: Berlin verkleinert den Spielraum für Bleiberecht
Geflohen sind sie vor demselben Krieg, aber internationale Studierende haben hier weniger Rechte als Ukrainer*innen. Nun drohen auch aus Berlin erste Abschiebungen
Von Susanne Memarnia
Unter den Drittstaatler*innen aus der Ukraine geht die Angst um: Die ersten internationalen Studierenden, die vor dem Krieg nach Deutschland geflohen sind, wurden aus Hamburg und München abgeschoben, berichtet Juliane Gebel von der Inititative BIPoC Ukraine and Friends der taz. Auch in Berlin, wo im vorigen Jahr der damals noch rot-grün-rote Senat zusicherte, für diese Gruppe von Kriegsflüchtlingen eine großzügige Bleiberechtsregelung zu finden, haben einige Studierende vom Landesamt für Einwanderung (LEA) eine Ausreiseaufforderung bekommen.
Unterstützer*innen wie Vicky Germain von der Initiative CommUnities Support for BIPoC Refugee from Ukraine (CUSBU) befürchten, dass schon bald Hunderte Kriegsflüchtlinge betroffen sein könnten. Bis vor wenigen Monaten habe man noch gut mit dem LEA zusammengearbeitet, sagt sie. Die Situation und die rechtlichen Rahmenbedingungen seien für alle neu gewesen, man habe Einzelfälle besprochen und gemeinsam nach Lösungen gesucht. „Dieser Konsens scheint aufgebrochen. Wir befürchten, dass es bald eine Welle von Ablehnungen geben wird.“
Auch Elif Eralp, migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, sorgt sich um die Gruppe. „Der Kurs des LEA scheint sich seit dem Regierungswechsel von R2G zur GroKo verändert zu haben“, sagte sie der taz. „Statt Spielräume für eine Bleibeperspektive zu nutzen, werden jetzt die ersten Ausreiseaufforderungen rausgeschickt.“
Die jungen Menschen leben seit über einem Jahr in großer Unsicherheit. Collins aus Nigeria, der in der Ukraine Internationales Recht studiert hat und seinen Nachnamen aus Angst nicht in der Zeitung lesen will, sagt über die Situation der Betroffenen in anderen Bundesländern: „Es ist, als hätte man uns vergessen. Viele leben mit Duldung, ohne Job, ohne Möglichkeit, Deutsch zu lernen oder weiter zu studieren.“
In Berlin sei es zwar etwas besser, sagt Collins. Hier haben die meisten Drittstaatler*innen eine „Fiktionsbescheinigung“ für ein Jahr Aufenthalt bekommen, um Zeit zu gewinnen, ihren Aufenthalt zu verfestigen, wie das Fachleute nennen – etwa indem sie versuchen, Arbeit oder einen Studienplatz zu ergattern. „Das hat erst mal geholfen. Aber jetzt bekommen wir Briefe vom LEA, dass unsere Erklärungen, warum wir nicht in unsere Heimatländer zurückkönnen, nicht ausreichen würden und wir Asyl beantragen sollen“, berichtet Collins. „Es ist alles so kompliziert, niemand weiß, wie es weitergeht.“
Auch die Ungerechtigkeit über die Ungleichbehandlung nagt an ihm. „Wir sind vor demselben Krieg geflohen, warum hilft man uns nicht wie den Ukrainer*innen? Wir hatten eine glänzende Zukunft vor uns, sind kluge Köpfe, unsere Eltern haben viel in uns investiert. Jetzt haben wir gar nichts mehr“, sagt er.
Vor dem Krieg war die Ukraine sehr beliebt bei ausländischen Studierenden, vor allem aus Afrika und Asien, die meisten haben Medizin oder Ingenieurswissenschaften studiert. Laut Bundesamt für Migration haben etwa 37.200 der knapp eine Million Ukraine-Flüchtlinge in Deutschland eine andere Staatsbürgerschaft als die ukrainische.
