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Abiturient oder Azubi? Das Elternhaus ist entscheidend

Die Chancenungleichheit hat sich in Deutschland in den letzten zehn Jahren kaum verbessert

Von Ralf Pauli

Die Chancenungleichheit im deutschen Bildungssystem bleibt hoch. Auch mehr als 20 Jahre nach dem „Pisa-Schock“ hängen die Bildungschancen hierzulande maßgeblich vom Elternhaus ab. Wie stark, das zeigte zuletzt der im April vorgestellte „Chancenmonitor“ des Münchner ifo Zentrums für Bildungsökonomik. Demnach variiert die Wahrscheinlichkeit, ein Gymnasium zu besuchen, zwischen 21 und 81 Prozent – je nach Einkommen und Bildungsgrad der Eltern. Studienleiter Ludger Wössmann betonte, dass sich die Chancenungleichheit in Deutschland im Vergleich zu zehn Jahren zuvor nicht verbessert habe.

Die Benachteiligung wird dabei früh sichtbar. So besuchen Kinder, deren Eltern kein Abitur haben, seltener eine Kita und haben im Alter von drei bis sieben Jahren ein niedrigeres Wortschatzniveau. Problematisch ist das, weil in unserem mehrgliedrigen Schulsystem die Weichen für die Bildungskarriere früh gestellt werden: in der Regel nach der vierten Klasse, beim Übergang von Grund- zur weiterführenden Schule. Die Folge: Aktuell machen nur 31 von 100 Kindern aus sozial benachteiligten Familien Abitur oder Fach­abitur, bei Kindern aus besser gestellten Elternhäusern sind es 79.

Kinder aus Nichtakademikerfamilien berichten, dass sie in ihrer Schullaufbahn auch selten dazu ermutigt werden, Abi­tur zu machen. Daten des Na­tio­na­len Bildungspanels (Neps) bestätigen, dass sich der so­zia­le Hintergrund sogar schon früh in den Köpfen der Kinder und Jugendlichen festsetzt. Fragt man Acht­kläss­le­r:in­nen nach ihrem Berufswunsch, geben Akademikerkinder deutlich häufiger Berufe mit hohem sozialen und finanziellen Status an. „Das Schulsystem ist in unseren Köpfen, das lässt sich nicht einfach auflösen“, sagte Katja Urbatsch von der Plattform Arbeiterkind.de kürzlich im Interview mit der taz.

Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) erklärte die Ergebnisse des Chancenmonitors für „nicht hinnehmbar“. Gemeinsam mit den Ländern möchte sie ab dem Schuljahr 2024/25 bundesweit 4.000 Schulen mit sozial benachteiligter Schü­le­r:in­nen­schaft fördern. Bei aller Selbstkritik über die anhaltende Bildungsungerechtigkeit verweisen Bund und Länder aber gern darauf, dass das Schulsystem insgesamt „durchlässiger“ geworden sei.

Tatsächlich ist dieser Trend an verschiedenen Stellen zu beobachten. So ist der Anteil derer, die ihre Hochschulreife an einer Berufsschule machen, zuletzt gestiegen. Mittlerweile kommt fast je­de:r Fünfte mit (Fach-)Abi über die klassische Berufsausbildung. Es braucht also kein Gymnasium, um es an die Uni zu schaffen. Das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) schätzt, dass heute vier von fünf Personen aufgrund ihrer schulischen oder beruflichen Qualifikation ein Studium aufnehmen können. Ein weiteres Indiz für die gestiegene Durchlässigkeit: Die Zahl der Studierenden ohne Abitur hat sich in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt. Rund 9.000 Studiengänge vor allem in den Gesundheits- und Sozialberufen stehen für diese Gruppe bundesweit zur Verfügung. Aktuell stellen sie 3,4 Prozent der Stu­di­en­an­fän­ge­r:in­nen. Auch der Trend zu immer mehr Ab­itu­ri­en­t:in­nen ist mittlerweile unterbrochen, deren Anteil sogar leicht rückläufig.

Trotzdem haben immer noch 13 Prozent der Erwachsenen zwischen 25 und 65 weder Abitur noch Berufsabschluss. Hiervon betroffen sind vor allem Menschen mit Zuwanderungsgeschichte. Und jedes Jahr verlassen rund 50.000 Menschen die Schule ohne Abschluss. Bil­dungs­for­sche­r:in­nen empfehlen deshalb mehr frühe Förderung, mehr Mentoring und Beziehungsarbeit. Und mehr Personal für Schulen, die in sozialen Brennpunkten liegen.

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