Unsichtbarkeit von Long Covid: Einfach nur ausruhen
Long-Covid-Betroffene müssen noch immer für die Anerkennung ihrer Krankheit kämpfen. Nur wenige Spezialist*innen kennen sich gut aus.
G ut zwei Monate ist es nun her, dass das Gesundheitsministerium sehr medienwirksam seine Informationskampagne zu Long Covid vorgestellt hat. Für uns Betroffene hat sich dadurch vor allem eines geändert: Unsere Umwelt denkt, das Problem sei nun gelöst. Es ist, als seien die Beschwerden fort, wenn man uns Patient*innen nur besser aufklärt. Dem ist mitnichten so. Für viele der Betroffenen gibt es noch keine Heilung, allenfalls die Behandlung einzelner Symptome. Zu diesem Teil gehöre ich.
Von allen möglichen Spätfolgen des Coronavirus habe ich, wie Hunderttausende andere auch, die dämlichsten abbekommen: „Belastungsintoleranz“ und Post-Exertionelle Malaise (PEM) – eine Zustandsverschlechterung nach Belastung. Schon infolge von nur geringer Anstrengung verschlechtert sich der körperliche Gesamtzustand massiv und vollkommen unverhältnismäßig für Tage, manchmal für Wochen oder gar Monate.
Anfangs, vor eineinhalb Jahren, hieß das in meinem Fall: einmal zur Toilette gehen, für Stunden nicht nur erschöpft sein, sondern vollkommen entkräftet, Konzentrationsstörungen, Kopfschmerzen, Gliederschmerzen, Frieren, Herzrasen und vieles mehr. Andere Betroffene wären froh, sie könnten überhaupt allein auf die Toilette gehen. Inzwischen kann ich schon deutlich mehr tun, bevor die Entkräftung einsetzt. Das Problem aber besteht weiter: PEM gilt als unheilbar.
Mediziner*innen haben auf PEM keine Antwort, allzu viele kennen sie bis zum heutigen Tage noch nicht einmal. Die üblichen Mechanismen der Medizin funktionieren nicht: Sport, ein bisschen abnehmen, sich zusammenreißen – bei PEM ist das der Stoff, aus dem Bettlägerigkeit entsteht. Trotzdem hören viele Betroffene von ihren Ärzt*innen die gängigen Ratschläge.
Seit den 1960er Jahren bekannt
Man müsse sich auch mal fordern und zusammenreißen, die Erschöpfung sei bei dem Übergewicht ja kein Wunder, und ob man sicher sei, nicht unter Depressionen zu leiden. Manche Mediziner*innen halten PEM für etwas, zu dem man eine Meinung haben könne: „Ich glaube nicht dran“, sagen sie Nur einzelne Spezialist*innen kennen sich tatsächlich gut aus.
Das ist insofern erstaunlich, da die Krankheit schon seit den 1960er Jahren bekannt ist und nicht nur vom Coronavirus ausgelöst werden kann. Allerdings trägt sie den missverständlichen Namen: ME/CFS. Dabei steht CFS für chronisches Fatigue-Syndrom. Das klingt verharmlosend. Der Dramatik der Krankheit wird der Name in keiner Weise gerecht.
Wer PEM hat, kann zurzeit vor allem eines machen: nichts. Das aber mit viel Disziplin. Pacing heißt dieses Energiemanagement. Nie zu viel machen, immer aufhören, deutlich bevor es schlechter geht. Dadurch bekommt man unsere Krankheit kaum zu Gesicht. Gesehen werden wir nur, wenn es uns gut genug geht, aus dem Haus zu gehen und Sozialkontakte zu pflegen. Dann bekommen wir zu hören: „Du siehst aber ganz gut aus.“ Sehen wir auch – noch.
Zu Hause wendet sich das Blatt, denn PEM tritt zeitversetzt auf, wenn wir dann vollkommen entkräftet auf dem Sofa liegen. Grenzen einhalten, zur Ruhe finden, Pausen mache – das ist weder etwas, was wir gelernt haben, noch das, was wir uns wünschen, noch was unsere Gesellschaft uns einfach zubilligt. Die meisten von PEM Betroffenen werden ununterbrochen gezwungen, über ihre Grenzen hinauszugehen: Wir müssen den Ärzten und Ärtztinnen gegenüber darum kämpfen, ernst genommen zu werden.
Kampf um Geld und Verständnis
Wir müssen kämpfen, bis Geld kommt, das ausreicht, davon zu leben. Wir kämpfen mit den Krankenkassen, mit Freunden und Angehörigen. Und wir kämpfen mit dem eigenen Anspruch, mehr leisten zu müssen. All das kostet viel mehr Kraft, als wir haben. Es verschlechtert den Gesundheitszustand und verschleppt die Genesung.
Ich selbst genese zurzeit sehr langsam und weit weg vom Gesundheitssystem. Das lässt mich ratlos und wütend aufs „System“ zurück. In den letzten Wochen mache ich mehr Fortschritte als das ganze Jahr davor. Fortschritte, die man sogar mit bloßem Auge erkennen kann, für die man kein Mikroskop mehr braucht. Der Weg ist immer noch sehr weit. Aber jeder Zentimeter ist Freiheitsgewinn. Jede Minute Kraft zählt.
Dabei mache ich nur das, was eigentlich selbstverständlich sein sollte, wenn der Körper erschöpft und entkräftet ist: Ich ruhe mich aus und achte darauf, mich nach Möglichkeit nie zu überanstrengen, um PEM zu vermeiden. Das war es. Nur den Selbstheilungskräften nicht im Weg stehen.
Man darf alles sein, nur nicht entkräftet
Es ist reiner Zufall, dass ich ein Sabbatjahr angespart hatte, das mir erlaubt, diese Ruhe zu finden. Meine Frau und ich sind für ein Jahr ins Wohnmobil gezogen und machen eine Long-Covid-gerechte Zeitlupenreise durch Frankreich und Spanien. Ich sitze auf dem Beifahrerinnensitz, und meine Frau macht die Arbeit. Je länger die Reise geht, je weiter ich mich von jedweder Form des Angetriebenwerdens entferne, desto mehr kann mein Körper wieder leisten.
Warum wird uns eine solche Ruhe nicht zugebilligt? Oder besser noch: gleich als Kur verordnet? Rehas, in denen man trainiert, strikt seine eigenen Grenzen einzuhalten und gegen alle eigenen Wünsche nach Aktivität und Behandlung und gegen alle gesellschaftlichen Konventionen zu verteidigen. Wir leben in einer Welt, in der man alles sein darf, nur nicht entkräftet. Dabei sind längst alle erschöpft.
Der Arzt, der die Entkräftung diagnostizieren müsste, würde feststellen: Auch er geht seit Jahren über seine Grenzen. Ruhe ist die Sehnsucht unserer Zeit. Das geht so weit, dass mich manche um eine Krankheit beneiden, die ich selbst als Gruß aus der Hölle erlebe. Wie soll man uns Ruhe gönnen, wenn man sie sich selbst nicht zubilligt? Und so kämpfen wir Betroffenen weiter: gegen treibende Mediziner*innen, Verwandte und Bekannte, Behörden und den eigenen Anspruch. Dabei könnten wir mit der nötigen Ruhe vielleicht sogar gesund werden.
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