Lausitz Festival: Die Lausitz als Behauptung
Das Lausitz Festival will Dinge zusammenbringen, die sonst wenig miteinander zu tun haben: nicht zuletzt auch die Nieder- mit der Oberlausitz.
Zuerst fallen nur ein paar Tropfen. Dann kracht irgendwo über den weiten Ebenen der Niederlausitz der Donner. Blitze zucken am schwarzen Himmel, Wind beginnt zu wüten. Er krallt sich an Regenschirme, fährt in Röcke und Frisuren und unter die Planen der Catering-Aufbauten. Bald stehen die Verkäuferinnen am Würstchenstand ohne Dach über dem Kopf im Regen, doch stoisch setzen sie ihre segensreiche Tätigkeit fort. Kultur macht die Menschen hungrig.
Das kleine Gewitter ist auch eine willkommene Erfrischung nach der Schwüle des Tages und der Hitze des Saales. Im Hangar 1 des ehemaligen Cottbuser Flughafens ist soeben das Eröffnungskonzert des Lausitz Festivals zu Ende gegangen. „Eröffnungsaktion“ haben sie diesen Abend vergangene Woche genannt, weil „Konzert“ wohl zu langweilig klänge und zu kurz griffe. Nach einer Umbaupause soll nämlich DJ Hell dem Hangar noch ein bisschen mehr einheizen.
Vor dem Gewitter aber haben die Dresdner Philharmonie sowie der Tschechische Philharmonische Chor Brno unter dem Dirigat Sylvain Cambrelings Giuseppe Verdis „Quattro pezzi sacri“ gegeben – eine musikalisch und stimmlich eindrucksvolle Performance, die anschließend ihren avantgardistischen Kontrapunkt in Bernd Alois Zimmermanns selten gespielter „Ekklesiastischer Aktion“ findet. „Ich wandte mich um und sah an alles Unrecht, das geschah unter der Sonne“ lautet ihr voller Titel. Der Sänger Bo Skovhus und der Schauspieler Rainer Süßmilch haben sich auf schwebende Bauträger in luftiger Höhe begeben, um von oben Dostojewski- und Bibelworte auf die Menschen zu schleudern, während das Orchester mit einer von Luigi Nono entlehnten Zwölftonreihe eher begleitende Akzente setzt, am Schluss aber mit einem gewaltig auftrumpfenden Choralfragment das letzte Wort behält.
„Hereinforderung“ ist das Inspirationswort des diesjährigen Lausitz Festivals, bei dem noch bis 10. September an verschiedenen Orten Konzerte, Theater, Tanz, Film und anderes mehr zu erleben ist. Programm: www.lausitz-festival.eu
Schwere Kost, fürwahr, für einen ersten Festivalabend, und umso beglückender ist es, später zu sehen, wie zu den elektronischen Klängen, die DJ Hell unter farbigen Lichtspielen in den Hangar zaubert, auch viele Menschen rhythmisch zucken, die weder alters- noch klamottenmäßig je in einem Club anzutreffen wären. Zwar hätten in den Hangar zehnmal so viele Tanzwillige gepasst, da gibt es viel Luft nach oben. Aber der Stilebenen-Mix kann allemal gelungen genannt werden, und das Bewegungsangebot sorgt nach der vorangegangenen musikalischen Verdichtung existenzieller Gedankenschwärze für wohltuende Entladung.
Dinge zusammenbringen
So etwas kann ein Festival: Dinge zusammenbringen, die sonst eher berührungslos nebeneinanderher laufen. „Das Lausitz Festival ist vorbildlos“, sagt Intendant Daniel Kühnel anderntags im Pressegespräch, und das gelte in mehrfacher Hinsicht. Nicht nur als Mehrspartenfestival falle es aus dem üblichen Rahmen, sondern auch insofern, als zwei Bundesländer gemeinsam als Träger daran beteiligt seien. Achtzig Prozent der Gelder aber kommen vom Bund.
Daniel Kühnel, Intendant des Lausitz Festivals
Die Lausitz erstreckt sich über Teile Brandenburgs und Sachsens, reicht sogar bis in polnisches Gebiet hinein. Die Städte Cottbus und Görlitz verantworten das Festival in gleichberechtigter Trägerschaft: Cottbus als urbanes Zentrum der Niederlausitz, Görlitz als größte Stadt der südlich gelegenen Oberlausitz. Nicht zuletzt ist es ein Anliegen des Festivals, ein Gefühl der Verbundenheit zwischen Ober- und Niederlausitz zu stärken – oder stellenweise auch erst herzustellen. „Die Lausitz ist eine Behauptung. Diese Region wird von Fliehkräften bestimmt, die sie in alle Richtungen ziehen, nur nicht in eine Mitte“, sagt Kühnel und bekennt, er habe anfänglich unterschätzt, wie sehr die beiden Teilregionen miteinander fremdeln könnten. Und dann erlebte das Festival ausgerechnet im Coronajahr 2020 seinen ersten Jahrgang, was das Sich-einander-Annähern nicht leichter machte.
