Veranstalter über Liedermacher Gundermann: „Hier war Provinz, hier ging mehr“
Hoyerswerda war die Heimat von Gerhard Gundermann. Uwe Proksch von der Kulturfabrik hält die Erinnerung an den vor 25 Jahren verstorbenen Liedermacher wach.
wochentaz: Herr Proksch, wenn man auf die Internetseite der Stadt Hoyerswerda geht, wird prominent der Computerpionier Konrad Zuse als früherer Einwohner präsentiert. Ist man auf den Berliner, der nur wenige Jugendjahre hier verbrachte, stolzer als auf Gerhard Gundermann, der bis zu seinem Tod vor 25 Jahren hier wirkte?
Uwe Proksch: Wahrscheinlich, Zuse hat sogar ein eigenes Museum. Hoyerswerda nennt sich auch Zuse-Stadt. Brigitte Reimann hat eine Bibliothek, der Bildhauer Jürgen von Woyski eine Stiftung, nur Gundermann fand in der öffentlichen Würdigung nicht statt.
Dabei hatte es Gundermann als „singender Baggerfahrer aus der Lausitz“ durchaus zu überregionaler Berühmtheit gebracht.
Der Gundermann wird von den Stadtvätern und -müttern immer ein bisschen vergessen. Das Etikett „Singender Baggerfahrer aus der Lausitz“ mochte er übrigens nicht so. Aber richtig, er war schon weit über Hoyerswerda hinaus sehr bekannt, was vielen Leuten hier bis heute gar nicht so klar ist. Muss es ja auch nicht. Es gibt so viel Musik auf der Welt, für die man sich interessieren kann. Da hat jeder seinen eigenen Geschmack. Gundi war auf jeden Fall ein sehr außergewöhnlicher Typ.
Der Mensch
Uwe Proksch, Jahrgang 1961, hat Maschinist gelernt und im Braunkohletagebau gearbeitet, ehe er sich in der DDR zum Kulturklubleiter qualifizierte. Weil die Ausbildung nach der Wende nicht anerkannt wurde, absolvierte er noch mal ein Fernstudium für Kulturmanagement. In Hoyerswerda hat er die Kulturfabrik e. V. mit aufgebaut. Sie hält die Erinnerung an Gerhard Gundermann durch diverse Veranstaltungen von Workshops bis zu Konzerten wach. Außerdem befindet sich in ihr ein Gundermann-Archiv.
Der Gundermann
Gerhard Gundermann, Jahrgang 1955, war als Kind mit seiner Mutter aus Thüringen in die Lausitz gezogen, wo er in Hoyerswerda das Abitur machte und danach auf eine Offiziershochschule ging. Dort wurde er exmatrikuliert, weil er sich als Mitglied des Armeesingeklubs geweigert hatte, ein Loblied auf den DDR-Verteidigungsminister zu singen. Er arbeitete dann als Hilfsarbeiter im Tagebau, machte nebenbei Musik in der Brigade Feuerstein und solo als Liedermacher. Er schrieb Texte für die Band Silly und tourte nach der Wende erfolgreich mit seiner Band Seilschaft, unter anderem im Vorprogramm von Bob Dylan. Seinen Job als Baggerfahrer im Tagebau gab er nicht auf, um nicht „Kunst für Brot“ machen zu müssen. Zu den Volkskammerwahlen 1990 kandidierte der überzeugte Vegetarier und Verfechter eines ökologischen Sozialismus erfolglos für die Vereinigte Linke. 1995 wurde bekannt, dass er sowohl für die Stasi spitzelte als auch später selbst von ihr beobachtet wurde. Vor 25 Jahren starb er am 21. Juni 1998 mit 43 Jahren an einem Schlaganfall in Spreetal.
Sie haben hier vor fünf Jahren, zu seinem 20. Todestag, einen kleinen Erinnerungsort in der Kulturfabrik eingerichtet. Es ist eine alte Schaltzentrale eines Maschinenraums, an der man sich durch sein Leben und Werk klicken kann. Ist die Schaltzentrale eine Referenz an Gundermann, den Arbeiter im Braunkohlerevier?
Auf jeden Fall, ein Gedenk- und Informationsort. Er hat seinen Job als Arbeiter ja nie aufgegeben, selbst als er als Musiker und Texter durchaus erfolgreich war.
