KZ-Gedenkstätte Neuengamme: Und vorm Fenster das Elend des KZ
Mitten auf dem Gelände des einstigen KZ Neuengamme steht das Kommandantenhaus. Dort wohnte Lagerleiter Max Pauly mit Familie. Eine Ortsbegehung.
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In Wirklichkeit aber steht man auf dem weitläufigen Gelände der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, wo 80.000 Häftlinge festgehalten wurden, von denen mindestens 42.900 starben. Und quasi zwischen ihnen, mitten im Gelände, stand dieses weiße Haus – ab Ende 1944 Wohnstatt des damaligen Lagerkommandanten Max Pauly. Seine Frau war kurz zuvor verstorben, also musste die Schwägerin mit einziehen, als Hüterin seiner fünf Kinder.
Lange hat die Familie nicht dort gewohnt: 1945, bei Kriegsende, tauchten alle in Paulys Heimat in Dithmarschen unter. Die britischen Alliierten fanden ihn trotzdem, stellten ihn in den Hamburger Curiohaus-Prozessen vor Gericht und verurteilten ihn 1946 zum Tode.
Die heile Welt der „Villa Kunterbunt“
Max Pauly ließ sich 1944 in Neuengamme – zuvor war er Kommandeur im KZ Stutthof – ein im Vergleich zur Villa des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß (dessen Familienleben dort Thema des kürzlich in Cannes prämierten Films „The Zone of Interest“ ist) eher kleines Haus auf dem Gelände bauen. Mit dem adretten Vorbau samt Eingangstreppchen atmet es, sich das Skandinavische im Sinne de NS-Ideologie als „nordisch-arisch“ aneignend, die heile Welt der „Villa Kunterbunt“.
Wie es möbliert war, weiß man nicht genau, dabei haben nach 1945 doch Angestellte des Gefängnisses dort gewohnt, der „Nachnutzung“ des früheren KZ. Später hatte der Freundeskreis der Gedenkstätte – Initiator des Besuchsprogramms für einstige osteuropäische ZwangsarbeiterInnen – dort sein Büro.
Grundriss und Raumaufteilung seien aber original, sagt Gedenkstätten-Mitarbeiterin Alexandra Köhring, die das erst seit Kurzem öffentlich zugängliche Haus zum Projektraum „NS-Verfolgte aus dem östlichen Europa“ umgestaltet hat. Original-Dekor aus den 1940ern gibt es dabei wenig: Der Holzboden ist erhalten, ein Stück Blumentapete an der Wand. Ansonsten erinnert, abgesehen von einigen Fotos von Pauly und dem frisch gebauten Haus, nichts daran, dass hier einst ein NS-Täter wohnte.
Neugierig läuft man durch die wenigen lichten Räume, beiläufig schaut man aus dem Fenster, erkennt Wiesen, Bäume, Lagerreste. „Alle Fenster sind noch am alten Platz“, sagt Frau König da, und man versteht: Damals waren hier keine gemähten Wiesen. Da lag vorm Schlafzimmerfenster die Tongrube, der härteste „Arbeitsplatz“ im Lager. Bis zur Erschöpfung mussten die Häftlinge hier Ton stechen für das nahe Klinkerwerk, aus dem die „Führerstadt Hamburg“ gebaut werden sollte. Die Arbeit war hart, die Aufseher waren brutal, die Todesraten unter den Häftlingen hoch. Dem Lagerleiter, überhaupt der SS, war es egal. Man konnte ja jederzeit „auffüllen“.
Hundezwinger und Stacheldraht
Und weiter zum nächsten Fenster: Hier sah (und hörte) man die Hundezwinger, dazu in der Ferne Wachtürme und Stacheldrahtzaum. Und wenn die Familie im – mutmaßlichen – Wohnzimmer saß, fiel der Blick auf die einstigen hölzernen Häftlingsbaracken und den backsteinernen „Häftlingsblock 1–4“, heute Sitz der Gedenkstättenverwaltung. Zur Arbeit ließ sich der Kommandant täglich mit dem Auto abholen – zu Fuß wären es fünf Minuten gewesen. Die Mahlzeiten nahm die Familie in den nahen SS-Garagen ein, wo heute eine Ausstellung zu den Täterbiografien zu sehen ist.
Was Paulys Kinder damals empfanden? Wie sie später darüber dachten? Keines von ihnen wollte reden über das Leben in diesem trügerischen Idyll, dessen Aura man sich schwer entziehen kann. Vielleicht gab es ja ein glückliches Familienleben, abgespalten vom Leid da draußen. Pauly jedenfalls tat alles für die Seinen: Er ließ die für das Haus verwendeten Häftlingsbarackenelemente verstärken und dämmen, damit es warm und heimelig wäre. Für die Häftlinge galt das nicht.
Und heute, wie geht man um mit diesem Ort? Soll man die Besuchenden ermutigen, dem Täterblick nachzuspüren, mit ungewissem Resultat? Nein, entschied die Gedenkstätte, wir balancieren das aus: Informationen über den Täter einerseits, Ausstellungen und Projekte zur den Opfern andererseits, wobei Letzteren mehr Raum gewährt wird.Ja, denkt man, das ist eine gelungene Umwidmung, und dann geht man heim – durch die Allee, über den riesigen Appellplatz zur Bushaltestelle mit den wogenden Feldern. Versucht standhaft, sich nicht von der Schönheit einfangen zu lassen. Und tut es am Ende doch, um das darunter liegende Grauen zu ertragen.
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