portrait: Kanzler-Kritikerin mit Basis-Problemen
Es ist ein verbitterter Abgang: Die Bundestagsabgeordnete Sigrid Skarpelis-Sperk will bei der geplanten Neuwahl im September nicht mehr antreten. Die „dauernde persönliche und politische Zerreißprobe“ werde ihr zu viel, sagte die 60-Jährige. Seit 36 Jahren ist sie SPD-Mitglied, seit 25 Jahren gehört die in Prag geborene Wahlallgäuerin dem Bundestag an. Lange blieb sie in der Öffentlichkeit unbekannt.
Das änderte sich, als sie immer häufiger gegen Kanzler Gerhard Schröders Reformpolitik wetterte. Mit der Agenda 2010 habe die Partei einen „falschen Kurs“ eingeschlagen, heute befände sich ihre Partei „in der größten Krise“ seit Bestehen der Bundesrepublik, ist ihre Überzeugung. Skarpelis-Sperk: „Als Ergebnis dieser Politik haben die Regierung und die sozialdemokratische Partei massiv an Vertrauen in der Bevölkerung verloren.“
Ihre Kritik am Bundeskanzler brachte ihr viel zwar viel Sympathien bei Linken und Gewerkschaftern ein – aber noch mehr Ablehnung bei ihren Parteifreunden im Wahlkreis 258 Ostallgäu.
„Sie hat auch nach 16 Jahren Opposition noch nicht mitgekriegt, dass wir in der Regierung sitzen“, sagte zum Abschied der Genossin der Kaufbeurer SPD-Fraktionschef Dieter Matthes. Lange Jahre hatte dieser für „die Sigrid“ Wahlkämpfe organisiert, hatte immer versucht, sie gegen den Vorwurf zu verteidigen, sie sei zu wenig volksnah. Zu selten war die Abgeordnete, die 1977 über die „Soziale Rationierung öffentlicher Leistungen“ promovierte, in ihrem Wahlkreis beim spärlich gesäten Wahlvolk der SPD präsent. „Nicht jeder Politiker muss ein Volkstribun sein“, sprach dann der Genosse Matthes.
Vor zwei Jahren dann wurde das Murren über die fortwährende Kritik der Abgeordneten am Bundeskanzler in der Heimat immer lauter. Schließlich ließen die SPD-Ortsverbände Kaufbeuren und Memmingen ihre Parteifreundin unverblümt wissen, dass sie sie nicht mehr als Direktkandidatin für ihren eigenen Wahlkreis vorschlagen werden. Es blieb Werner Gloning, dem DGB-Chef der Region Allgäu und Donau-Iller, vorbehalten, eine Respektsbekundung und Trauererklärung zu versenden. Er empfinde wirklich großes Bedauern, dass Sigrid Skarpelis-Sperk nicht mehr kandidiere, sagt der Gewerkschafter, der der Genossin hoch anrechnet, dass sie mutig gegen die „meiner Überzeugung nach falsche Politik Schröders“ zu Felde zog. Seinen Parteifreunden schreibt der DGB-Mann ins Parteistammbuch: „Viele in der schwäbischen SPD sind sich wahrscheinlich noch nicht bewusst, welchen Verlust ihre Partei dadurch erleiden wird.“
KLAUS WITTMANN
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