Wie gut kannten Sie ihn persönlich?
Ich habe Maschinist gelernt und drei Jahre im Tagebau gearbeitet, wie Gundermann auch. Weil ich lieber Kulturarbeit machen wollte, bin ich in Hoyerswerda Jugendklubleiter geworden. In unserem Klub „Der Laden“ ist auch Gundermann oft aufgetreten. Als Liedermacher, aber auch in der Gesprächsreihe „Café D“, was für Donnerstag stand, aber die Funktionäre vermuteten, das stünde für Deutschland, weshalb es da schon mal Ärger gab. Es war eine spannende, lebendige Zeit in den Achtzigern in Hoyerswerda.
Gundermann war damals auch Mitglied bei Brigade Feuerstein, einem Liedertheater, das aus einem FDJ-Singeklub hervorgegangen war.
Ja, die haben moderne Geschichten mit spannenden Themen auf die Bühne gebracht. Die Texte stammten meist von Gundermann. Sie gefielen den Kulturfunktionären nicht immer, in der Bezirksstadt Cottbus hatte die Brigade Feuerstein deshalb teilweise Auftrittsverbot. Aber hier war Provinz, hier ging mehr. Fast alle, die in Hoyerswerda vor und ein paar Jahre nach der Wende in der Kultur tätig waren, sind eigentlich geprägt von den Feuersteinen.
Wie hatte sich denn die Kulturszene nach 1989 in Hoyerswerda entwickelt, gab es keinen Wendeeinbruch?
Natürlich wurde es mit der Wende sehr schwierig, weil die Klubs zuvor staatlich finanziert wurden. Und dann brach ja noch die Wirtschaft ein. Tausende Einwohner von Hoyerswerda arbeiteten im Braunkohlebergbau oder im Kombinat Schwarze Pumpe hier nebenan. Als das dichtgemacht wurde, herrschte von einem Tag auf den anderen Massenarbeitslosigkeit, die Leute erlebten einen völlig freien Fall, Kapitalismus pur. Es gab keine Zukunft hier. Aus Bayern kamen Busse, die die Leute zur Arbeit abholten, nicht als Pendler, sondern für immer. In dieser Situation passierten ja auch die rassistischen Übergriffe auf Vertragsarbeiter- und Flüchtlingsheime 1991. Damals hatte der Staat völlig versagt, um die Flüchtlinge zu schützen, was die rechte Szene natürlich ermutigte, hier Flagge zu zeigen. Die Rechten dominierten die Stadt und für uns stellte sich die Frage: Wer ist als Nächster dran? Es gab mehrere Überfälle, die Leute hatten Angst herzukommen, der „Laden“ stand fast vorm Aus. Gundermann hielt uns damals die Treue. Eine der ersten Veranstaltungen nach den Ausschreitungen war ein Konzert von ihm. 1994 ist aus dem „Laden“ dann der Kufa e. V. hervorgegangen, in dem Gundermann auch Vereinsmitglied wurde. 1997 hat er das Liederfestival mit ins Leben gerufen. Und als er bald darauf starb, fand hier die Trauerfeier statt.
Welche Bedeutung hat Gundermann für die Stadt 25 Jahre nach seinem Tod?
Offenbar nicht so eine große wie für viele Menschen außerhalb. Hoyerswerda hat wie gesagt ein sehr ambivalentes Verhältnis zu ihm. Man könnte es vergleichen mit dem Propheten, der im eigenen Lande wenig gilt. Wenn wir als Verein sein Schaffen gewürdigt haben, bekamen wir leider schon mal negatives Feedback. Das hat auch mit der Parteienlandschaft zu tun. Insbesondere die AfD, aber manchmal auch die CDU-Vertreter in der Stadtversammlung haben Gundermann vor allem auf seine frühe Zeit als Stasispitzel reduziert. Das ging so weit, dass es vor paar Jahren hieß, man sollte dem Kufa e. V. die Fördermittel streichen. Diese geringe Würdigung von Gundermann können Besucher von außerhalb oft nicht nachvollziehen.
Woran merken Sie das?
