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„Auf diesem Fundament ist es möglich, die Mobilitätswende weiter aufzubauen“

Mit dem neuen Straßenverkehrsgesetz hätten Kommunen mehr Spielraum, sagt Janna Aljets von der Agora Verkehrswende

Interview Anja Krüger

taz: Frau Aljets, am Mittwoch soll die Reform des Straßenverkehrsgesetzes vom Bundeskabinett beschlossen werden. Die Regierung hat im Koalitionsvertrag mehr Raum für Kommunen bei der Verkehrsgestaltung versprochen. Hält sie das ein?

Janna Aljets: Die Bundesregierung macht zumindest den ersten notwendigen Schritt in diese Richtung. Mit der Reform sollen Klimaschutz, Umweltschutz, Gesundheit und städtebauliche Entwicklung als Ziele ins Straßenverkehrsgesetz aufgenommen werden. Sie sollen gleichberechtigt neben die Ziele Leichtigkeit und Sicherheit des Verkehrs gesetzt werden, die bislang allein im Gesetz stehen. Die bisherige Zielsetzung führt dazu, dass das Auto faktisch privilegiert wird.

Was kommt nach dem ersten Schritt?

Was folgen muss, ist eine umfassender Reform der Straßenverkehrsordnung, der StVO. Dort ist sehr restriktiv geregelt, wann zum Beispiel die Leichtigkeit des Verkehrs, also in der Praxis oft umgesetzt als das Vorrecht des Autos, eingeschränkt werden kann. Das sind die Verkehrsregeln, nach denen wir uns alle richten. Das sind auch die Regeln, nach denen Kommunen Verkehrsplanung machen müssen. Erst wenn auch die StVO an den neuen Zielen des StVG ausgerichtet ist, kann sich auf den Straßen spürbar etwas ändern.

Welche Folgen hat es bislang, dass das Straßengesetz dem Auto Privilegien einräumt?

Für Kommunen ist es zum Beispiel schwierig, eine Auto- oder Parkspur wegzunehmen und stattdessen eine Radspur einzurichten. Denn dadurch würde die Leichtigkeit des Autoverkehrs einschränkt. Deswegen sind gegen solche Maßnahmen Klagen möglich. Die Klagefreudigkeit ist in Deutschland sehr groß. In München zum Beispiel wurde in den vergangenen zweieinhalb Jahren so viel geklagt wie in den zehn Jahren davor nicht. Auch wenn die Stadt meistens gewinnt, ist der damit verbundene Aufwand unverhältnismäßig.

Können Städte nach der Reform sofort mit der Verkehrswende loslegen?

Im aktuellen Gesetzentwurf ist nicht eindeutig geregelt, wie groß die Handlungsspielräume und die Möglichkeiten der Kommunen sind. Das müsste deutlicher geregelt werden. Aber beim Beispiel Parken wäre vorstellbar, dass Kommunen ein flächendeckendes Parkraummanagement einführen können und nicht mehr Straßenzug für Straßenzug einzeln nachweisen müssen. Denn bisher läuft es so: Hier besteht Parkdruck, hier fangen wir an, Gebühren zu erheben. Dann verlagert sich der Druck auf die Nebenstraße, dann zieht die Kommune nach. Wenn die StVO entsprechend angepasst wird, kann zum Beispiel dieser Parkdrucknachweis gelockert werden oder wegfallen, einfach weil Parkraumbewirtschaftung aus städtebaulicher Sicht sinnvoll ist.

Foto: Agora

Janna Aljets ist Projektleiterin Städtische Mobilität bei der Denkfabrik Agora Verkehrs­wende. Sie entwickelt Strategien für die urbane Verkehrswende und vernetzt kommunale Akteur:innen.

Wie gut stehen die Chancen, dass die StVO angepasst wird?

Wir hören, dass das schon in der Vorbereitung ist. An der Reform der StVO ist auch der Bundesrat beteiligt. Die Verkehrsministerkonferenz der Länder hat schon sehr konkrete Änderungen eingefordert, die auch Tempo 30 in den Kommunen einschließt. Aus den Ländern gibt es daher positive Signale, denn sie sind ja oft noch näher an den Kommunen als das Bundesverkehrsministerium.

Einige Verbände üben sehr harsche Kritik an dem Entwurf für das neue Straßenverkehrsgesetz, weil sie es für zu autofreundlich halten.

Der vorliegende Gesetzentwurf ist nicht perfekt. Da ist sicher handwerklich noch etwas zu verbessern. Wir müssen aber auch sehen, was in der aktuellen Regierungskoalition möglich ist. Was jetzt vorliegt, ist ein guter Kompromiss und ein solides Fundament. Auf diesem Fundament ist es möglich, die Mobilitätswende weiter aufzubauen. Wir haben monatelang befürchtet, dass die neuen Ziele entweder gar nicht oder als nachrangige Ziele aufgenommen werden. Damit wäre der Status quo tatsächlich zementiert oder sogar verschlechtert worden.