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Bremens „Women in (E) Motion-Festival“Gerechtigkeit auf der Bühne

Obwohl Musik die Sprache der Menschheit sein soll, schließt die Konzertpraxis Frauen oft aus. Das „Women in (E) Motion-Festival“ bekämpft den Missstand.

Der Machismo des Flamenco verkrümelt sich unter den Händen von „Las Migas“ Foto: Axel Wemheuer

Auch lustvoll können Missstände bekämpft werden. Das führt bereits seit 1988 das Festival „Women in (E) Motion“ vor, das in Bremen, Worpswede und Stuhr mehrere Wochen unterschiedliche Bühnen mit einem entschieden diversen Konzertprogramm bevölkert. Seit 35 Jahren kuratiert das Label Tradition & Moderne in Zusammenarbeit mit Radio Bremen und der Sparkasse dafür ausschließlich weibliche musikalische Handschriften.

Denn Musik soll zwar laut dem US-amerikanischen Dichter Henry Wadsworth Longfellow „die gemeinsame Sprache der Menschheit“ sein. Bloß kommen halt weite Teile dieser Menschheit im öffentlichen Gespräch nicht angemessen zu Wort – und insbesondere Frauen. So hat die 2022 vorgestellte Studie „Gender in Music“ ermittelt, dass Charts wie Festivalbühnen auch gegenwärtig noch zu 70 Prozent männlich besetzt sind.

Früher war die Dominanz noch größer. In ihrer privaten Erhebung kam die Bookerin und Veranstalterin Rike van Kleef auf mehr als 80 Prozent. Bei der Gema, der Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte, die sich um die Tantiemen, also um die kommerzielle Verwertung des geistigen Eigentums von Kompo­nis­t*in­nen und Tex­te­r*in­nen kümmert, ist das Verhältnis der Geschlechter noch verheerender.

In den vergangenen Jahren mehrten sich Stimmen, die angesichts vor allem männlich besetzter Positionen im Musikgeschäft Veränderungen anmahnen. Mittlerweile haben einige große Festivals eine 30-Prozentquote für „nicht männlich-gelesene Personen“ eingeführt. Gerade ein paar Tage ist es her, dass sich in Bremen die Initiative „MusicHBwomen*“ vorstellte, die sich „für Geschlechtergerechtigkeit und Diversität in der Bremer Musikkultur und -wirtschaft“ einsetzen will, als Teil einer bundesweiten Initiative, die den beschriebenen Missstand beheben will.

Im Iran ist Frauen öffentliches Singen verboten und das Musizieren auf Instrumenten weitestgehend untersagt

Die Bandbreite der so oft unerhörten Musik von Frauen für alle hat „Women in (E) Motion“ schon in der Vergangenheit aufgeblättert. Anlässlich des kleinen Jubiläums stößt man beim Blick ins Festival-Archiv beispielsweise auf Susanna Wallumrød, die durch radikal verlangsamte Versionen von Hardrock-Hymnen bekannt wurde und in ihrer norwegischen Heimat mehrfach den renommierten „Spellemanprisen“ gewonnen hat. Oder auf Ingrid Laubrock, die sich als Bandleaderin, Gastsolistin und Komponistin international einen Namen im Jazz gemacht hat.

Oder auf Grammy-Preisträgerin Ani DiFranco, als Songwriterin und Sängerin eine Institution. Die leider vor etwas mehr als einem Jahr verstorbene Sandy Dillon bestach mit einer eigenwilligen, an Tom Waits und Captain Beefheart geschulten Musik, die marokkanische Sängerin Oum verbindet die Musik ihres Heimatlandes mit Jazz, Gospel, Soul und verschiedenen afrikanischen Einflüssen, das Hedvig Mollestad Trio spielt eine brachiale Mixtur aus Jazz und Hard Rock.

Das Festival

bis 30. 9. Programm: women-in-emotion.de/

Die Geschichte ist nicht vorbei. Am vergangenen Freitag führten die im vergangenen Jahr für ihr Album „Libres“ mit einem Latin Grammy geehrten „Las Migas“ – zu Deutsch: die Krümel – aus Barcelona in der Worpsweder Music Hall vor, wie sich die Tradition des lange männlich dominierten, machistischen Flamenco in ein feministischeres Heute weiterspinnen lässt. Mit großer Spielfreude bürsten Carolina Fernández (Gesang und Tanz), Marta Robles (Gitarre), Alicia Grillo (Gitarre) und Laura Pacios (Violine) den ehrwürdigen Flamenco gegen den Strich. Wozu auch die Freiheit gehört, die Musik eine gleichgeschlechtliche Liebesgeschichte darstellen zu lassen.

Grillo erzählt dann nach der Pause eine Anekdote, die auf den Punkt bringt, was ein Festival wie „Women in (E) Motion“ nach wie vor so wichtig macht: Als sie und Marta Robles als Kinder begannen, Gitarre zu spielen, hätten sie nie und nirgends Gitarristinnen auf der Bühne zu sehen bekommen. Immer gab es nur Paco de Lucía und dessen Kollegen. Mit einer Fassung des Klassikers „Asturias“ von Isaac Albéniz führten die beiden dann vor, dass das kaum etwas mit technischen Fertigkeiten zu tun hat und umso mehr mit überkommenen Geschlechterrollen.

Dass es allein schon ein Politikum ist, wenn vier Frauen auf der Bühne Flamenco spielen, ist das eine. Las Migas nehmen sich allerdings auch noch heraus, das Nationalheiligtum des Flamenco um Einflüsse aus Jazz, Rumba, Son, Pop und sogar Spuren von Country zu erweitern – mit bestechendem vierstimmigem Satzgesang und einem kleinen bisschen HipHop, was sich nicht nur durch den subtilen Einsatz von Samples niederschlägt.

Spätestens am Ende des rund zweistündigen Abends ist es dann so wie es wohl eigentlich immer sein sollte: Da stehen vor allem vier Menschen auf der Bühne, die Musik machen. Auch wenn es so etwas wie eine Sprachbarriere geben mochte, wenn die „Palmas“, also die geklatschten Rhythmen des Flamenco, dann doch recht kompliziert sein können und die Aufforderung zum Tanz erst spät am Abend Früchte trug, war die Begeisterung einhellig.

In den kommenden Tagen dürfte es noch einige solcher Momente geben. Die neueste Ausgabe von „Women in (E) Motion“, die in der vergangenen Woche mit einem Doppelkonzert von Lady Nade und Holly Carter eröffnet hatte, bietet ein vielseitiges Programm zwischen klassischer Americana, ukrainischer Folklore und, vielleicht besonders spannend, persischer Musik: So tritt die Formation Māhbānoo am Dienstag, 19. September im Bremer Schlachthof auf. Unter Leitung des in Hamburg lebenden Musikers und Komponisten Majid Derakhshāni widmet sich dieses Ensemble der großen persischen Musiktradition. Die Musikerinnen stammen aus Teheran, wo Frauen das Singen in der Öffentlichkeit verboten und das Musizieren auf Instrumenten weitgehend untersagt ist.

Das Kulturzentrum Schlachthof belässt es nicht dabei, einer der Austragungsorte für „Women in (E) Motion“ zu sein. Im Rahmen der explizit feministischen Veranstaltungsreihe „Femme Art Club“, kurz FAC, stellt die Satirikerin und Autorin Sarah Bosetti dort ihr neues Buch „Wer Angst hat, soll zuhause bleiben – Poesie gegen Populismus“ vor. Und zwei Tage später lädt FAC unter dem Titel „Frau, Leben, Freiheit“ zum Poetry-Slam.

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