Nach der Geburt: Der angebrachte Kontrollverlust

Nach Schwangerschaft und Kaiserschnitt fühlt sich der Körper an wie der einer fremden Person. Doch die Außenwelt reagiert oft verständnislos.

Chaos auf dem Esstisch.

Die große Entlastung: Mit eineinhalb Jahren kann das Kind auch schon alleine Essen Foto: Ute Grabowsky/photothek/imago

Als mein erstes Kind fast eineinhalb Jahre war, lief mir eine Bekannte über den Weg. Ich ging gerade nach Elternzeit und Beförderung wieder Vollzeit arbeiten. Der Vater arbeitete Teilzeit und übernahm den Großteil der Care-Arbeit. Die Bekannte, etwa zwanzig Jahre älter, erwachsene Kinder, sah mich auf der Straße mit großen Augen an und rief: „Oh, du siehst besser aus! Geht es dir auch besser?“

Ich verstand erst nicht, wovon sie sprach. Ich nickte unentschlossen. „Als ich dich da vor einem Jahr in der U-Bahn gesehen habe, nach der Geburt deines Kindes, da sahst du ja wirklich schlecht aus. Als wärst du schwer krank.“ Ich hatte immer noch keine Ahnung, wovon sie sprach. Dann lehnte sie sich zu mir, als würde sie mir etwas anvertrauen: „Einige Frauen duschen ja heute nicht mal mehr in den Wochen nach der Geburt. Wie kann man nur so die Kontrolle verlieren?“

Als sich unsere Wege trennten, grübelte ich, wann wir uns begegnet waren und ob ich damals wohl geduscht war. Das Einzige, woran ich mich zu hundert Prozent erinnern konnte, war, dass ich nach der Geburt komplett die Kontrolle verloren hatte.

Nach einer Weile hatte ich sie wieder vor Augen, diese Begegnung in der U-Bahn. Ich war auf dem Weg zu einem Zahnarzttermin. Das erste Mal draußen, ohne Baby. Es war drei Monate alt und inklusive Geburt war nichts, wie ich es erwartet hatte oder wie ich es bei anderen erlebte. Das Trinken klappte nicht, ich musste ständig abpumpen, das Baby schrie abends immer um die gleiche Zeit drei Stunden lang und schlief nur mit Körperkontakt. So saß ich oft den ganzen Tag unter dem trinkenden, schreienden oder schlafenden Baby und fischte mit den Fingerspitzen nach kaltem Kaffee, Büchern, Handy – was in Reichweite lag. Ich redete ihm ständig gut zu, aber vor allem redete ich mir gut zu.

Wie der Körper einer fremden Person

Ich ließ den ganzen Tag Deutschlandfunk laufen, damit ein paar Erwachsene mit mir sprachen. Ich hörte Sendungen über Hirntumore und Obstbaumschnitt im Sommer. Ich aß, was in Reichweite war. Bald drapierten wir morgens strategisch Essen in der Wohnung. Ich wartete, dass mein Körper sich nach Schwangerschaft und Kaiserschnitt weniger anfühlte wie der Körper einer fremden Person. Ich hatte die Geburt nicht gut verkraftet. Meine Allergien waren stärker, ich hatte Neurodermitis, nachts Atemnot, meine Gelenke waren nach dem Aufwachen steif und schmerzten – doch alle Ärzt*innen, die ich aufsuchte, zuckten mit den Schultern.

Und dann dieser Zahnarzttermin. Es war ein fabelhafter Tag. Das Baby konnte jetzt drei oder vier Stunden Trinkpausen aushalten. Der Vater konnte einfach übernehmen. Ein Hauch von Freiheit. Ich konnte duschen, ohne tropfend, mit Shampoo in den Haaren, herauszuspringen, um das Baby zu trösten. An diesem Tag stieg ich frisch geduscht, ungeschminkt, hundemüde und sehr glücklich in die U-Bahn.

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Schreibt über Gesellschaft, Politik, Medien und manchmal über Österreich. Kolumne "Kinderspiel". War 2013 Volontärin der taz panter-Stiftung, dann taz-Redakteurin. Von 2019 bis 2022 Ressortleiterin des Gesellschafts- und Medienressorts taz zwei. Lebt und arbeitet in Wien.

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