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Wahlkampf in der SchweizZwischen Heuballen und Banken

Die rechte SVP setzt auf weniger Migration, die linke SP auf niedrigere Krankenkassenprämien – und der Skandal um die Credit Suisse scheint vergessen.

Wahlplakate vor grünen Wiesen: Mit dem Bilderbuch­image der Schweiz wird auch im Wahlkampf gespielt Foto: Andreas Haas/imago

Basel taz | Am Bahnhof Basel verteilen die Grünen Sonnenblumen. „Mit dir Politik machen“, steht auf einem ihrer Flyer geschrieben. Doch so optimistisch der Auftritt der Grünen im Wahlkampf scheint, so pessimistisch müssen sie die Zahlen der letzten Umfrage vor der Wahl stimmen.

Dreieinhalb Prozent könnte die Partei laut dem letzten Wahlbarometer bei den National- und Ständeratswahlen vom 22. Oktober 2023 verlieren. Im internationalen Vergleich mag dies wenig sein. Doch in der Schweiz, wo Stabilität als höchstes aller Credos gilt, werden solche Zahlen als herbe Verluste angesehen.

2019 noch triumphierten die Grünen in einer von den globalen Klimaprotesten geprägten Wahl mit Gewinnen von über sechs Prozent. Doch nun droht die grüne Welle endgültig abzuebben. Stattdessen sollen die rechtspopulistische SVP und die sozialdemokratische SP zulegen.

„2019 war eine außergewöhnliche Wahl“, sagt Cloé Jans im Gespräch mit der taz. Die Politikwissenschaftlerin arbeitet für das Forschungsinstitut gfs.bern. „Es gab Verschiebungen wie sonst nie. Demgegenüber ist bei den jetzigen Wahlen ein Ausgleich zu erwarten.“

Der „Prämienschock“ ist Wasser auf die Mühlen der SP

Einer der Gründe dafür: Die Themenkonjunktur. Stand 2019 noch das Thema Klimawandel im Fokus, wechselten sich in diesem Wahlkampf bislang mehrere Themen ab, wie Jans meint: „Der Krieg in der Ukraine, die Kostenfrage und da im Sommer die Zahlen gestiegen sind, auch die Migration. Jetzt jedoch stehen die Krankenkassenprämien an erster Stelle.“

Als der Bundespräsident Alain Berset Ende September einen hohen Prämienanstieg verkündete, löste dies in Medien und Bevölkerung Empörung aus. Da der „Prämienschock“ die soziale Frage befeuert, könnte die SP profitieren. Im Vergleich zu anderen sozialdemokratischen Parteien in Europa ist die SP linker zu verorten und setzt im Wahlkampf klar auf die soziale Frage. So forderte die Partei eine Anpassung der Prämien an das jeweilige Einkommen.

Die SVP hingegen – seit 1999 konstant die stärkste Partei – bewirtschaftet wie gewohnt das Thema Migration. Kündete die Partei zuerst noch einen Wahlkampf gegen „Gender-Terror und Woke-Wahnsinn“ an, warnt sie nun verstärkt vor Kriminalität und Überfremdung. In folkloristischer Manier inszenieren sich ihre Ex­po­nen­t:in­nen bei Wahlkampfveranstaltungen mit Traktor und Heuballen und verklären die Schweiz als neu­trales Alpenland.

Interesse an der Verbreitung des Themas Migration hat nicht nur die SVP, sondern auch die russische Propaganda. Laut einem Bericht der NZZ am Sonntag sei der Nachrichtendienst NDB darauf aufmerksam geworden, dass russische Bots gezielt die Verbreitung eines Videos in der Schweiz vorantrieben, das migrationsskeptische Ressentiments bedienen soll. Dass dies der SVP nützt, davon kann ausgegangen werden.

Kein politisches Beben nach Kollaps der Credit Suisse

Worüber erstaunlicherweise kaum gesprochen wird in diesem Wahlkampf, ist der Zusammenbruch der Credit Suisse (CS) und deren Übernahme durch die UBS. Der Kollaps der Traditionsbank im März brachte nicht nur den Schweizer Finanzplatz, sondern auch das internationale Finanzsystem zum Zittern.

Der Bundesrat unterstützte die Übernahme mit einer Garantie von neun Milliarden, die Nationalbank SNB mit einem Darlehen von über 100 Milliarden Franken. Das einschneidende Erlebnis löste im Frühling Diskussionen aus. Aus dem gesamten politischen Spektrum wurde Kritik geäußert, von links oft mit dem Verweis auf die Rettung der UBS 2008 und den nicht daraus gezogenen Lehren der Regierung.

