Macrons Rentenreform in Frankreich: Zermürbungstaktik und Abschussliste

Auch wenn die Linke und die Gewerkschaften dies nicht wahrhaben wollen: Der Konflikt ums Pensionseintrittsalter ist zu Ende gegangen.

Ein Demonstrant trägt eine Mülltonne mit einem Bildnis, das den französischen Präsidenten Macron darstellt

Aller Proteste zum Trotz setzt Emmanuel Macron seine Rentenreform durch Foto: Michel Euler/dpa

PARIS taz | Es ist kein Triumph, sondern ein Sieg nach Punkten dank einer monatelangen Strategie der Zermürbung. Staatspräsident Emmanuel Macron sieht sich als Gewinner eines außerordentlich harten Seilziehens um eine unpopuläre Rentenreform. Der Streit ist nicht wirklich beigelegt, der Widerstand gegen die Anhebung des gesetzlichen Pensionsalters von 62 auf 64 Jahre hat sich in eine resignierte Wut verwandelt. Am letzten Montag war ein Misstrauensantrag der linken Union NUPES gegen die französische Regierung von Premierministerin Elisabeth Borne klar abgelehnt worden. Zum 17. Male hatte die Opposition damit vergeblich versucht, die Regierung zu stürzen.

Dieser erfolglose Misstrauensantrag am 12. Juni war das letzte parlamentarische Rückzugsgefecht der Opposition, die so allenfalls das Gesicht vor der Öffentlichkeit wahren möchte. Noch immer lehnt es in Frankreich eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung ab, dass die Regierung das Rentenalter auf 64 Jahre angehoben hat, und mehr noch die Methoden, mit denen sie das – ohne Votum der Abgeordneten – durchgesetzt hat. Für die Gewerkschaften, die seit Januar in einer seltenen Eintracht gegen diesen Angriff auf „soziale Errungenschaften“ und die demokratischen Rechte gekämpft hatten, war ihr Aktionstag am 6. Juni der letzte einer langen Reihe. Ein „Schwanengesang“ der Reformgegner, kommentierten zahlreiche Medien.

Von links muss Borne vorerst nicht viel befürchten. Die wirkliche Gefahr für sie kommt nicht von ihren verbitterten Gegnern, sondern von befreundeten Kreisen der Staatsführung, die gegenwärtig Gerüchte zirkulieren lassen, denen zufolge noch vor der Sommerpause als politische „Flurbereinigung“ eine große Regierungsumbildung samt Nominierung eines neuen Premiers anstehe. In den französischen Medien wird seit Tagen heftig über Bornes angebliche Ablösung spekuliert. Macron hätte ein echtes Interesse, mit einer neuen Equipe für die „Rentrée“ im September einen Neubeginn zu proklamieren. Das tönt plausibel, denn der Präsident hat zwar seinen Willen durchgesetzt, aber das hat ihn viel politisches Kapital gekostet und auch seine Regierung ist arg geschwächt.

Dass ein Premierminister vom Präsidenten zur Besänftigung des Volkszorns geopfert wird, das hat in Frankreich eine lange Tradition. Borne hat loyal die von Macron beschlossene Linie verfolgt, obschon sie dem Vernehmen nach nicht immer zu 100 Prozent damit einverstanden war. Es wäre ein Zeichen krasser Undankbarkeit seitens des Staatschefs, sie jetzt fallen zu lassen. Sie selber mag dies nicht glauben. In einem langen Interview mit Le Figaro hat sie am Donnerstag, zuversichtlich und scheinbar unbeeindruckt von den Gerüchten, von ihren Pläne und Aufgaben als Regierungschefin in den kommenden Monaten gesprochen. „Aufgeben ist nicht Bestandteil meiner DNA“, lautete ihre knappe Antwort auf die Frage, ob sie immer noch die richtige Person für ihre Aufgabe sei.