In Nordheim, auf der Westseite des Harzes, gab es 2022 ein Gundermann-Jahr mit 30 Veranstaltungen: Filme, Lesungen, Konzerte. Es war ein hervorragender west-ostdeutscher Kulturaustausch. Als uns einige Nordheimer besucht haben, gab es auch eine Gesprächsrunde mit dem Stadtrat und dem Bürgermeister. Dabei ging es auch um die Bestrebungen einer hiesigen Oberschule, sich den Namen Gundermann zu geben. Dahinter stand die Idee, dass sich über seine Person viel vermitteln lässt über die DDR, über Wendeerfahrungen und das Festhalten an einer individuellen Haltung, was bei Gundermann extrem ausgeprägt war. Der Direktorin der Schule schwebte eine echte Auseinandersetzung mit der vielschichtigen Person Gundermann vor, mit sehr durchdachten Projekten. Als ein Stadtrat von der CDU in der Runde mit den Gästen vehement verkündete, so einen Schulnamen auf jeden Fall zu verhindern, sind die Nordheimer regelrecht in Rage geraten. Das war eine unglaublich spannende Diskussion.
Gundermann war als überzeugter Kommunist ein paar Jahre Stasi-IM, schied dann freiwillig aus und geriet selbst in den Fokus des Ministeriums für Staatssicherheit wegen seiner kompromisslosen Meinung über die Fehlentwicklung des DDR-Sozialismus. Diese Ambivalenz von Gundermann spielt keine Rolle in der Bewertung seiner Person?
Es geht oft nur um den IM, selten um den kompromisslosen Künstler. Mit dem Künstler müsste man sich ja beschäftigen, mit seinen Liedern und Theaterstücken, in denen sich eine tiefe Menschlichkeit und Heimatverbundenheit ausdrückt. Es gibt wie so oft eine Schwarz-Weiß-Malerei ohne Graustufen. Das kennen wir ja auch von früher aus der Diskussion um Christa Wolf. Inzwischen hat sich das aber etwas geändert.
Wodurch?
Das hat mit dem Film „Gundermann“ von Andreas Dresen zu tun und auch mit der neu besetzten Stadtverwaltung unter dem SPD-Oberbürgermeister. Es existiert eine größere Offenheit und Aufgeschlossenheit. Es wird stärker erkannt, dass man das Thema Gundermann nicht unter den Tisch fallen lassen kann, ja, dass er sogar ein Aushängeschild ist. Welche Stadt hat schon einen Musiker, der ihr drei Hymnen geschrieben hat!? Es kommen Touristen extra wegen ihm hierher und es gibt Anfragen von außerhalb an die Stadtverwaltung: Warum habt ihr denn hier keine Gundermann-Straße?
Die gibt es nicht, aber eine Gundermann-Plaza, direkt vor der Kulturfabrik!
Das Schild habe ich eigenmächtig aufgestellt. Es gibt ansonsten keinen Platz und keine Straße, die an ihn erinnert. Vor fünf Jahren habe ich bei der Stadt einen Antrag gestellt, dass im Stadtraum Schilder auf die Gundermann-Schaltzentrale in unserem Haus hinweisen, das wird jetzt immerhin umgesetzt.
Das ist der Touchscreen im Stile einer Maschinenleitzentrale, auf dem man sich durch das Leben und Werk Gundermanns klicken kann.
Ja, Vorbild war ein Schaltpult in der Energiefabrik Knappenrode, welches wir nachgebaut haben. Wenn Besucher davor stehen, frage ich die oft, woher sie kommen. Es sind Leute aus dem ganzen Land, viele ehemalige DDRler, aber auch viele aus dem Westen, die vom Dresen-Film angeregt wurden und auch durch das Buch „Kinder von Hoy“ von Grit Lemke. Die einen interessiert Gundermann aufgrund ihrer eigenen DDR-Vergangenheit, die Westler sind durch ihn neugierig auf den Osten geworden und sagen, sie würden den jetzt besser verstehen.
Gundermann trägt quasi posthum zur Ost-West-Verständigung bei und zur Reflektion der Ostler, einschließlich der Hoyerswerdaer, auf ihre eigene Vergangenheit?
Könnte man so sagen. Zu seinem 25. Todestag ist die Stadtverwaltung erstmals auf mich zugekommen und hat gefragt, was können wir machen. Jetzt gibt es eine Ausstellung in der Bibliothek und es wird eine Diskussionsrunde über Gundermann in der Volkshochschule geben. Beim Stadtfest wird Gundermanns Seilschaft spielen und in unserer Stadthalle wird das Staatsschauspiel Dresden mit der Gundermann-Revue „Alle oder keiner“ gastieren. Die Stadt unterstützt das finanziell. Es tut sich was.