Doch die Debatten über die Stellung der UBS als alleinige Großbank, deren Gefahr für die Demokratie und die Boni-Zahlungen der CS verhallten rasch. Da der Bundesrat der Übernahme unter Notrecht zustimmte, änderte auch die nachträgliche Abstimmung im Nationalrat nichts am Entscheid, der sich gegen die Übernahme aussprach.

Das Wahlsystem der Schweiz

Noch nie wollten so viele Personen ins Schweizer Parlament: 5.920 Personen kandidieren in 26 Kantonen für 200 Nationalratssitze, die grosse Kammer des Parlaments, die die Bevölkerung vertritt.

Während der Nationalrat nach Proporz gewählt wird, die Sitze also möglichst exakt im Verhältnis zum Ergebnis verteilt werden, verläuft die Wahl zur kleinen Kammer, dem Ständerat, nach dem Mehrheitswahlrecht.

Die 26 Kantone werden durch die 46 Sitze im Ständerat vertreten, wobei jedem Kanton zwei Sitze, den Halbkantonen wie Basel-Stadt oder Baselland jeweils nur ein Sitz zusteht.

Das Parlament seinerseits wählt im Dezember nach der Wahl die sieben Mitglieder des Bundesrates, der Regierung.

Im Unterschied zu Deutschland gibt es keine Regierungskoalitionen, stattdessen befinden sich bis auf die Grünen alle relevanten Parteien im Bundesrat. Koalitionen bilden sich von Sach- zu Sachfrage.

Gleichzeitig hat die Stimmbevölkerung durch die Direkte Demokratie vier Mal im Jahr die Möglichkeit, über Gesetze und Verfassungsänderungen abzustimmen. Die regelmässigen Abstimmungen dienen auch als Ventil für Unmut, weshalb die Wahlen selten zum Ausdruck des Protests verkommen und grosse Veränderungen meist ausbleiben.

„Das Thema ist abstrakt“, gibt Jans als möglichen Grund dafür an, weshalb die CS-Übernahme in der Sorgenwahrnehmung der Bevölkerung kaum auftritt. „Für viele ist unklar, was die Übernahme der CS konkret heißt. Die CS ist weiterhin sichtbar im Straßenbild. Nicht alle ihre Filialen sind auf einmal leer, die Übernahme durch die UBS ist eine schleichende Transformation.“ Zum anderen falle die Übernahme in eine Zeit, in der viele Krisen aufeinanderfolgen. „Es ist nicht dasselbe wie bei der Finanzkrise 2008, die alles durchschüttelte. Heute folgt Krise auf Krise.“ Zuerst Corona, dann der Krieg gegen die Ukraine, jetzt der Krieg in Nahost und gleichzeitig der Klimawandel – das führe in der Bevölkerung zu einer gewissen Abhärtung.

In der Schweiz ist das Vertrauen in die Politik groß

„Eine andere These wäre, dass die kollektive Erfahrung in den letzten Jahren jene war, dass man im Grunde genommen ganz gut durch alle Krisen gekommen ist“, sagt Jans. Abgesehen von den Freiheitsbeschränkungen während Corona hätten die jeweiligen Krisen keine einschneidenden Veränderungen für die Menschen mit sich gebracht. „Die Wirtschaft ist nicht zusammengebrochen. Für viele scheint das Fazit zu lauten: Wir kommen mehr oder weniger gut durch.“

Ebenso gibt Jans zu bedenken, dass in der Schweiz im Vergleich zu anderen europäischen Ländern ein hohes Vertrauen in Politik und Behörden herrscht. Gerade der Bundesrat genieße hohes Ansehen.

Doch obwohl die Übernahme der CS öffentlich keine allzu große Rolle mehr spielt, stößt das Thema bei vielen doch sauer auf. So fragt die letzte Umfrage vor den Wahlen auch nach den größten Ärgernissen unter den aktuellen Ereignissen und ob die Politik aktiv gegensteuern sollte. Während die CS-Übernahme bei der zweiten Frage klar an erster Stelle liegt, landet sie bei den Ärgernissen knapp hinter der Gender-Debatte auf Platz zwei.

Ein Zeichen dafür, dass doch nicht alles so stabil und harmonisch ist, wie die Heuballen und Sonnenblumen vermuten lassen.

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