Recht hatte die Regierungschefin, als sie vor dem Votum über den Misstrauensantrag erklärte, es gebe keine „alternative Mehrheit“ gegen sie. Nur haben aber auch die Regierungsparteien in der Nationalversammlung seit einem Jahr keine absolute Mehrheit mehr. Jede Gesetzesvorlage, und letztlich das Überleben der Regierung, hängt vom Gutdünken und dem Goodwill der konservativen Abgeordneten der Partei Les Républicains (LR) ab. Die eigentliche Frage ist es eher, mit welcher Mehrheit der Staatspräsident in den noch fast vier verbleibenden Jahren seine Macht ausüben kann. Denn so groß auch seine Kompetenzen sein mögen, er braucht dennoch eine Mehrheit von Ja-Sagern, die seine Vorhaben im Parlament absegnen.

In den letzten Monaten verließ sich Macron auf die punktuelle Unterstützung eines Teils der LR-Abgeordneten bei wichtigen Abstimmungen. Diese sitzen bisher offiziell in der Opposition, ohne aber wirklich gegen die Regierung zu arbeiten. Wäre es nicht sinnvoller, ihnen eine Allianz oder eine Koalition schmackhaft zu machen? Über diese strategische Bündnisfrage sollen die Kader der Macron-Partei Renaissance (vormals En marche) am kommenden Mittwoch beraten.

Der Preis für eine solche Mitte-Rechts-Allianz mit LR wäre bestimmt hoch: Für eine Regierungsbeteiligung dürften die Konservativen nicht nur wichtige Ministerien für sich beanspruchen, sondern womöglich sogar das Amt des Premiers. Und wer käme infrage, wer hätte das nötige Format? Ex-Staatspräsident Nicolas Sarkozy wäre vermutlich der Einzige, er plädiert seit Längerem für eine Koalition mit LR. Er wurde darum zu Beratungen mit Macron in den Elysée-Palast eingeladen. Doch würde er es akzeptieren, die zweite Geige zu spielen? Sein Problem sind zudem zwei Verurteilungen und weitere bevorstehende Gerichtstermine. Nicht alle LR-Leute sehen in ihm noch den Boss von früher.

Beim LR gibt es andere Pläne: Mit einem Vorschlag für ein neues Asyl- und Immigrationsgesetz möchte LR die Regierungspolitik nach rechts ziehen. Mit dieser Debatte testen die Konservativen die Bereitschaft der „Macronisten“, politische Konzessionen zu machen. Da das Regierungslager angeschlagen ist, steigen ihre Forderungen. Zu weit dürfe die Rechtswende nicht gehen, warnt der historische Verbündete des heutigen Staatschefs, der Zentrumsdemokrat François Bayrou, seinen Freund Macron: „Emmanuel Macron wurde auf einem Sockel der Mitte gewählt, und das allein schafft das Gleichgewicht, das es garantiert, sowohl mit der republikanischen Rechten wie mit der sozialdemokratischen Linken reden und kooperieren zu können.“ Macron riskiere den Verlust seiner „politischen Kohärenz“, wenn er seine Position des „Sowohl-als-auch“ mit einem Rechtsrutsch aufgebe. Angesichts dieser komplexen Ausgangslage hat Borne, vielleicht „faute de mieux“, doch gute Aussichten, noch bis zum Herbst Regierungschefin zu bleiben.

Andere Regierungsmitglieder dagegen stehen auf der Abschussliste. Namentlich Macrons ehemalige Sprecherin und derzeitigen Staatssekretärin Marlène Schiappa. Sie hatte bereits mit einem Interview im Playboy-Magazin für Schlagzeilen gesorgt, und am Mittwoch geriet sie in die Bredouille, als sie vor einer Untersuchungskommission des Senats wegen des Verdachts auf Begünstigung bei der Vergabe von Subventionen des ihr als Vizeministerin 2021 unterstellten „Fonds Marianne“ Auskunft geben musste. Andere, wie beispielsweise Umweltminister Christophe Béchu, blieben derart farblos, dass ihr Abgang kaum bemerkt würde. Und natürlich gibt es umgekehrt, namentlich mit Innenminister Gérald Darmanin und Wirtschaftsminister Bruno Le Maire, prominente Politiker mit Ambitionen, die lieber heute als morgen Premierminister anstelle von Borne würden. Die Gerüchte geben ihnen Hoffnung.

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