Übrigens ist es natürlich nicht so, als gäbe es sonst in der Lausitz keine Kultur. Gleichzeitig mit Festivalbeginn feiert in diesem Jahr etwa das Staatstheater Cottbus groß Saisonstart. Das ist allerdings Zufall. Man habe sich, sagt Festival-Geschäftsführerin Maria Schulz, nun einmal darauf festgelegt, das Festival jedes Jahr genau am 25. August beginnen zu lassen, egal welcher Wochentag gerade sei. So könnten alle Partner beizeiten planen.
Zu den Spielorten, die über die gesamte Lausitz verteilt sind, gehören natürlich etablierte Kulturstätten wie eben das Staatstheater Cottbus, in dem dieses Jahr der polnische Pianist Piotr Anderszewski konzertieren wird, oder das Gerhart-Hauptmann-Theater in Zittau. Es gibt aber auch deutlich raueres Ambiente, und manche Spielorte seien sogar erst für das Festival erschlossen worden, betont Daniel Kühnel. Das gelte zum Beispiel für die riesige Danner-Halle auf dem Telux-Gelände in Weißwasser, aus der man erst massenweise Sondermüll habe entsorgen müssen. Am 2. September findet dort eine Uraufführung statt. Das Tanzstück „Gletscher“ handelt laut Vorankündigung von „erhofften Heimaten, zurückgelassenen Träumen, aufgefressenen und auffressenden Landschaften“.
Schauplatz Weißwasser, Oberlausitz: Das Telux-Gelände, auf dem einst zweieinhalbtausend Menschen in der Glasproduktion arbeiteten, wird mittlerweile von der Kultur davor bewahrt, zur Industrieruine zu werden. Auf einem kleinen Teil des riesigen Werkes werden bis heute Spezialgläser hergestellt, der größere Teil aber ist von der Produktion aufgegeben worden und stellenweise schon umgewidmet. Ein Verein für Jugend- und Kulturarbeit hat Räumlichkeiten hergerichtet, betreibt eine Bar und organisiert Workshops und Abendveranstaltungen.
Shakespeare zurechtgestuzt
Das Lausitz Festival ist zum wiederholten Mal auf dem Gelände zu Gast. Mehrere Produktionen werden hier gezeigt; die erste Premiere ist – am zweiten Festivalabend – Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ in einer Inszenierung von Stefan Pucher und einer Textfassung von Malte Ubenauf, der das Drama auf sein Grundgeäst zurückgestutzt und Texte von Gertrude Stein darin verwoben hat. Spielort ist der sogenannte Lehrofen, eine Halle, in der es aus zahlreichen Öfen rot lodert. An den Wänden hängen noch Schilder: „Scherbenlager“ steht da oder „Abteilung Hart- und Weichglaskolben“.
Zwei Personen stehen an diesem Abend für das ganze Drama, und dem alten Betriebstelefon der Halle kommt eine wichtige dramaturgische Rolle zu. Samuel Weiss spielt außer einem sehr eindringlichen Shylock auch dessen Antipoden Antonio sowie einen eitlen Bassanio. Katharina Marie Schubert gibt eine munter naseweise Porzia sowie eine Richterfigur, die über Porzias eigentliche Rolle in der Gerichtsszene weit hinausgeht und den rachedurstigen Juden mit einer Mischung aus Schläue und Rechthaberei fertig macht. Zwischendurch kommt ein Junge und schürt den Ofen – und damit auch allerlei beklemmende Assoziationen.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
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Zum Schluss ein klassischer Lausitz-Schauplatz: Bad Muskau. Hier steht das Schloss des berühmten Gartenfürsten Pückler, und dahinter liegt sein Park, durch den die Neiße fließt. Am anderen Ufer ist schon Polen.
Durch das binationale, 830 Hektar große Kulturerbe lässt sich schlendern ohne Ende, auf den Hauptwegen darf auch Fahrrad gefahren werden. Im Schloss lädt eine bunte Dauerausstellung ein, mehr zu erfahren über das Leben des in England einst als „Prince Pickle“ verspotteten Gartenvisionärs. Und nebenan im alten Kavalierhaus hat das Lausitz Festival wieder einen schönen kulturellen Kontrapunkt gesetzt. Noch bis zum 17. September ist zwischen rohem Mauerwerk die Ausstellung „So lange ich kann“ zu sehen, die Werke zeitgenössischer KünstlerInnen zeigt. Monica Bonvicini zum Beispiel ist mit einer Installation vertreten.Das wohl ikonischste Stück im Haus aber ist eine kleine Skulptur von Georg Herold: Sie besteht in einer alten Socke, die der Künstler auf ein Drahtgestell gespannt hat. Das Werk trägt den Titel „Statement“. Denn nicht nur die Lausitz ist eine Behauptung.
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