„Panther Challenge“ in Deggendorf: Das Abenteuercamp der Bundespolizei

Die Bundespolizei biete das „härteste Schülercamp Deutschlands“ an. Das sei aber keine Werbemaßnahme, sondern es gehe um Aufklärung.

Jungen und Mädchen in Uniformen schreien ausgelassen und werden gefilmt von Leuten, die Bundespolizeiuniformen tragen

In Deggendorf ist Po­li­zis­t:in sein nur ein großes Spiel Foto: Axel Bradatsch

DEGGENDORF taz | Stramm stehen 99 Teenager in der Sporthalle der Bundespolizei in Deg­gendorf, Niederbayern. Sie tragen schwarze T-Shirts und dunkelblaue Uniform-Cargohosen der Polizei. Schweiß rinnt ihnen die Stirn herunter. Ziemlich aus der Puste und in Socken formieren sie sich in Hufeisenkonstellation um Polizeidirektor Mario Konjević herum: außergewöhnlich gehorsam für Menschen in ihrem Alter.

Es ist der letzte Abend der „Panther Challenge“, des „härtesten Schülercamps Deutschlands“, wie die Bundespolizei die drei Tage auf ihrem Gelände selbst bewirbt. „Wie weit gehst du für deinen Traumjob?“, fragt sie und lädt den Sommer über an fünf verschiedenen Standorten deutschlandweit Schü­le­r:in­nen zwischen 14 und 19 Jahren ein, den Job kennenzulernen. Die Challenge ist etwas zwischen Sommerferiencamp, Sportfreizeit und Berufsorientierungspraktikum. Einer der Standorte ist die Stadt Deggendorf in Bayern, wo das Praktikum – benannt nach dem Deggendorfer Funkrufnamen „Panther“ – 2014 das erste Mal stattfand.

In Gruppen treten die Teilnehmenden des Camps gegeneinander an, spielen an verschiedenen Stationen die Aufgabenbereiche der Bundespolizei nach: Tatortsicherung, Festnahme in einem Übungsbahnwaggon, Lkws ziehen.

Die letzte Challenge des Tages ist vielleicht 15 Minuten her: Auf einer Rasenfläche zwischen Bürogebäuden und geparkten Einsatzfahrzeugen sind die Gruppen auf einer Art Viererholzski um die Wette gelaufen. Es fängt an zu nieseln an diesem Mittwochabend. Die Übernachtung wurde bereits offiziell von den Zelten in die Turnhalle verlegt. Dort spricht Mario Konjević zum potenziellen Polizeinachwuchs.

Es geht angeblich auch um Spaß

„Die letzte Übung war das absolute Highlight, warum?“, fragt er in die Runde. Als Reaktion auf die Frage gibt es ein paar brave Meldungen: Die Übung stärke die Kommunikation untereinander, den Teamgeist, die Disziplin, die Ausdauer. Erst zum Schluss sagt dann doch jemand: „Und sie hat Spaß gemacht.“ Der Polizeidirektor wirkt fast erleichtert darüber: „Genau, und Spaß ist immer eine Frage der inneren Einstellung, auch im Berufsleben.“ Er bedankt sich für die Teilnahme. Ob es noch Fragen gebe? Wann denn Abendessen sei, fragt jemand.

Miterfinderin der Panther Challenge ist Assanassia Konjević, Einstellungsberaterin der Polizeistation Deggendorf – Anfang 40, sportlich und sehr engagiert, drei silberne Sterne auf den blauen Schulterklappen ihres kurzärmligen Uniformhemds. Sie kümmert sich darum, dass das Camp reibungslos abläuft, und ist dabei sehr bemüht darum, ein gutes Bild vom Projekt und der Polizei abzugeben.

