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Sterbenskrank mit guten Freunden

KREBS Mit „50/50“ versucht Jonathan Levine, eine Sitcom über einen Tumorkranken zu inszenieren. Drehbuchschreiber Will Reiser hat dafür eigene Erfahrungen verarbeitet und sein realer Freund Seth Rogen spielt im Grunde sich selber

VON WILFRIED HIPPEN

Auf „Fifty-Fifty“ schätzt der Arzt die Überlebenschancen des 27 Jahre alten Adam ein. Dabei lebt dieser so vernünftig und vorsichtig, dass er an der Ampel auch dann auf grün wartet, wenn er absolut alleine auf der Straße ist. Adam (Joseph Gordon-Levitt) hat ein bescheiden angenehmes Leben als Journalist in einem öffentlichen Radiosender in Seattle mit einer vielleicht etwas zu schicken Freundin und seinem alten Kumpel Kyle.

Diesen spielt Seth Rogen, der zurzeit in jeder zweiten Komödie aus Hollywood den gleichen derben Genussmenschen zu geben scheint. Wenn es eine Realverfilmung der Simpsons geben sollte, wäre er die Idealbesetzung für Homer. Doch für ihn ist dies eine sehr spezielle Rolle, denn er spielt im Grunde sich selber.

Rogen ist im realen Leben ein guter Freund des Komödienschreibers Will Reiser, der vor einiger Zeit an einem Tumor an der Wirbelsäule erkrankte. Als er über seine Erfahrungen schrieb, tat er dies in seinem Genre, und so ist „50/50“ wie eine Sitcom aufgebaut. Das Drama wird in einer Abfolge von komischen Situationen entwickelt und zum Teil kann man genau den Moment ausmachen, an dem bei einer Fernsehshow die Lacher eingespielt würden.

Dabei ist es die Fallhöhe zwischen Form und Inhalt, die „50/50“ interessant macht. Reiser und der Regisseur Jonathan Levine nehmen das Genre und seine Stilmittel ernst und loten aus, wie viel Krankheit, Schmerz und Angst vor dem Tod in diesem Rahmen darstellbar sind.

So hat die Szene, in der der Arzt Adam die vernichtende Diagnose eröffnet, einen unterschwellig sadistischen Grundton. Die faszinierend seltene Krankheit ist dem Mediziner wichtiger als der Patient, dessen Entsetzen ihn eher irritiert.

Noch am ehesten zu den typischen Figuren einer Sitcom zählt Adams Freundin Rachael, die statt eines pflegeleichten, leicht unterwürfigen Lebenspartners plötzlich einen Kranken an ihrer Seite hat, und schnell eine Affäre mit einem arrogant wirkenden Künstlertypen beginnt.

Auch die Therapeutin Katherine (die immer übereifrig wirkende Anna Kendrick) wird mit einer Pointe eingeführt: Adam ist erst ihr dritter Patient und soll als „Versuchsobjekt“ für ihre Dissertation herhalten.

Anjelica Huston spielt Adams Mutter als eine resolute Chefin, die mit ihrem an Alzheimer erkrankten Mann gleich bei Adam einziehen will und der Charakterschauspieler Philip Baker Hall sitzt mit Adam in einer Selbsthilfegruppe von Krebskranken und kommentiert dessen Krankheitsverlauf mit einem sehr schwarzen, trockenen Humor.

Fast unmerklich gewinnen all diese Figuren an Tiefe und im letzten Akt ist nicht mehr viel von den Konventionen der leicht verdaulichen Komödie übrig geblieben. Das ist schon sehr geschickt geschrieben und gespielt, vor allem von Seth Rogen, dem sein Freund Will Reiser allerdings auch eine extrem dankbare Rolle auf den Leib geschrieben hat.

Für ein deutsches Publikum drängt sich natürlich der Vergleich mit Andreas Dresens „Auf freier Strecke“ auf, und im Vergleich mit dessen radikalen Realismus ist die Darstellung der Krankheit in „50/50“ dezent und geschönt.

Am meisten schockiert noch der Moment, wenn Joseph Gordon-Levitt sich die Kopfhaare abrasiert, weil er nicht darauf warten will, dass sie während der Chemotherapie ausfallen. Dies ist und bleibt Unterhaltungskino, aber es zeigt auch, wie weit man dessen Rahmen dehnen kann.

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