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Unionbusting bei TeslaUnheilbare Gewerkschaftsphobie

Jonas Wahmkow
Kommentar von Jonas Wahmkow

Der Konzern droht Mit­ar­bei­te­r:in­nen mit Kündigung, weil sie IG-Metall Aufkleber im Werk angebracht haben. Das offenbart eine irrationale Angst.

Mag Autos, aber keine Gewerkschaften: Tesla-CEO Elon Musk bei der Eröffnung der Gigafactory 2022 Foto: dpa / Patrick Pleul

I st es möglich, dass Unternehmen auch psychische Störungen entwickeln können? Immerhin handelt es sich ja um juristische Personen, die, wie gewöhnliche Menschen auch, Rechte und Pflichten haben. Warum sollten sie nicht auch mal einen Knacks haben?

Es wäre zumindest eine geeignete Erklärung für das jüngste Verhalten des US-Autobauers Tesla, der eine regelrechte Gewerkschaftsphobie entwickelt zu haben scheint. So drohte die Werksleitung der „Gigafactory“ im brandenburgischen Grünheide mehreren gewerkschaftlich organisierten Angestellten mit der fristlosen Kündigung, wie Springers Wirtschaftsmagazin Business Insider am Freitag berichtete. Der Grund: Sie sollen Sticker im Werk geklebt haben, mit Aufschriften wie „Unsere Gesundheit ist wichtiger als die nächste Milliarde für Elon“ oder „unsere Sicherheit ist wichtiger als der nächste Produktionsrekord“.

Mit den Aufklebern wollte die Gewerkschaft auf Missstände bei den Arbeitsbedingungen aufmerksam machen, erklärt IG-Metall-Sprecher Markus Sievers: „Es gibt immer wieder Probleme mit zu langen Arbeitszeiten und Sonderschichten.“ Darauf hinzuweisen, sei das Recht der Gewerkschaften, die Drohung des Managements halte er für eine Überreaktion, zumal es sich bei den Aufklebern um leicht entfernbare magnetische Sticker handelte. Dass eine solche Kündigung vor einem Arbeitsgericht bestand hätte, gilt als unwahrscheinlich.

Jessica Reisner von der Aktion Arbeitsunrecht vermutet, Tesla wolle im Vorfeld der Betriebsratwahlen im kommenden Jahr schon einmal Ge­werk­schaft­e­r:in­nen einschüchtern. „Es zeugt von zutiefst antidemokratischem Geist, selbst bei kleinsten Unregelmäßigkeiten zu den gröbsten Mitteln zu greifen“, sagt Reisner.

Mittelfristig dumm

Dass insbesondere Tesla-Chef Elon Musk Gewerkschaften fürchtet wie der Teufel des Weihwasser, ist kein Geheimnis. Auch in Grünheide reiht sich der jüngste Einschüchterungsversuch nahtlos in die Bemühungen des Konzerns ein, jegliche Form gewerkschaftlicher Organisation zu verhindern. So erfolgte die erste Betriebsratswahl im März vergangen Jahres zu einem Zeitpunkt, als noch kaum Ar­bei­te­r:in­nen in der Fabrik angestellt waren – die Mehrheit im Betriebsrat wird daher zurzeit von arbeitgebernahen Kandidaten aus den Managementebenen gestellt.Mittelfristig dumm

Auch wenn es zunächst einmal aus Konzernsicht rational erscheint, keine Tariflöhne zahlen oder menschenfreundliche Arbeitszeiten anbieten zu müssen – mittelfristig schadet sich Tesla mit seiner Gewerkschaftsphobie nur selbst. Denn nach wie vor hat das Unternehmen Schwierigkeiten, genügend Fachkräfte einzustellen; die eigenen Produktionsziele mussten zuletzt deutlich heruntergefahren werden.

Aber wie so oft bei irrationalen Ängsten helfen die besten Argumente nicht weiter – sondern nur die Konfrontation.

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Jonas Wahmkow
Redakteur für Arbeit und Soziales im Berlin Ressort.
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6 Kommentare

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  • Hier werden gewerkschaftskritische Kommentare geschrieben, die sicherlich zu berücksichtigen sind, weil die Vorwürfe, wenn auch teilweise 40 Jahre alte Themen betreffend (Neue Heimat), prüfenswert sind.

    Leider hat jede große Organisation, Religion, Partei, Firma, Interessenverband, Lobby-Gruppe mit schwarzen Schafen und Fehlverhalten Einzelner oder sogar Gruppen zu kämpfen.

    Das ändert aber meiner Meinung nach nichts daran, dass Arbeitnehmer eine fähige Mitarbeitervertretung benötigen, die bei Streitfällen hilft und die Interessen der Belegschaft vertreten kann.