Rechtlich waren die Drittstaatler*innen von Beginn an schlechter gestellt als Ukrainer*innen. Mit der erstmals angewendeten EU-Massenzustromrichtlinie bekamen ukrainische Staatsbürger*innen als Kriegsflüchtlinge Aufenthaltserlaubnis, Sozialleistungen und Arbeitserlaubnis. Für Drittstaatler*innen gibt es den „24er-Aufenthalt“ – nach Paragraf 24 Aufenthaltsgesetz – nur unter engen Voraussetzungen: etwa als Partner*in, Vater/Mutter eine*r Ukrainer*in oder mit unbefristeter Niederlassungserlaubnis in der Ukraine. Alle anderen müssen individuell darlegen, warum eine „sichere und dauerhafte“ Rückkehr in ihr Heimatland nicht möglich ist. Was darunter zu verstehen ist, ist Auslegungssache.
Wie viele Drittstaatler*innen in Berlin einen Antrag auf Aufenthalt nach dem sogenannten Sui-generis-Verfahren gestellt haben, ist unbekannt, da beim Antrag nicht zwischen Staatsangehörigkeiten unterschieden wird. Bekommen haben laut LEA zum Stichtag 11. Juni 1.670 Drittstaatler*innen einen 24-er Aufenthalt, 1.105 eine Fiktionsbescheinigung. Wie viele Drittstaatler*innen ein Studierenden- oder Arbeitsvisum haben, ist dem LEA nicht bekannt. Laut CUSBU gibt es zudem eine unbekannte Zahl von Anträgen von Drittstaatler*innen, die das LEA gar nicht erst zur Prüfung angenommen hat.
Alles in allen hat auch Vicky Germain von CUSBU den Eindruck, dass das großzügige Versprechen, die Drittstaatler*innen nicht im Stich zu lassen, bröckelt. Sie berichtet von einer zunehmend harten Politik. So würden Menschen, die zum Bürgeramt gehen, dort von der Polizei einfach festgenommen, weil ihre Fiktionsbescheinigung abgelaufen ist. Die Polizei nehme ihnen den Pass dann ab. Ähnlich beim LEA: „Manche haben auch über Monate keinen Termin beim LEA bekommen“, wenn sie dann dort seien, müssten sie den Pass abgeben.
In der Folge verpassen manche wichtige Uni-Prüfungen, sagt Germain. Sie erklärt, dass die ukrainische Botschaft im Frühling organisiert habe, dass Medizinprüfungen der ukrainischen Unis in Berlin stattfinden. „Aber um sich für die Prüfung anzumelden, brauchen die Leute ihren Pass. Ohne Pass nimmt man ihnen sogar ihre Bildungschancen“, kritisiert sie. Weiterhin verlange das LEA Aufenthaltserlaubnisse und Studienbescheinigungen aus der Ukraine im Original – die auf der Flucht oftmals zurückgelassen wurden. „Den Leuten wird zugemutet, in die Ukraine zurückzureisen, um Papiere zu besorgen.“
Auch bei der Unterbringung von Drittstaatler*innen machten die Ämter Druck, ist Germains Erfahrung – CUSBU hat im vergangenen Jahr Hunderte Betroffene beraten und auf Ämter begleitet. „Immer mehr Bezirke weigern sich, Drittstaatler*innen in Wohnheimen unterzubringen, und schicken sie nach Tegel ins Ankunftszentrum.“ Dort aber sage das Landesflüchtlingsamt, man nehme nur Leute auf, die einen ukrainischen Ehepartner mitbringen. Auch das LEA fordere, dass Ehepartner*innen zum Termin mitgebracht werden müssen. „Wenn das Männer sind, dürfen sie die Ukraine gar nicht verlassen. Wie soll das gehen?“, fragt Germain.
Betroffene wie Collins vermuten dahinter Absicht – besonders angesichts der Vielzahl von Problemen, mit denen sich die Gruppe konfrontiert sieht. „Man legt uns nur Steine in den Weg, weil man uns still und leise loswerden will“, sagt er.
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