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Das beste Logo ist No Logo

Ein Künstlerduo hat in einer Wiener Einkaufsstraße alle Logos und Werbung überklebt. Subversiv? Na ja. Die Geschäftsleute machten jedenfalls gerne mit – die Aktion ist prima Werbung für sie!

VON ROBERT MISIK

Dass Logos und Firmennamen nicht bloß dürre Bezeichnungen sind, sondern „Markenpersönlichkeit“ repräsentieren, weiß der aufgeklärte Markenbenutzer längst. Ebenso, dass sie das Bewusstsein der Individuen affizieren, einer inneren Landnahme gleich. Banal der Hinweis, dass sie unsere Lebenswelt überschwemmen – Städte, Straßenzüge, Dörfer, Landstraßen. Dies könnte man den Aspekt der äußeren Landnahme nennen. Auch mit dem Hinweis, dass das Augenfällige kaum auffällt, kann man heute niemanden mehr überraschen. Denn dass Zeichen auch verbergen, wohingegen das Verbergen etwas sichtbar zu machen vermag, ist keine allzu große Neuigkeit. Kurzum: Wer könnte sie nicht im Schlaf aufsagen, die Satzgirlanden aus dem Komplex „Iconic Turn“?

Umso erstaunlicher, dass im Weichbild dieses Themas noch mit ziemlich einfachen Mitteln ziemlich bemerkenswerte Dinge geschehen können. Man glaubt es eigentlich nicht, dass noch niemand auf die Idee gekommen ist, die die beiden Künstler Christoph Steinbrener und Rainer Dempf dieser Tage in Wien realisierten. Sie haben in der Wiener Neubaugasse, einer nicht ganz unwesentlichen Einkaufsmeile der Stadt, alle Aufschriften, ob Firmenlogos, Markennamen, Werbetexte, überklebt. „Delete!“, lautet die Aktion und ist, in den Worten Dempfs, „ein Statement zur aktuellen Explosion von Beschriftung und Werbung im öffentlichen Raum“.

Das Ergebnis ist ziemlich eindrucksvoll. Dort, wo gestern noch das geschwungene Logo der Großbank hing, ist heute ein gelber Einband. Der gelbe Fisch erinnert noch an das Reklameschild der großen Fischkette. Überall Gelb, Gelb, Gelb. Es war übrigens fast unmöglich, so Steinbrener, „eine Farbe zu finden, die nicht sofort mit einem Unternehmen assoziiert wird“.

Weil die Straße vergleichsweise eng ist, kommt die visuelle Dichte besonders zum Tragen. Natürlich entsteht so keine Straße ohne Zeichen – wo Werbung war, sind gelbe Flächen, und die sind erst recht Zeichen. Die Straße ohne Logo ist dennoch irritierend. Nicht, dass man das Fischgeschäft nicht an den Fischen und das Schuhgeschäft an den Schuhen in der Auslage erkennen kann. Aber es fehlt, was sonst spontane Sicherheit verleiht. Was ist Trash? Kann ich diesem Laden vertrauen?

Steinbrener und Dempf haben ihre Aktion auf derart leisen Sohlen vorbereitet, dass der Wiener Falter geradezu erstaunt anmerkte, völlig unerwartet sei hier die örtliche Kunstaktion „des Jahres“ aufs Pflaster gesetzt worden. Die Aktion macht etwas sichtbar – platte Markenkritik ist sie deshalb nicht. Sie unterstellt nicht, dass der „echte“ urbane Raum einer ohne Logos wäre – in Wahrheit ist ja ziemlich das Gegenteil der Fall.

Wie so oft ist der Diskurs rund um die Aktion so interessant wie die Aktion selbst. So nebenbei erfährt man Erstaunliches. Etwa, dass es einen Workshop der Stadtregierung gibt, in der Architekten, Planer und Vertreter der Werbewirtschaft über die Bewirtschaftung des öffentlichen Raums debattieren. Und da zählen die Vertreter der Werbewirtschaft zu den schärfsten Kritikern der Zuschüttung der Städte. Warum? „Weil der Verdrängungswettbewerb von sich gegenseitig überschreiender Werbung als kontraproduktiv erkannt wird“, so der Architekturtheoretiker Georg Franck. Wer reich ist in der Aufmerksamkeitsökonomie, ist reich an Beachtung – und Aufmerksamkeit ist ein knappes Gut.

So nimmt es nicht wunder, dass die Kunst offene Türen einrennt. Gefühle sind Geschäfte, und alles, was hilft, die Wahrnehmungsschwelle zu überschreiten, ist gut für die Bilanz. Schwer hatte es das Künstlerduo nicht, die Geschäftsleute der Straße dazu zu bringen, alle ihre Werbeaufschriften überkleben zu lassen. Denn das Verbergen der Werbung, das haben die Krämer verstanden, ist die ultimative Werbung. Die Straße „wird auf eine spektakuläre Weise neu wahrgenommen“ (Steinbrener), die Leute pilgern hin, der Blick richtet sich auf die Waren. Und dann wird gekauft.

„Delete!“ Die Entschriftung der Wiener Neubaugasse. Noch bis 20. Juni

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