Sie wird nicht die Einzige an dem Tag sein, die ungefragt auf den Social-Media-Film der Bundesbereitschaftspolizei zur Panther Challenge in Bad Berg­zabern, Rheinland-Pfalz, zu sprechen kommt, der im Juni für negative Reaktionen sorgte. Hier laufen die Schü­le­r:in­nen bei einer Demonstrationssituation neben Wasserwerfern her. Diese werden bei der Übung gegen Demonstranten eingesetzt, die Ähnlichkeiten mit vermummten Antifa- und straßenblockierenden Klimaaktivisten haben. Das sei nicht parteiisch gemeint gewesen, sondern eben gerade ein für die Bundespolizei aktuelles Thema, versucht später ein anderer Polizist zu erklären.

In einem Besprechungsraum, gefühlt seit den 1960er Jahren nicht neu eingerichtet, erzählt Konjević, dass auch die Bundespolizei unter Fachkräftemangel leidet, und wie sie die junge Generation wahrnimmt: „Sie sind zielstrebiger, wissen, was sie wollen. Da jeder Nachwuchs sucht, haben sie die Wahl. Das merkt man. Aber auch die Abbrecherquote ist höher als früher.“ Umso wichtiger scheint es also, die potenziellen Auszubildenden früh zu informieren, was sie erwartet, und sie nachhaltig auszuwählen. Für die Panther Challenge seien dieses Jahr etwa 400 Bewerbungen in Deggendorf eingegangen. Die meisten von ihnen aus Bayern, einer sei extra aus Mallorca eingeflogen.

Ausreichende Deutschkenntnisse und Willensstärke

Die Anforderungen für das Praktikum sind ähnliche wie die für die Ausbildung zum mittleren Dienst: Mittlere Reife (zumindest in Aussicht), ausreichende Deutschkenntnisse, Teamfähigkeit und Willensstärke sowie „kerngesund und fit“ sein. Wie Konjević es ausdrückt, „aufnahmefähig“ sein, denn: „Es wäre ja schade, wenn sie sich danach nicht bewerben könnten.“ Von den Teilnehmenden in Deggendorf sagen tatsächlich die meisten, dass sie sich nach dem Praktikum für eine Ausbildung im mittleren Dienst bewerben möchten.

Trotz Internet und mehr Aufklärung blieben die Gründe der jungen Generation für die Berufswahl ähnlich wie bei ihr selbst damals, sagt die Polizeihauptkommissarin. Es sei ein Traumberuf, viele möchten „etwas Gutes tun, helfen“. „Oder suchen einen Beruf, den man mit Sport verbinden kann. Hier ist Aufklärung sehr wichtig. Die meisten erwarten nur Action. In Wirklichkeit bedeutet Bundespolizist zu sein auch viel Warten, sich in Bereitschaft befinden, juristische Texte lesen. Es ist nicht wie bei ‚Alarm für Cobra 11‘.“

Fragt man die Challenge-Jugendlichen, warum sie zur Bundespolizei möchten, kommen Antworten, die fast wie von einem Werbeflyer der Polizei klingen: sicherer Arbeitgeber, abwechslungsreicher Beruf, draußen aktiv sein können. Die eine träumt von der Hundestaffel, ein anderer davon, einen Heli­kop­ter zu fliegen. Und viele möchten eben einen Beruf, den man mit Sport verbinden kann. Körperlich fit sind sie hier alle.

Eine Gruppe, Jungs und Mädchen gleichermaßen vertreten, ruht sich zwischen den Stationen am Wasserkanister aus. Ob sie sich denn für Politik interessierten? Kurzes kollektives Schweigen, dann betretenes Lachen. „Bei Politik wissen wir noch nicht wirklich Bescheid, da ist es besser, wenn man jetzt noch nichts sagt“, sagt ein Mädchen mit blauen Augen in bayerischem Dialekt. Und eine andere: „Ich habe noch keinen Politikunterricht in der Schule.“ Sie sei erst 14, die untere Altersgrenze für das Praktikum. Erst mit 15 könnte sie sich für die Ausbildung zum mittleren Dienst bewerben. Offiziell gehört „Demokratieverständnis“ zu den Voraussetzungen, die man für eine solche Bewerbung erfüllen muss.

