Chinas Arbeitslosigkeit und Intransparenz: Eigene Probleme schön kaschiert

Die Jugendarbeitslosigkeit ist in China stark gestiegen. Doch das Statistikamt veröffentlicht keine Daten mehr. Dieser Lösungsansatz hat System.

Junge Chinesen sitzen an Tischen

Befragungen bei einer Jobbörse in Peking: zu wenige junge Chinesen finden Arbeit Foto: Marc Schiefelbein/ap

PEKING taz | Nichts fürchtet Pekings Parteiführung mehr als perspektivlose Jugendliche, die ihren Frust auf die Straße bringen. Umso alarmierender ist die Jugendarbeitslosigkeit in den chinesischen Städten, die zuletzt im Juni ein historisches Rekordhoch von 21,3 Prozent erreicht hat. Nahezu sicher ist, dass der Wert seither weiter steigt: Allein im August sind mehr als 11 Millionen Universitätsabsolventen auf den Arbeitsmarkt geströmt.

Am Dienstag hat nun das Pekinger Statistikamt eine „Lösung“: Die Behörde gab kurzerhand bekannt, die Daten zur urbanen Jugendarbeitslosigkeit nicht mehr zu veröffentlichen. Angesichts der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung müsse die Statistik „weiter optimiert werden“, sagte Sprecher Fu Linghui. Seine Aussage klingt, als stamme sie direkt vom Orwell’schen „Ministerium für Wahrheit“.

Auf der Online-Plattform Weibo reagierten chinesische User mit Zynismus und Kritik. „Die Arbeitslosenquote hat offensichtlich die Kapazitäten des Statistikamts überstiegen“, schreibt etwa einer. Ein anderer meint: „So was kann man sich echt nicht ausdenken.“ Manche Kommentatoren merken ironisch an: Man müsse der Behörde zugutehalten, dass sie die Daten zumindest nicht fälschen würden.

Zweifelsohne ist die Volksrepublik China unter Staatschef Xi Jinping zunehmend zu einer Blackbox geworden. Die Regierung versucht, mit weitreichender Intransparenz und Zensur eigene Probleme zu kaschieren.

Wie die kapitalistischen USA

Während der knapp dreijährigen Jahren „Null Covid“-Isolation hat der 70-jährige Xi mit einer unglaublichen Geschwindigkeit dafür gesorgt, immer mehr Missstände vor der Öffentlichkeit zu verstecken: Zuvor öffentliche Statistiken wurden nicht mehr publiziert, akademische Datenbanken fürs Ausland gesperrt und etliche Korrespondenten des Landes verwiesen.

Es ist mittlerweile schwer, sich ein akkurates Bild über den Status quo des Landes zu machen: Wegen eines im Juli eingeführten „Anti-Spionage-Gesetzes“ stehen etwa harmlose Marktrecherchen unter Verdacht, gegen die nationale Sicherheit zu verstoßen. Chinesische Wirtschaftsexperten, die zuvor ihre unabhängigen Analysen auf den sozialen Medien des Landes teilen konnten, hat der Staat in den letzten Monaten ruhiggestellt.

Umso widersprüchlicher wirkt es, wenn die chinesische Regierung derzeit mit allen Mitteln versucht, ausländische Investitionen anzuwerben. Diese sind im laufenden Jahr nahezu zum Stillstand gekommen. Der Wert für das zweite Jahresquartal fiel so schlecht aus wie seit Ende der 1990er Jahre nicht mehr. Zu Beginn der Woche publizierte schließlich der Staatsrat ein Politpapier mit 24 Punkten zur „Steigerung der Attraktivität für ausländische Investitionen“.

Doch das Kernproblem adressiert das Papier nicht: Die fehlende Rechtssicherheit in China, gepaart mit der widersprüchlichen Politik des Kontroll-Freaks Xi Jinping. Oder anders ausgedrückt: Wer möchte in ein Land investieren, in dem selbst führende Unternehmer und sogar Außenminister spurlos verschwinden können? Bis heute hat die Außenwelt keine Informationen über den Verbleib vom 57-jährigen Qin Gang, der noch bis vor wenigen Wochen die Volksrepublik auf der diplomatischen Bühne vertreten hat, ehe er spurlos von der Bildfläche verschwand.

Dass die chinesische Regierung nicht offen mit ihren Schattenseiten umgeht, ist keine neue Entwicklung. Seit 2005 veröffentlichen die Behörden beispielsweise nicht mehr den sogenannten Gini-Koeffi­zienten, der die relative Ungleichheit einer Gesellschaft misst.

Offenbar möchte die KP-Führung vor ihrer Bevölkerung geheim halten, dass die Schere zwischen Arm und Reich in dem kommunistisch regierten Land mindestens ebenso weit auseinandergeht wie beim kapitalistischen Erzfeind USA.

Schuld hat immer das Ausland

Am beschämendsten vielleicht war die Informationspolitik während der Covid-Pandemie: Die Fernsehmoderatoren der Abendnachrichten priesen täglich die niedrigen Inzidenzen im eigenen Land und stellten ihnen die unzähligen Corona-Toten der Vereinigten Staaten mit wenig verhohlener Schadenfreude gegenüber. Doch als China unvorbereitet die Pandemie-Maßnahmen lockerte, stellte man schlicht die Publikation sämtlicher Daten ein – es gab plötzlich weder Sterbedaten noch Covid-Zahlen.

In China leben die meisten Leute unter einer streng kontrollierten Informationsumgebung, durch die kaum negative Meldungen gelangen. Die Leute, die sich in den sozialen Medien des Landes über das verlogene Vorgehen der Behörden beschweren, sind gemessen an den 1,4 Milliarden Chinesen eine verschwindend geringe Minderheit.

Dennoch ist offensichtlich, dass das Vertrauen in den seit der wirtschaftlichen Öffnung gültige Gesellschaftsvertrags in China sinkt. Die Kommunistische Partei legitimierte ihre Macht stets mit dem – höchst erfolgreichen – Versprechen an die Bevölkerung, ihnen eine materiell bessere Zukunft zu ermöglichen.

Xi Jinping lädt die Schuld beim Ausland ab

Erstmals seit der Pandemie ist der Wachstumsmotor jedoch massiv ins Stottern geraten: Die Jugendarbeitslosigkeit in Rekordhöhe, die hoch verschuldeten Lokalregierungen, eine Immobilienkrise und die Deflation in China sind nur die augenscheinlichsten Indikatoren dafür.

Damit das Volk jedoch die Verantwortung nicht bei der eigenen Regierung sucht, lädt Staatschef Xi Jinping die Schuld jedoch kategorisch beim Ausland ab: Die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten wollten Chinas Aufstieg unterdrücken, sagte der Parteichef unmissverständlich.

Und seit Jahren arbeitet Xi auch daran, den einst geltenden Gesellschaftsvertrag Schritt für Schritt umzuschreiben: Wenn die Kommunistische Partei keinen Wohlstand mehr liefern kann, sorgt sie doch zumindest dafür, dem historisch durch Kolonialismus geschmähten Volk seinen nationalistischen Stolz zurückzugeben.

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