Queere Geflüchtete in Hamburg: Schutzlos in der Unterkunft

In Hamburger Einrichtungen der Erstaufnahme gibt es keine Schutzräume für queere Geflüchtete. Betroffene wenden sich nun an den Senat.

Ein leeres Zimmer mit Hochbetten.

Keine Chance auf Privatsphäre: Mehrbettzimmer in einer Hamburger Unterkunft Foto: Christian Charisius/dpa

HAMBURG taz | „Die Duschen und Toiletten der Unterkunft konnte ich nicht benutzen“, sagt Jesika. „Auf die Frauentoilette durfte ich nicht, auf die Männertoilette wollte ich nicht. Ich musste draußen pinkeln.“

Während die Venezuelanerin erzählt und gestikuliert, klimpert ein goldenes Armband an ihrem Handgelenk, ihre langen Haare fallen über ihre Schultern auf ihr Dekolleté. Die Beine hat sie überschlagen und mit einer feinen Strumpfhose bekleidet, die Fingernägel weiß lackiert. Als ausländische Transfrau sei es in der Geflüchtetenunterkunft furchtbar gewesen, sagt Jesika. Die männlichen Bewohner hätten sie bedroht, sich über sie lustig gemacht, ihr aufgelauert und sie eingeschüchtert. „Wir brauchen Schutzräume“, sagt Jesika. „Alles, was wir wollen, ist in Sicherheit zu sein.“

Jesika ist eine von sechs queeren Geflüchteten, die per Video ihre Geschichte erzählen. Sie wenden sich an den Hamburger Senat, um Unterkünfte für queere Geflüchtete zu fordern. In Erstaufnahmeeinrichtungen gibt es bislang keine Schutzräume für LGBTQI-Personen. Erst, wenn sie in Folgeeinrichtungen umziehen, können Betroffene mit Gleichgesinnten zusammen wohnen. Dabei berichten vor allem Transpersonen immer wieder von Gewalt durch andere Bewohner oder gar das Security-Personal.

Laut Gesetz „besonders schutzbedürftig“

In einer Anfrage der Linksfraktion antwortet der Senat auf die Frage, wie die Behörden dem besonderen Schutzbedürfnis von queeren Mi­gran­t*in­nen nachkommen: „LGBTQI*-Personen werden nach Möglichkeit temporär einzeln untergebracht, bis eine weitere passende Unterbringung ermöglicht werden kann.“

Aus Angst vor Gewalt und Diskriminierung trauen sich die Betroffenen teilweise kaum aus dem Zimmer

Die Betonung dürfte hierbei auf „nach Möglichkeit“ liegen. De facto reichten die Möglichkeiten bei Weitem nicht aus, sagt Ilka Quirling, Anwältin für Migrationsrecht und Mitinitiatorin des „Projekt Artikel 21“. Die Gruppe setzt sich zusammen aus Aktiven der Flüchtlingsarbeit, sie haben auch die Videos produziert und im Rahmen mehrerer Ausstellungen gezeigt. Die Gruppe bezieht sich mit ihrem Namen auf die Aufnahmerichtlinie der EU, die in Artikel 21 die Bedürfnisse „besonders schutzbedürftiger“ Menschen regelt. In Deutschland zählt dazu auch der Schutzbedarf von LGBTQI-Personen. „Leider wird das aber nicht umgesetzt“, kritisiert Quirling.

In den Folgeeinrichtungen sieht es etwas besser aus als in den Erstaufnahmen. Nach Angaben des Senats stehen derzeit 35 Plätze in sogenannten „Schutz WGs“ zur Verfügung. In der Praxis handele es sich dabei allerdings oft nur um ein Mehrbettzimmer innerhalb einer ganz normalen Einrichtung, berichtet die Initiative „Projekt Artikel 21“. Aus Angst vor Gewalt und Diskriminierung trauten sich die Betroffenen teilweise kaum, ihr Zimmer zu verlassen.

In ihrer Arbeit, etwa mit asylsuchenden transgeschlechtlichen Personen aus Südamerika, erlebe Quirling oft, dass die Personen mehrfach traumatisiert seien. Oftmals hätten sie in ihrer Herkunftsgesellschaft Gewalt erfahren, seien von Freun­d*in­nen und Familien im Stich gelassen worden, hätten keine Jobchancen und keine Möglichkeiten der Anerkennung in ihrem Land.

