piwik no script img

Debatte über VergesellschaftungEin Rahmen bringt nichts

Im Abgeordnetenhaus wird über den Bericht der Expertenkommission diskutiert. Scharfe Kritik gibt es an den Senatsplänen für ein Rahmengesetz.

Der Wille der Berliner WählerInnen wurde missachtet Foto: Stefan Boness

Berlin taz | Innerhalb der nächsten zwei Wochen wollen sich verschiedene Senatsverwaltungen zu einem Auftakttreffen zusammensetzen, um über ein Vergesellschaftungsrahmengesetz zu sprechen. Das kündigte Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler (SPD) am Montag im Abgeordnetenhaus an, in dem über den im Juni vorgestellten Abschlussbericht der Enteignungskommission diskutiert wurde. Diese hatte ein Jahr lang unter Leitung der ehemaligen Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin die rechtlichen Rahmenbedingungen für Vergesellschaftungen unter die Lupe genommen und war im Grundsatz zu dem Ergebnis gekommen, dass diese möglich seien.

Bei dem Treffen soll unter Federführung der Senatsverwaltung für Finanzen über den Inhalt eines Rahmengesetzes und einen Zeitplan gesprochen werden. Das Ziel sei, so Gaebler nun im Stadtentwicklungsausschuss, im Spätsommer 2024 ein solches Gesetz vorzulegen, das nach dem Willen der Regierungskoalition dann vom Bundesverfassungsgericht geprüft werden soll.

Inhaltlich gehe es darum, „objektive, qualitative Indikatoren und Kriterien für Vergesellschaftungen festzulegen und Grundsätze für Entschädigungen zu definieren“, nicht nur für den Bereich Wohnen, sondern auch für Wasser und Energie. Weil dies nicht ganz abstrakt ginge, solle das Rahmengesetz auch „Elemente für die Umsetzung“ von Vergesellschaftungen beinhalten.

Gegenwind für die Pläne kam von Florian Rödl, Rechtswissenschaftler der Freien Universität und Kommissionsmitglied. „Mir leuchtet das Vorhaben einfach nicht ein“, sagte Rödl. Die Fragen der Verhältnismäßigkeit und der Entschädigung einer Vergesellschaftung sei „stark vom konkreten Gegenstand und Vorhaben abhängig“, es bringe nichts, allgemeine Grundsätze in ein Gesetz zu schreiben, das zudem nicht bindend für ein folgendes Umsetzungsgesetz sei. Die bloße Beschreibung des Rahmens würde zu „nichts sagenden“ Antworten des Verfassungsgerichts führen.

Überhaupt: Es sei nicht möglich, dass die Koalition ihr Gesetz selbst dem Gericht vorlege. Da von einem Rahmengesetz niemand konkret betroffen sei, gebe es keine natürlichen Kläger. Klagebefugt seien nur die Oppositionsfraktionen im Abgeordnetenhaus oder eine Bundestagsfraktion, etwa jene der CDU.

DW Enteignen unzufrieden

Auch die Sprecherin der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen, Isabella Rogner, kritisierte die Senatspläne als „weitere Verzögerung im Prozess“, forderte aber zugleich eine Einbindung: „Wir freuen uns über eine Einladung zum Auftakttreffen.“ Rogner nannte den Umgang mit dem Volksentscheid zwei Jahre nach dem erfolgreichen Votum „demokratieschädigend“.

Angesichts der nochmals zugespitzten Krise des Wohnungsmarktes – Rekordmietsteigerungen, Totalflaute beim Neubau, Scheitern des Wohnungsbündnisses – bleiben „keine Instrumente mehr übrig, um die Wohnungskrise zu beantworten“ – ergo: „Wir müssen jetzt vergesellschaften.“

Dass das möglich ist, deklinierten Däubler-Gmelin und Rödl den Abgeordneten im Ausschuss. Die ehemalige Vorsitzende verwies auf die wichtige Bedeutung des Grundgesetz-Artikels 15, auf dessen Grundlage vergesellschaftet werden kann, und darauf, dass die Berliner Landesverfassung dem nicht entgegenstehe. Um Fehlinterpretationen des Berichts und seiner Sondervoten vorzubeugen, sagte Däubler-Gmelin: „Die wenigen Fälle der Abweichung „sind nicht so zu verstehen, dass man ein Gesetz nicht machen könnte“.

Zur weiterhin umstritten Frage der Entschädigungshöhe sagte Rödl, die Kommission habe versucht, sich heranzutasten, „eine Punktlandung“ sei aber aus dem Grundgesetzartikel nicht abzuleiten. Im Umkehrschluss bedeute dies „einen großen politischen Entscheidungsspielraum“ bei der Festsetzung der Höhe. Klar sei, dass die Entschädigung unter dem Marktwert liegen müsste: „Es geht nicht darum, so zu entschädigen, dass sich die Unternehmen dasselbe woanders neu kaufen können“, sagte Rödl.

Er verteidigte zudem das Kriterium, die Bestände von Unternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen in der Stadt zu vergesellschaften. Es gehe um „Großunternehmen“, die „kapitalmarktorientiert“ sind. Das Ziel, die Mieten im Bestand zu „entdynamisieren“, sei durch Neubau nicht zu erreichen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!