Situation freier KünstlerInnen in Berlin: Fahrstuhl nur aus Kulanz
Die MieterInnen in einem Atelierhaus haben mit dem Verlust ihrer Fahrstühle und einer ungesicherten Zukunft zu kämpfen – der Bezirk redet sich heraus.
Für die beiden ist das gerade noch zu bewältigen. „Eine Ateliernachbarin hat eine schwere Gehbehinderung“, sagt Beavers, „sie kann ihren Raum seit Monaten gar nicht mehr nutzen.“ Auch eine andere Künstlerin ist besonders betroffen – sie hat ein kleines Kind, und die Aufzüge in dem bezirkseigenen Gebäude unweit des Fehrbelliner Platzes waren deshalb entscheidend für ihre Bewerbung.
Der Grund für das Fahrstuhl-Aus ist die Renovierung des zweiten Flügels des Nachkriegsgebäudes, in dem bis 2022 das Unternehmerinnen-Centrum West untergebracht war. Auch im Atelierhaus ist baulich nichts mehr auf dem letzten Stand, es gab schon öfters Probleme mit platzenden Wasserleitungen. Ab 2026 soll auch dieser Trakt saniert werden. Die Mietverträge für die Ateliers, die über das Kulturwerk des Berufsverbands Bildender Künstler*innen Berlin (bbk) laufen, enden im Dezember 2025. Die rund 30 Künstlerinnen sind verunsichert, wie es danach für sie weitergeht.
Der Linken-Abgeordnete Niklas Schenker war auf die Situation aufmerksam geworden und hatte eine Anfrage an die Senatskulturverwaltung gestellt. Tenor der Antwort: Da kann man nicht viel machen. Die Fahrstühle, die nun ausschließlich für die Bauarbeiten zur Verfügung stehen, seien nie Vertragsbestandteil gewesen, sondern aus Kulanz zur Verfügung gestellt worden. Und: „Dem Senat und dem Bezirksamt ist bisher nicht bekannt gewesen, dass es im Atelierhaus mobilitätseingeschränkte Personen gibt, die auf die Nutzung angewiesen sind.“ Weiter heißt es, über den Fortbestand nach der Sanierung sei „bisher keine Entscheidung gefallen“.
Was etwaige Ausweichmöglichkeiten für die KünstlerInnen angehe, befänden sich Senat und Bezirksamt „im Austausch“. Verwiesen wird auf ein Gespräch, das im April zusammen mit dem Atelierbeauftragten des Landes stattgefunden habe.
„Mich beunruhigt das“
Martin Schwegmann, der Atelierbeauftragte, bestätigt gegenüber der taz das Gespräch. Die Kultur-Stadträtin Heike Schmitt-Schmelz (SPD) habe sich dabei auch für Lösungen eingesetzt. „Leider ist es mir seit Mai nicht mehr gelungen, mit Frau Schmitt-Schmelz telefonisch oder per E-Mail in Kontakt zu treten“, sagt Schwegmann nun. „Inzwischen beunruhigt mich das.“
Er verweist auf die prekäre Lage der freien KünstlerInnen: Geschätzt 10.000 betreiben Malerei, Bildhauerei oder Installationskunst in der Stadt, 1.214 vom Land geförderte und vom bbk vergebene Ateliers stehen aktuell zur Verfügung. Im April gingen auf die Ausschreibung von 3 Räumen ganze 190 Bewerbungen beim bbk ein. Das korrespondiert mit den Ergebnissen einer aktuellen Umfrage des Verbands, nach der über 60 Prozent der Befragten kein eigenes Atelier haben, es gerade verloren haben oder dabei sind, es zu verlieren.
Schwegmann hebt positiv hervor, dass der neue Kultursenator Joe Chialo (CDU) bei den ebenfalls von Kündigung bedrohten Ateliers in den Weddinger Uferhallen „Tatkraft“ bewiesen habe. Dort soll nun das Land für 30 Jahre Generalmieter des privaten Eigentümers werden und die Räume weitervermieten – allerdings wohl zu deutlich höheren Mieten. Es müsse sich noch erweisen, „wie tragfähig die Lösungen am Ende wirklich sind“, so der Atelierbeauftragte.
In Sachen Sigmaringer Straße 1 sagt Linken-Politiker Schenker, er könne derzeit noch nicht das Interesse des Bezirksamts an einer dauerhafte Lösung für die KünstlerInnen erkennen, die dort teilweise schon seit 15 Jahren arbeiten. „Vor allem wird mit den KünstlerInnen selbst nicht darüber gesprochen“, so Schenker. „Der Bezirk muss einfach mal deutlich machen, was er an der Stelle möchte.“ Die Linksfraktion in der BVV bereitet in jedem Fall schon einen Antrag zum Erhalt des Atelierhauses vor.
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