„Als Polizist darf man sich sowieso nicht politisch äußern“, antwortet ein etwas älterer Junge fast verteidigend. „Ist doch egal, ob man eine politische Entscheidung gut findet, wir müssen unsere Aufgaben ausführen für den Staat. Unser Job ist es trotzdem zum Beispiel, die Politiker zu beschützen, egal wie wir die finden. Olaf Scholz – um ein Beispiel zu nennen – ist auch ein Mensch.“ Die anderen nicken alle. Jemand sagt: „Ich hätte kein Problem damit, für andere Menschen mein Leben aufs Spiel zu setzen.“

Kritische Fragen erlaubt

Dann geht es für die Gruppe zu einer Art polizeilichem Escape Room. Der Gruppenführer – jede Gruppe bekommt zu Beginn einen zugeteilt, der immer in der Nähe ist – liest mit ernster Stimme die Aufgabe vor: Das Team soll unter Zeitdruck Spuren sammeln und ein Rätsel lösen. Schnell übernimmt ein Mädchen das Kommando. Die anderen folgen, räumen vorsichtig Mappen zur Seite, stellen sie wieder zurück. Um sie herum überwachen Polizisten die Übung und analysieren zugleich das Profil der Jugendlichen. Ein Polizist erklärt, dass auch solche Anführertypen wie das Mädchen gesucht würden. Die jungen Leute aber zum großen Teil viel braver und digitaler unterwegs seien als ihre Vorgänger. Auch das sei zu berücksichtigen.

„Natürlich sind die Stationen adressatengerecht“, erklärt Assanassia Konjević, die mir beim Herumführen auf dem Gelände kaum von der Seite weicht. Aber: „Uns ist wichtig zu betonen, dass das hier keine Werbemaßnahmen sind. Wir möchten die 99 Schüler nicht für uns gewinnen, sondern aufklären.“ Dafür lasse man die Schü­le­r:in­nen auch die Körperschutzausrüstung bei Hitze tragen oder erkläre ihnen, dass Bun­des­po­li­zis­t:in­nen deutschlandweit eingesetzt werden, auch Grenzschutz und polizeiliche Schutzaufgaben im Ausland gehören zu deren Aufgabenbereichen.

Auch für die Eltern – die 70 Euro pro Kind für die zwei Übernachtungen im Zelt oder in der Turnhalle zahlen – habe es einen Infoabend gegeben. Im letzten Jahr hätten sich letzten Endes „nur“ 65 Prozent der Teilnehmenden für einen mittleren Dienst bei der Bundespolizei beworben, sagt Konjević. Dass der Job das ganze Leben eines Bundespolizisten bestimmt, spürt man spätestens, als sie am Abend während der letzten Übung ihre Kleinkinder im Arm hält.

Für die kritischen Fragen – und die dürften alle gestellt werden, betont Konjević – seien die Gruppenführer da. Ob viele kritische Fragen kommen, ist fraglich. Der Ruf der Polizei unter den Schü­le­r:in­nen ist gut. Die Bundespolizei stehe für Sicherheit und Gerechtigkeit, bestätigen sie, „ein guter Helfer in brenzligen Situationen“. Auch in ihren Freundeskreisen scheint es kaum jemanden zu geben, der ihren Berufswunsch kritisiert, wenn dann als „zu gefährlich“ oder „spießig“. Zu den Anforderungen der Bundespolizei gehören auch keine Tätowierungen auf Händen, Hals oder im Gesicht, keine Vorstrafen, keine hohen Schulden.

Persönliche Erfahrungen mit der Polizei hat von den Befragten kaum jemand gemacht, wenn überhaupt bei großen Menschenansammlungen im Stadion. Die Polizei sei dafür da, angemessen zu reagieren, wenn es zum Beispiel zu Ausschreitungen kommt, sagt ein Schüler. Was denn angemessen sei? „Na ja, wenn jemand nur beleidigend ist, wäre den zusammenzuschlagen nicht angemessen. Aber ich glaube nicht, dass die Polizei so was macht“, antwortet er. Kein Widerspruch aus der Gruppe.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.