Dann kämen sie hier her – und träfen auf die gleichen Strukturen, vor denen sie geflohen seien, weil sie gemäß dem Königsteiner Schlüssel je nach Herkunftsland auf Erstaufnahmeeinrichtungen in ganz Deutschland verteilt würden. Geflüchtete aus Venezuela zum Beispiel müssen nach Sachsen. Eine Mandantin von Quirling sei in Leipzig von den Security-Mitarbeitern verprügelt worden, berichtet die Anwältin.

Wenig Verständnis beim Senat

In Hamburg seien die Bedingungen besser – auch wenn sie bei Weitem nicht ausreichen, wie die Initiative betont. Im Gegensatz zu vielen ländlicheren Regionen oder kleineren Städten gibt es hier immerhin Beratungsstellen. Auch hormonelle Behandlungen, etwa im Uniklinikum, sind möglich, außerdem gibt es ein Netzwerk organisierter LGBTQI-Migrant*innen.

Die Initiative „Projekt Artikel 21“ fordert den Senat deshalb auf, queere Mi­gran­t*in­nen ab dem ersten Tag im Asylsystem gesondert unterzubringen. Im Juli wandte sie sich mit einem offenen Brief an Innensenator Andy Grote und Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer (beide SPD). Darin argumentieren sie: „Sowohl aus völkerrechtlichen als auch aus europa- und nationalrechtlichen Vorschriften ergibt sich der Anspruch von LSBTIQ gegenüber der Stadt Hamburg auf eine geschützte Unterbringung mit gesundheitlichen und psychosozialen Angeboten ab Tag eins des Asylverfahrens.“ Mit der Umsetzung dieses Anspruchs würde die Stadt ihrem Anspruch als „Rainbowcity“ gerecht. Hamburg könnte zudem als positives Beispiel gegenüber anderen Bundesländern vorangehen, indem es die Umverteilung nach dem Königssteiner Schlüssel für besonders schutzbedürftige Personen aussetze.

Eine Petition mit ihren Forderungen fand bereits 2.225 Un­ter­stüt­ze­r*in­nen, unter den Erst­un­ter­zeich­ne­r*in­nen sind neben dem Lesben- und Schwulenverband und dem Landesfrauenrat auch Beratungsstellen wie Pro Familia, der Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein sowie die Spezialambulanz für sexuelle Gesundheit und Transgender-Versorgung des Universitätsklinikums Eppendorf.

Doch weder bei der Innen-, noch bei der Sozialbehörde traf die Initiative auf Verständnis. Die Sozialsenatorin antwortete gar nicht. Auf taz-Nachfrage gab der Sprecher der Behörde, Wolfgang Arnhold, an, dass es gängige Praxis des Senats sei, sich nicht auf offene Briefe zu äußern. „Wenn in Erstaufnahme ein Fall bekannt wird, bringen wir die Person an einem bestimmten Standort unter – in einem Zimmer mit 2er-Belegung und eigenem Bad zusammen mit einer anderen queeren Person“, fügte er hinzu. Es gebe auch die Möglichkeit, dass das Amt für Migration die betreffende Person in eine LSBTIQ*-Wohneinheit in öffentlicher Unterbringung verlege.

Innensenator Grote antwortete, dass auch seine Behörde sehr bemüht sei, den besonderen Bedürfnissen von LSBTIQ gerecht zu werden. Dafür stünden die 35 Plätze in den „Schutz WGs“ bereit. Die Aussetzung des Königsteiner Schlüssels sei nicht sinnvoll – „auch um einzelne Länder, wie die Freie und Hansestadt Hamburg, nicht zu überlasten.“

Quirling meint, dass Grote ihren Brief gar nicht richtig gelesen habe. Seine Antwort findet die Anwältin „sehr unbefriedigend“. „Es ist für mich nicht nachvollziehbar, wie der Senator behaupten kann, die bestehenden Angebote würden ausreichen.“ Sie ist sich sicher, dass die Versorgungslücke bekannt sei, aber vom Senat aktiv ignoriert werde: „Es fehlt das Problembewusstsein.“

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