet im Jahr 2001 im afrikanischen Mali.
„Einmal im Jahr treffen sich im Norden Malis nomadische Stämme, es gibt Musik- und Sportveranstaltungen“, erinnert sich Initiator Manny Ansa an die Anfangsjahre. „Eine französische Band wollte dazu kommen. Aber wir hatten weder Soundanlagen noch Bühnen, wir spielten nur akustisch. In der Wüste gibt es keine Bühne, kein Licht, keinen Sound. Wir bekamen dann Förderung und luden Bands ein. Im ersten Jahr kamen 500 Zuschauer:innen, im dritten waren es schon 5.000 Leute.“
Mehr als zehn Jahre lang brachte Ansar so Künstler*innen in die Wüste, auch inzwischen weltbekannt gewordene: Tinariwen und Ali Farka Touré etwa. Gleich mehrfach war die Gruppe Tartit dabei. Mithilfe des Enjoy Jazz Festivals hat Ansar diese überwiegend weibliche Band nun nach Deutschland eingeladen – für ein Festival Takeover.
Das Konzept: Sieben internationale Festivalmacher*innen dürfen je einen Abend komplett gestalten. Das Festival thematisiert es eher beiläufig: Künstler*innen aus nichtwestlichen Ländern sind hier genauso wichtig wie solche aus Europa und den USA.
Das Festival „Enjoy Jazz“ findet seit 1999 jährlich im Oktober und November statt. Rund sechs Wochen lang will es in den Städten Heidelberg, Mannheim und Ludwigshafen am Rhein eine „Mischung aus Perfektion und Pioniergeist“ präsentieren, also mehr und weniger etablierte Künstler*innen. Das derzeitige 25. Festival endet am 4. November.
Schwierigkeiten mit deutschen Behörden
An einem Donnerstagabend im Oktober ist in Heidelberg also Mali dran, ein Land, dessen Bewohner*innen oft Schwierigkeiten haben, von deutschen Behörden auch nur Visa zu bekommen. So auch diesmal: Beinahe wäre das Konzert daran gescheitert, dass nur zwei der sechs Tartit-Mitgliedern einreisen durften, darunter Bandleaderin Fadimata Walett Oumar. Also muss die Sängerin und Trommlerin improvisieren. Denn üblicherweise dominiert den Sound von Tartit ein vielstimmiger Call-and-Response-Gesang. Oumar gießt Wasser über die Felle ihrer Tende-Trommel und beginnt zu singen, verstärkt durch ihre Mitmusikerin.
Nach drei Songs bitten sie einen jungen Mann auf die Bühne: Kader Tarhanine, in Nordafrika ein Star. Geboren in Niger als Kind malischer Eltern wuchs er in Algerien auf, und diese Herkunft passt zu seiner grenzüberschreitenden Musik, die traditionelle Sahel-Rhythmen mit modernen Rockstrukturen verbindet. Wo sich die Studioalben auf seine weiche Stimme fokussieren, stehen live die E-Gitarren im Mittelpunkt. Rau, bluesig und druckvoll klingen sie, zeichnen mantraartige Kreise. „Sleep finish now“, ruft Tarhanine, „you dance!“ Und tatsächlich steht das Publikum im Karlstorbahnhof auf.
Am nächsten Tag sitzt ein etwas müder Manny Ansar in seinem traditionellen Damastgewand in der Hotellobby und erzählt von Malis Hauptstadt Bamako. „Wir haben bestimmt die höchste Künstlerdichte in der Welt; Salif Keita, Rokia Traoré, Bassekou Kouyaté und so weiter. Aber sie können kaum noch Konzerte geben. Und im Norden wollen die Extremisten überhaupt keine Musik mehr erlauben.“
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Die Anschläge islamistischer Terroristen rund um die 1.000 Jahre alte Stadt Timbuktu hatten sich irgendwann gehäuft, 2012 fand dort das letzte Festival statt. Seitdem tourt Ansar damit um die Welt. Hat er noch Hoffnung, irgendwann nach Mali zurückkehren zu können? Er seufzt tief: „Inschallah“ – so Gott will.
Wer noch am laufenden Festival Takeover teilnimmt? Kurator*innen aus Israel, Uganda und Südkorea. Soojin Suh ist aus Seoul angereist. Die Komponistin und Schlagzeugerin ist aufgeregt, sie hat sich ihre Ansagen auf dem Tablet notiert – und weicht dann doch davon ab. „Ich nutze wohl ein anderes Hirn“, mutmaßt sie. Mag sein, aber dann erlaubt ihr vielleicht gerade dieser kreative Kopf das so brillante Zusammenspiel mit Bass und Piano; eine altbekannte Trio-Besetzung, aber Soojin Suhs Songs sind kantig, melodisch, immer wieder überraschend.
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