    An die kritischen Kommentatoren hier frage ich: was ist Eure Alternative? Davon kann ich hier nichts lesen.

    • @Schollescholle:

      Nachtrag, falls nicht klar geworden: die Alternative zur Hybris der Gewerkschaften in Betrieben sind von Gewerkschaften nicht dominierte Betriebsräte, die die wahren Verhältnisse im Betrieb spiegeln und so die Interessen der kompletten Belegschaft vertreten. Statt z.B. der Geldbeschaffung oder Missionierung für die Gewerkschaften zu dienen, die sich häufig längst selbst genug sind.

    • @Schollescholle:

      Sie schreiben von der Wichtigkeit des Betriebsrats! Der ist tatsächlich sinnvoll!



      Ich dagegen schrieb von den Gewerkschaften. Das ist ein himmelweiter Unterschied, auch und eben insbesondere betriebsrechtlich. Auch wenn das die Gewerkschaften nicht gerne lesen, weil viele denken, das sei das Gleiche. Und in dem Irrglauben willen die Gewerkschaften die Öffentlichkeit auch gerne lassen. Das bringt Geld in die Kasse.

      Im Falle Automotive ist es die IGM, die es als Sakrileg auffasst, wenn sie nicht die 100%-Mehrheit im Betriebsrat stellt. Sie müssen mal die Flugblätter der IGM in Metall-Betrieben lesen. Von Demokratie hält die IGM, das würde Ihnen dann schnell klar, gar nichts. Parole: nur ein 100%-IGM-Betriebsrat kann die Interessen der Belegschaft gut vertreten.

      Ein alltägliches Beispiel: geht ein Mitarbeiter zum Betriebsrat, da er sich vom Vorgesetzten falsch behandelt fühlt. Sagt ihm der Betriebsrat, er müsse erstmal zahlendes IGM-Mitglied werden. Vorher liefe da nichts. Rechtlich (der Betriebsrat ist von der Arbeit freigestellt und erhält sein Gehalt vom Unternehmen) ist das falsch, also eine Pflichtverletzung. In meinen Augen ist das Nötigung.

      Nochmal zur Klarstellung: die Belegschaft wählt den Betriebsrat in eigener Regie und freier Wahl. Zur Wahl antreten können einzelne Mitarbeiter:innen ebenso wie Gruppen dieser, die dann per Liste antreten. EINE dieser Listen ist i.d.R die IGM-Liste.

  • In den USA sind die Gewerkschaften schon Jahrzehnte im Verruf: Korruption, Zweckentfremdung der Mitgliederbeiträge, Nötigung, Erpressung. Zahllose Prozesse und auch Hollywood-Filme dazu, gern Mafia-nah, runden das Bild ab.



    Aktuell fordert die UAW (Gewerkschaft Automobilindustrie) 40% mehr Geld und zugleich Reduzierung der Wochenarbeitszeit auf 32 Stunden.



    Zudem sind die US-Gewerkschaften die größten Geldgeber in den Präsidentschaftswahlkämpfen für die Demokraten.



    Das ist der Hintergrund, vor dem die Abneigung von Tesla gegen die Gewerkschaften entstanden ist.

    Und in Brandenburg ging es gleich ganz ähnlich weiter. Die örtliche IGM agiert(e) derart übel (und auch rechtlich daneben), dass sich der Betriebstat genötigt sah, die IGM öffentlich zu rügen und dazu zu ermahnen, endlich zur Besinnung zu kommen.

    Von all den zahllosen Skandalen der IGM in Deutschland (von Neue Heimat bis Puffs in Budapest und illegal hohen Gehältern der IGM-Mitglieder im Betriebsrat bei VW) will ich gar nicht erst anfangen. Allzu große Unterschiede zu den Gewerkschaften in den USA bestehen da eher nicht.

    Wir sollten also unser arg romantisches Bild von den Gewerkschaften endlich einmal korrigieren. Dann wird so manches verständlich.

  • "Ist es möglich, dass Unternehmen auch psychische Störungen entwickeln können? Immerhin handelt es sich ja um juristische Personen, die, wie gewöhnliche Menschen auch, Rechte und Pflichten haben."

    Well...



    de.wikipedia.org/wiki/The_Corporation

    • @Ajuga:

      Ist es möglich, das Verbände oder Vereine psychische Störungen entwickeln können? So über die Jahrzehnte? Etwa auch Gewerkschaften? Die IGM z.B. ? Im Puff in Brasilien oder Ungarn? Oder in Folge von illegal hohen Gehältern als von der Arbeit freigestellter Betriebsrat? Oder durch die Verwendung von Mitgliedsbeiträgen für private Zwecke? Es menschelt halt doch sehr in den Gewerkschaften.