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Berliner Bücherfest auf dem BebelplatzVergesst uns nicht

Das Bücherfest hat zeitgenössische Literatur präsentiert, sich mit Flucht und Diversität auseinandergesetzt. Gedacht wurde auch der Bücherverbrennung.

Der Bebelplatz, Ort der Bücherverbrennung Foto: dpa

BERLIN taz | Bebelplatz, 10. Mai 1933, Ort der Bücherverbrennung im Dritten Reich. 90 Jahre später gedenkt das Berliner Bücherfest an jener Stelle dessen, was damals passierte. Am 17. und 18. Juni luden über 100 Verlage und Buchhandlungen an Ständen dazu ein, sich mit Literatur zu beschäftigen, in zwei Zelten fanden stündlich Veranstaltungen statt, um einen Versuch zu wagen, Fragen der Gegenwart durch Bücher zu beantworten – oder sie wenigstens zu stellen.

Wie viele Menschen haben die Todesursache „Flucht“? Wer weiß von den Toten? Was sind ihre Namen? In dem Gespräch „Flucht und Exil“ am Samstagmittag im kleinen Zelt wurden genau diese Fragen von Anja Tuckermann gestellt, die gemeinsam mit Kristina Milz das Buch „Todesursache: Flucht“ (Hirnkost Verlag) bereits 2018 herausgegeben hat – seitdem gab es mehrere Auflagen, die Liste ist unvollständig.

Gemeinsam mit anderen versucht Tuckermann seit Jahren den Menschen, die bei ihrem Fluchtversuch nach Europa sterben, ein Gesicht zu geben, zu recherchieren, wer diese Personen waren, denn oftmals bleibt es bei unidentifizierten Leichen. Mit dem Buch wollte sie eine haptische Dokumentation herausbringen, den Biografien und Fotos der Verstorbenen vorangestellt hat sie Essays und Berichte. Denn was sie den Le­se­r:in­nen ihres Buches auch geben wollte, sind Argumente, die in Diskussionen um die Seenotrettung herangebracht werden können.

Die deutsche und europäische Diskussion drehe sich nur noch um Grenzschutz und Zäune, kritisiert Tuckermann die Perspektivlosigkeit. Doch wenigstens könnte durch das Buch im Privaten stichhaltig über Seenotrettung diskutiert werden, denn: „Nun kann niemand mehr sagen, er hätte es nicht gewusst.“ Jeder afrikanische Geflüchtete trägt im Schnitt fünf Tote, die er kennt, mit sich, sagt Tuckermann mit Nachdruck, sie hat das ausgerechnet.

Postmigrantische Lebenswelten

Das Wetter ist wechselhaft über dem Bebelplatz, während Tuckermann im Gespräch mit Aboud Saeed und Tatjana Kuschtewskaja, moderiert von Shelly Kupferberg, spricht, werden sie immer wieder von heftigen Regenanfällen begleitet. Später am Nachmittag, als die Sonne wieder strahlt, und die Verlagsstände die Plastikfolien von ihren Büchern als Regenschutz wieder wegnehmen können, werden nicht minder ernste und wichtige Fragen auf dem Bücherfest gestellt.

So dreht sich die Podiumsdiskussion von Charlotte Bomy und Florence Brokowski-Shekete, wieder moderiert von Kupferberg, um „Postmigrantische Lebenswelten“. Was heißt es, in Deutschland und Frankreich Schwarz zu sein? Wie hat sich die Schwarze Identität in Europa entwickelt?

Bomy, französische Theaterwissenschaftlerin und Autorin, hat in ihrem Werk „Afropäerinnen“ (Neofelis) Theatertexte Schwarzer französischer und belgischer Künstlerinnen gesammelt. Sie vermittelt einen Eindruck davon, wie Rassismus und Sexismus in der Theaterbranche Frankreichs zu Tage kommen – denn es sei extrem schwierig als Schwarze Frau einen intellektuellen Werdegang einzuschlagen.

Den gleichen Punkt spricht auch Brokowski-Shekete, deutsche Pädagogin und Autorin, für die Realität in Deutschland an. Während ihrer Zeit als Schulleiterin an einer weißen, baden-württembergischen Schule, sei sie immer wieder gefragt worden, ob sie die „Praktikantin aus Afrika“ oder die Putzfrau der Schule sei. Diesen Alltag würden viele Schwarze Menschen in Deutschland erleben, und genau mit diesen Klischees versucht sie in ihrem neuen Buch „Raus aus den Schubladen“ (Orlanda) zu brechen.

Schwarzen Menschen würden in Deutschland, anders als weißen, immer nur gewisse Berufsgruppen zugeordnet, etwa Fußballspieler:innen, Sän­ge­r:in­nen oder Tänzer:innen. Deswegen hat sie mit zwölf Schwarzen Menschen gesprochen und so die Geschichten von Sachbearbeiter:innen, Gynäkolog:innen, Kfz-Mechaniker:innen – eben gewöhnliche Berufe – aufgeschrieben und sie über den Alltagsrassismus berichten lassen, der ihnen begegnet.

Erinnern heißt lesen

So war das Programm auf dem Bebelplatz international und divers. Neben Podiumsdiskussionen gab es auch Angebote für Kinder, beispielsweise wurde im Kinderzelt „Mein neuer Freund, der Mond/ Sahby al-Gadid“ (Edition Orient) in einer deutsch-arabischen Lesung vorgestellt. Geladen waren auch mehrere Zeitzeug:innen, die ihre Geschichten erzählten und sich erinnerten.

Erinnert sollten auch die Kolleg:innen, deren Bücher vor 90 Jahren auf dem Bebelplatz durch die Na­tio­nal­so­zia­lis­t:in­nen verbrannt wurden, werden. So wurde den geladenen Au­to­r:in­nen jeweils ein Text aus den damals verbrannten Büchern gegeben, die am Ende der meisten Veranstaltungen vorgelesen wurden – denn die verbrannten Bücher und ihre Schrift­stel­le­r:in­nen sind nach all der Zeit fast gänzlich in Vergessenheit geraten.

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