Die Wahrheit: Steffi Lemke eiskalt
„Adenauer-Zeiten ade“: Die Bundesumweltministerin greift durch, die Würfel sind gefallen, eine neue Verordnung regelt die Getränkekühlung im Sommer.
Von wegen typisch grüne Cancel Culture! Als Bundesumweltministerin und oberste grüne Verbraucherschützerin hat Steffi Lemke jetzt im Gegenteil ein uraltes Tabu gecancelt, ja, sie hat es locker in den Mülleimer der Kulturgeschichte plumpsen lassen. Den Konsumenten in Deutschland steht so ein herrlich kühler Sommer der Freiheit bevor – der Befreiung von überholten Geschmacksverboten.
Die Ministerin unterschrieb jetzt einen Erlass, der den Bundesbürgern offiziell die Verwendung von „reichlich Eiswürfeln in Wein und Bier sowie in wein- und bierhaltigen Mischgetränken“ genehmigt, ohne dass rechtliche Konsequenzen, Lokalverbote oder gar körperliche Gewalt zu befürchten wären.
Lemke, seit anderthalb Jahren Ministerin für Umwelt und Verbraucherschutz, hat ein Problem: Seit sie auf der Kabinettsbank sitzt, verliert sie nicht nur an Beliebtheit, sondern auch an Bekanntheit. Über 75 Prozent der Bundesbürger, denen sie Ende 2022 bekannt vorkam, erkennen jetzt nicht einmal mehr ihren Namen, geschweige denn ihr Gesicht. Um dies zu ändern, hat sich die gebürtige Dessauerin jüngst mit einer Bonner PR-Agentur zusammengesetzt. Im Ergebnis hat Lemke sich in einer heftigen ideologischen Kontroverse mutig auf die Seite von Modernität und Unkonventionalität geschlagen. Damit sollen die Grünen unter anderem auch wieder Anschluss an die Lebenswelten junger Menschen und an emanzipatorische Projekte finden.
„Alle, die haupt- oder nebenberuflich an der Genussfront kämpfen, kennen das Problem“, sagte die Ministerin kürzlich vor der mucksmäuschenstillen Bundespressekonferenz. „Der Sommer ist da, brüllende Hitze martert euren Leib. Es ist eigentlich das Natürlichste auf der Welt, als Gegengift ein paar Eiswürfel in Saft, Limo oder ins Taurin-Energiegetränk zu werfen. Warum sollte das nicht auch bei alkoholhaltigen Getränken wie Bier und Wein funktionieren? Einzig deshalb: Weil es in unserer Gesellschaft verfemt und geächtet ist! Weil mensch da sofort schief angeschaut und krass ausgegrenzt wird. Das wollen wir nun gemeinsam ändern!“
Kartell aus Päpsten und Wirten
Lemke zufolge hat es ein mächtiges Kartell aus Geschmackspäpsten und Gastronomen im Verein mit Benimmtanten und Anstandswauwaus über die Jahrzehnte hinweg geschafft, ein undurchdringliches Tabu um den komplexen Sachverhalt zu errichten. „Was aber bei Longdrinks und Cocktails oder bei Whisky und Gin jederzeit recht ist, ist mir bei meinem Weinchen abends auf der Terrasse nur billig: Da kommen schwuppdiwupp ’ne Handvoll Eiswürfel rein!“, bekannte die Ministerin jetzt freimütig. „Da können die ganzen eingebildeten Wessis noch so etepetete gucken. Ich lass mir doch von der hochnäsigen Elite nicht meinen Feierabend ruinieren!“
Lemke verwies in der Bundespressekonferenz auf den gesellschaftlichen Wertewandel, durch den – vom Casual Friday über die Homo-Ehe bis zur Apple-Vision-Pro-Brille – viele spannende Entwicklungen angestoßen worden seien: „Die muffigen Zeiten Adenauers sind endgültig vorüber.“
Sie selbst habe beobachtet, wie sich Menschen an brutal heißen Sommertagen ihren Weißwein „on the rocks“ servieren ließen. Es sei Aufgabe grüner Politik, solch widerständigen Trends nachzuspüren und sie gegebenenfalls in konkretes Regierungshandeln zu transformieren. Als Umweltministerin habe sie sich entschieden, die überall ansatzweise vorfindbare und für gut befundene Sittenlockerung per Dekret zu genehmigen.
Das bedeutet im juristischen Klartext auch, dass Bier- oder Weintrinker, die das Servicepersonal um ein paar Eiswürfel für ihr Getränk bitten, aufgrund des Diskriminierungsverbots nicht mehr hochkant aus dem Lokal geschmissen werden dürfen. Ihnen darf auch kein schlechtes Gewissen von gesellschaftlich höherstehenden Personen oder prominenten Szenetypen mehr eingeredet werden, die naserümpfend „Geht gar nicht!“, „Würg!“ oder ähnlich Abfälliges von sich geben. Diese plötzliche Libertinage nach Jahrzehnten der Unterdrückung stößt draußen auf den Straßen überwiegend auf Zustimmung, wie mehrere befragte Passanten bestätigen.
Gesunder Geschmack für Freiesser
„Die Leute lassen sich nicht länger für dumm verkaufen und diktatorisch alles vorschreiben, bloß weil die feinen Faschos da oben es sich in den woken Kopf gesetzt haben“, sagt zum Beispiel Axel Schürting von der Saarbrücker Grassroot-Bewegung „Die FreiEsser“. Sein Kumpel Thomas ergänzt: „Der gesunde Menschengeschmack setzt sich durch. Ich nehme auch mein Maggi-Fläschchen überall mit hin.“
Feinschmecker Roger de Winter aus Bremen freut sich dagegen, dass er im Sternerestaurant nun Eiswürfel gegen die Wände seines Weinglases klackern lassen darf. Der graumelierte Bonvivant rügt: „Bei 255 Euro für ein großes Gewächs müsste das eigentlich immer schon dringewesen sein.“
Skepsis äußern allerdings viele Weinsommeliers und Bierkenner. Einer, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, verweist darauf, dass durch Eis verwässerte Weine in der Regel katastrophal schmeckten, und nennt die neue Freiheit einen „gewaltigen Sprung in Richtung Barbarei“. Torben Gantic, Wasserwerker aus der Eifel, schmettert dieses Argument freilich als „Schwachsinn“ ab: „Bier und Wein bestehen immer schon zu 80 bis 90 Prozent aus Wasser. Über den Rest sollten wir uns Sorgen machen!“
Zweigleisig will hingegen Jupp von Sokolowski, Wirt der Dortmunder Bierschwemme, fahren. Es werde bei ihm auch künftig keine Eiswürfel im Pils geben, aber: „Wer sich im Hochsommer welche von zu Hause mitbringen will: bitte schön!“ Zu bedenken gibt von Sokolowski jedoch, dass ohnehin schon Wasserknappheit herrsche: „Wenn auch noch das riesige Münchner Oktoberfest ein Dutzend Eiswürfel in jeder Maß bräuchte, wären das 5.000 Hektoliter Wasser im Jahr zusätzlich. Wasser, das in Altenheimen und Krankenhäusern dann fehlt!“
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