Internationales Literaturfestival Berlin: Was Worte verschweigen

Das Literaturfestival Berlin wurde am Mittwoch eröffnet. Es ging äußerst kulturbeflissen zu. Dabei hätte es Relevantes zu besprechen gegeben.

vlnr am Mittwoch in Berlin: Joe Chialo, Lavinia Frey und Claudia Roth

Von links: Joe Chialo, Lavinia Frey und Claudia Roth am Mittwoch in der Staatsbibliothek Berlin Foto: Jens Kalaene/dpa

Der Otto-Braun-Saal der ansonsten großartigen Berliner Staatsbibliothek an der Potsdamer Straße versprüht den müden Charme einer etwas groß geratenen Aula eines Gymnasiums. Hier wurde am Mittwoch das 23. Internationale Literaturfestival eröffnet. Wenn man der – allerdings unzutreffenden – These anhinge, in der Literatur sei alles superduper, hätte man sich glatt bestätigt fühlen dürfen.

Da wurde behauptet, dass Literatur „erschüttert“ und „Horizonte erweitert“, und zwar „auf magische Weise“, so die neue Chefin, Lavinia Frey. Da wurde sich darüber gefreut, dass Literatur „Orientierung in der Welt“ biete und ein perfektes Forum sei, „um Nein gegen Tyrannen“ zu sagen, so die grüne Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Da wurde gleich zu Beginn gewusst, dass dieses Festival „eine neue Seite in seiner Erfolgsgeschichte“ aufschlagen werde, so der Berliner Kultursenator Joe Chialo (CDU).

Die Floskeldichte war hoch. Chialo zitierte dann auch noch Hesse mit dem Anfang und dem Zauber, der ihm innewohne. Und bis zu Claudia Roth hat sich noch nicht herumgesprochen, wie abgenudelt Kafkas Zitat von den Büchern als der „Axt für das gefrorene Meer in uns“ inzwischen ist. Sie las es gleich zweimal vor.

Viel guter Wille, viel Schulterklopfen

Nun, Reden von Po­li­ti­ker*in­nen halt, die nichts falsch machen wollen. Und auch nichts dagegen, gute Laune zu verbreiten. Nur, geistreich war’s eben nicht. Dafür viel guter Wille und Schultergeklopfe. Und so wichtig die öffentlichen Hilfen etwa in der Coronazeit auch waren – bei dieser Eröffnung konnte man ein leises Unbehagen darüber entwickeln, wie selbstverständlich die Kulturpolitik inzwischen als Mäzen auftritt und auch begrüßt wird.

Ganz selbstverständlich wer­den da Erwartungshaltungen formuliert. Literatur soll dies, soll das. Für den Zusammenhalt der Gesellschaft stehen, für Internationalität, für das Gute, die Reflexion von KI, für Bildung. Aber sollte Literatur nicht auch ein Bereich sein, in dem alles hinterfragt wird, vor allem auch die Politik, aber auch immer wieder die Literatur selbst?

Francesca Melandri, die Autorin des lesenswerten Romans „Alle außer mir“ und Eröffnungsrednerin, machte in ihrer Ansprache viel daraus, dass gerade hehre Worte gleichzeitig etwas verschweigen können. Sie bezog das auf die amerikanische Unabhängigkeitserklärung, deren Verfasser Thomas Jefferson Sklavenhalter war, und auf die russische Rede vom Großen Vaterländischen Krieg gegen Hitler, die die Gräueltaten der Roten Armee vor 1941 und nach 1945 beschweigt.

Betonte Zuversichtsperformance

Doch man kam an diesem Abend nicht drum herum, dieses Motiv, das Melandri in ihrer kunstvollen Rede etwas überzog, auch eine Nummer kleiner auf den Umgang mit Literatur zu beziehen. Die betonte Zuversichtsperformance des Abends verdeckt jedenfalls, dass in unserer Gesellschaft mit dem Schrei­ben von Büchern und überhaupt mit der Produktion von Text in der Breite kein Geld zu verdienen ist (mit Kulturmarketing aber schon).

Die forciert präsentierte Bildungsbeflissenheit verschweigt, in welches Rattenrennen der Mittelbau unser Unis gezwungen wird (Stichwort #ichbinhanna). Und überhaupt, dass die Literatur in solchen Grußworten so hoch gehängt wird, als könne sie gleich alle Weltprobleme lösen, geht etwas nonchalant darüber hinweg, dass in der Wirklichkeit an ihrer Relevanz kräftig gesägt wird.

Über die drohenden Sparmaßnahmen im Kulturbereich beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk, nur zum Beispiel, hätte man auch reden können. Und über die Arbeitsbedingungen auf dem kulturellen Feld gerade bei dieser Gelegenheit auch. Ulrich Schreiber, der bisherige Leiter des Festivals, musste schließlich auch deshalb gehen, weil er, bei allen inhaltlichen Verdiensten, Mit­ar­bei­te­r*in­nen verschlissen hat.

Zeitgemäße Mitarbeiterführung

Während das aktuelle Programm noch zu großen Teilen von ihm organisiert wurde, hat Lavinia Frey, die neue Leiterin, gerade an den Stellschrauben hin zu einer zeitgemäßen Mitarbeiterführung gedreht. Dass man das alles, wenn Schreiber im Publikum sitzt und die Veranstaltung auch eine würdevolle Staffelübergabe sein soll, nicht im Detail ausbreitet – klar. Aber ganz so glatt darüber hinweggehen hätte man auch nicht müssen.

Das Programm des Festivals ist übrigens gut. Es wird noch bis zum 16. September viel diskutiert: über Flucht und Vertreibung, den Ukrainekrieg, die Demokratie, die gefährdete Umwelt, die Geschlechterrollen. Das alles hätte eine kulturell selbstbewusstere, nicht so vor Beflissenheit strotzende Eröffnung verdient gehabt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.