Slapstick im japanischen Gangsterfilm: Modelle des Scheiterns

„Dangan Runner“ ist ein Klassiker des japanischen Kinos. Mit Witz erzählt der Regisseur Sabu von der anstrengenden Performance der Männlichkeit.

Ein junger Mann steht mit großer Tasche und einer Waffe zwischen Regalen im Supermarkt

Eigentlich hatte sich Yasuda (Tomorowo Taguchi) die Waffe für einen Banküberfall besorgt Foto: Rapid Eye Movies

Auch schon vor „Barbie“ gab es Filme, die Gender-Stereotype mit spielerischem Touch aufs Korn nahmen. Nur dass sie meist ausschließlich von „Kens“, also Männern, handelten. Der japanische Regisseur Sabu hat seit seinem Regiedebüt „Dangan Runner“ von 1996 das beständige Pech, mit Quentin Tarantino verglichen zu werden, nur weil auch in seinen Filmen Verbrecher mit Attitüde auftreten und Gewaltszenen sich absichtlich unangemessen mit schwarzem Humor mischen. Dabei bilden in „Dangan Runner“ sowohl die Yakuza-Männerbünde in ihren feinen Anzügen als auch die Gewalt nur den Hintergrund. Im Vordergrund nämlich stehen, besser gesagt rennen, drei junge Kerle und überdenken dabei ihre Rolle im Leben.

Der Verleih Rapid Eye Movie bringt den hierzulande unbekannten Klassiker nun in seiner Zeitlos-Reihe ins Kino.

Die drei jungen Kerle repräsentieren, wenn man so will, verschiedene Modelle männlichen Scheiterns: Ganz vorne rennt Yasuda (Tomorowo Taguchi), der gerade mit Schimpf und Schande und einer Ladung Kraut auf den Haaren aus seinem freudlosen Restaurant­küchenjob entlassen wurde. Die Freundin ist ihm schon vor Längerem mit einem anderen davongelaufen. In den ersten Szenen des Films sah man ihn noch mit Stoppuhr in der Hand in großer Präsizion einen Banküberfall planen.

Doch dann, als er am Tag X pünktlich vor den Glastüren der Bank steht, fällt ihm ein, dass er den Maskenschutz vergessen hat. Er eilt in den nächsten Minisupermarkt, wird prompt beim Klauen erwischt – er hat kein Geld dabei – und hat von da an den Kassierer Aizawa (Diamond Yukai) auf den Fersen. Aizawa selbst träumt vom Ruhm als Rockmusiker, was aber auch bloß die Fantasien seiner Heroin­sucht sein könnten.

Großmäulig und feige

Seinen Stoff bezieht er von Takeda (Shinichi Tsutsumi) im Haileder-Anzug, der die beiden durch den Markt rennen sieht und seinerseits die Verfolgung aufnimmt. Zum einen, weil ihm Aizawa offenbar Geld schuldet, und zum anderen, weil er einen Akt von Feigheit kompensieren will. Anders nämlich als zuvor großmäulig behauptet, hat er für seinen Boss, einen wichtigen Yakuza-Mann, nicht sein ­Leben gegeben, sondern ist schnell und gelenkig ausgewichen, als ein Messerattentäter des Wegs kam.

„Dangan Runner“. Regie: Sabu. Mit Tomorowo Taguchi, Diamond Yukai u. a. Japan 1996, 82 Min.

So rennen sie hintereinander her, Yasuda, Aizawa und Takeda, fast die gesamten 82 Minuten des Films lang – und dabei erzählt Sabu keineswegs in Realzeit. Während sie rennen, vergeht der Nachmittag, es wird Abend und Nacht. Ihr Hecheln legt sich immer wieder als Rhythmus über den Filmscore, aber während ihr Laufen mehr und mehr jeden Anschein von Realismus verliert, lädt sich ihre Anstrengung mit Bedeutung auf. Um sie herum ereignet sich das Übliche: Rivalisierende Gangster rüsten sich zur Konfrontation, die Polizei plant ein Dazwischengehen.

Das Hecheln der drei Renner legt sich immer wieder als Rhythmus über den Filmscore

Wie viele Independent-Filme der 90er Jahre, darin tatsächlich mit Tarantino vergleichbar oder auch mit Tom Tykwers „Lola rennt“ von 1998, bezieht sich Sabu nicht nur auf Gangsterfilme und Genre-Konventionen, sondern spielt mit den Erzählmöglichkeiten des Kinos selbst.

Man achte zum Beispiel darauf, wie gut „Dangan Runner“ auch als Stummfilm funktionieren würde. Der Humor resultiert meist aus sorgfältig choreografierten Slapstick-Situationen, es gibt kaum expositorischen Dialog. Die wichtigsten Sätze, etwa wenn Yasuda am Ende konstatiert: „Vielleicht habe ich einfach nur mal einen guten Lauf gebraucht“, könnte man sich auch gut als Schrifttafel vorstellen.

Ansonsten schneidet Sabu zwischen verschiedenen Figuren und ihren Perspektiven, zwischen unterschiedlichen Orten und Zeiten hin und her, und trotzdem verliert man nie den Überblick. Zum großen Teil sind das die voll besetzten Autos der Cops und der Gangster; der Parallelschnitt stellt die Ähnlichkeit ihrer performativen Männer-Coolness-Routine heraus, wobei es hier die Polizisten sind, die mehr Filmzitate draufhaben.

In einer der augenfälligsten Sequenzen rennen die drei Läufer an einer attraktiven Frau vorbei, die sich gerade zu Boden beugt. Yasuda erhascht einen Blick in ihren Ausschnitt, Takeda bewundert die Rundung ihres Hinterns, für alle drei montiert Sabu erotische Fantasien in den Lauf. Ihr Hecheln wird kurzfristig doppeldeutig; der eigentliche Witz der geträumten Sexszenen aber besteht darin, wie sich in ihnen die unterschiedlichen Persönlichkeiten ihrer Träumer spiegeln.

Denn das ist das wahre Wunder dieses Films: wie viel man über die drei dann doch erfährt, obwohl man sie nur beim Rennen und in wenigen knappen Rückblenden sieht. Wenn sie zuletzt in stummfilmhafter Slapstick-Zufälligkeit dann doch wieder im großen Getümmel der Cops und Gangster landen, sind sie es, die das Treffen und damit das Genre selbst von unten aufmischen.

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