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Präsidentschaftswahl in SingapurMit verblüffendem Abstand

Tharman Shanmugaratnam gewinnt die Wahl in Singapur deutlich. Der ehemalige Vize-Premier holte 70,4 Prozent der Stimmen.

Tharman Shanmugaratnam ist Singapurs neuer Präsident Foto: Gian Ehrenzeller/dpa

Kuala Lumpur taz | Selbst in der von der „People’s Action Party“ (PAP), also vom Staat, gelenkten Demokratie von Singapur sind Überraschungen möglich. Davon gab es bei der Präsidentenwahl vom 1. September gleich mehrere. Mit einem Sieg von Tharman Shanmugaratnam war gerechnet worden. Dass aber der 66 Jahre alte ehemalige PAP-Mann und Ex-Finanzminister die Wahl mit sagenhaften 70,4 Prozent für sich entscheiden konnte, verblüffte selbst seine größten Fans. Der Präsident hat als zeremonielles Staatsoberhaupt keine politische Macht.

Die zweite Überraschung bestand darin, dass offenbar die ethnische Zugehörigkeit des indischstämmigen Tharman keine Rolle spielte. Die Demokratieaktivistin Kirsten Han fragt in ihrer Wahlanalyse auf www.wethecitizens.net, wozu es noch das Wahlsystem der „Representation Constituencies“ (GRCs) als eine Art Quotensystem für Inder und Malaien gebe, nachdem jetzt bewiesen sei, dass „wir durchaus in der Lage sind, einen Minderheitskandidaten zu wählen“. Singapur ist eine multiethnische Stadt, in der aber Chinesen die dominierende Bevölkerungsgruppe vor den Malaien und Indern sind.

Die These, dass Singapureaner keine Kandidaten aus anderen ethnischen Gruppen wählen, stammt ebenso von Staatsgründer Lee Kuan Yew wie die skurrilen Bedingungen für eine elitäre Kandidatur für das Präsidentenamt. Kandidaten aus der Wirtschaft müssen drei Jahre oder länger ein Unternehmen mit einem Eigenkapital von umgerechnet mindestens 342 Millionen Euro geleitet haben. Aus dem öffentlichen Dienst kommen nur Bewerber in Betracht, die durch gehobene Positionen in staatlichen Institutionen Führungskraft und Loyalität unter Beweis gestellt haben. Tharman tritt die Nachfolge Halimah Yacob an. Die ehemalige Parlamentspräsidentin war 2017 zur Staatspräsidentin gewählt worden, nachdem durch eine Verfassungsänderung nur Kandidaten aus der muslimischen malaiischen Gemeinschaft zur Wahl zugelassen wurden.

In diesem Jahr hatten neben Tharman, der in seiner Jugend ein sozialistischer Studentenaktivist war, auch der ehemalige Manager des Staatsfonds GIC Ng Kok Song sowie der ehemalige Chef eines Versicherungskonzerns Tan Kin Lian die Qualifikation geschafft. Letzterer erfüllte zwar am ehesten die Kriterien eines Anti-Establishment-Kandidaten, hatte sich aber mit frauenfeindlichen und rassistischen Bemerkungen gegen Inder selbst ins Aus geschossen.

Entwicklung und Wohlstand vor Demokratie

Die PAP ist nicht mehr unangefochten. Echte Demokratie war der Generation von Staats- und Parteigründer Lee Kuan Yew nicht so wichtig wie Entwicklung und Wohlstand. Die Enkel fordern aber mehr politische Mitsprache. Da aber keine Alternative zur PAP in Sicht ist, bleibt nur der stille Protest an der Wahlurne. Darauf setzten Han und andere Kritiker mit ihrer Kampagne, gegen die elitäre Kandidatenauswahl für das Präsidentenamt ungültige Stimmzettel abzugeben. Die erwies sich mit nur rund 50.000 ungültigen Stimmzettel als Fehlschlag. „Ich hatte mir eine größere Zahl erhofft“, sagt Han.

Die PAP feiert den Sieg ihres ehemaligen Ministers als Beweis für ihre ungebrochene Popularität. Politologen der Universitäten der Stadt halten das jedoch angesichts der jüngsten Korruptionsskandale der Regierung, des wirtschaftlichen Drucks durch Inflation und globale Krisen sowie des wachsenden Wunsches nach einer Alternative zur PAP für trügerisch.

Im Wahlkampf hatte der seit langem populäre Tharman eine größere Offenheit für die Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die Politik signalisiert. „Es gibt ein starkes Narrativ um Tharman, dass er progressiver, liberaler und vielleicht sogar linker sei als der Rest der PAP“, sagt Han und fügt skeptisch hinzu: „Ich habe das Gefühl, dass vieles davon Wunschdenken unsererseits ist, aber Wunschdenken kann auch mächtig sein.“

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