Wächst langsam gar so was wie Stolz auf die umstrittene Persönlichkeit der Stadt?
Stolz, weiß ich nicht. Es ist eventuell doch eher der Druck von außen, der zum Umdenken führt. Man muss auch was machen, wenn alle auf ihn gucken. Aber gut, in meinem persönlichen Umfeld sind tatsächlich alle stolz auf Gundi, der ja auch Kufa-Vereinsmitglied war. Gundermann war zwar ein komplizierter Charakter, aber von seinen Grundgedanken her extrem nach vorn gerichtet. Er hatte Visionen und vertrat immer eine klare Haltung, egal wie viele Probleme sie ihm – und manchmal auch anderen – brachte.
Er hielt vor der Wende nichts vom Kapitalismus und danach genauso wenig, oder?
Er war ein radikaler Kapitalismuskritiker, nicht zuletzt in der ökologischen Frage, obwohl er selbst im Braunkohletagebau arbeitete. Man könnte ihn sogar als Vorreiter für Fridays for Future sehen. Er litt ja selbst darunter, dass die sorbischen Dörfer weggebaggert wurden. Gerade deshalb waren seine Songs sehr poetische Heimatlieder, die bis heute gleichermaßen in Ost und West funktionieren. Inzwischen legendär ist ja die Fanszene in Tübingen, seit Heiner Kondschak, damals künstlerischer Leiter des Kinder- und Jugendtheaters des Landestheaters Tübingen, vor über zwei Jahrzehnten zufällig Gundermann für sich entdeckt hatte. Mit Schauspielern, Technikern und anderen Theaterleuten stellte er die Randgruppencombo zusammen, die regelmäßig im Tübinger Landestheater auftrat und auch im Berliner Postbahnhof. Das war schon irre, wenn dort 3.000 Berliner mitsangen „Hoywoy, wir sind dir treu“. Ein unglaubliches Erlebnis. Heute werden überall seine Lieder gespielt.
Ein Dresdner Musiker sieht auch so starke Parallelen zwischen den Liedern von Gundermann und Rio Reiser, dass er sie zu einem Programm verband. Die Idee war ihm an der Schaltzentrale gekommen.
Das ist doch toll. Ich fühle mich nicht zuständig, seinen Geist weiterzugeben, wir pflegen einfach nur sein Erbe, aber ich freue mich natürlich, wenn sich Künstler inspiriert fühlen. Jeder, der sich für Gundermann interessiert, ist bei uns willkommen.
Eine wirklich sehr charmante Idee finde ich, dass seine Lieder auch von einem Bürgerchor Hoyerswerda gesungen werden. Wer kam denn auf diesen Einfall?
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Die Idee hatte ich, als wir 2015 Gundermanns 60. Geburtstag begingen. Ich fand, dass es doch mal toll wäre, seine Lieder von einem Chor singen zu lassen. Ob das überhaupt funktioniert. Mit André Bischof fand ich einen Musiker, der bei einem Jubiläumsauftritt der Brigade Feuerstein hier in der Kufa Keyboard spielte und der sofort bereit war, das auszuprobieren. Wir haben dann einen Aufruf gestartet und mit vielleicht zehn Interessierten gerechnet, aber dann kamen 60 Leute. Phänomenal. Es gibt eben so viele Menschen, die zwar keine musikalischen Profis sind, seine Lieder jedoch wie Volkslieder verinnerlicht haben. Es wurde ein wunderbarer Abend. Den Chor gibt es immer noch, und er ist seitdem auch in anderen Städten der Bundesrepublik aufgetreten. Leider ist die ganz junge Generation im Chor nicht vertreten. Das spiegelt auch ein generelles Problem. Die jungen Leute aus den drei Gymnasien von Hoyerswerda verlassen natürlich nach der Schule die Stadt.
Fänden Sie es eigentlich erstrebenswert, wenn Gundermann – so wie Konrad Zuse – zum Ehrenbürger der Stadt würde?
Ach, das ist mir ziemlich wurscht. Ich habe ihn einfach als Musiker und als prägende Persönlichkeit in meinem Herzen.
Was ist Ihr Lieblingssong von Gundermann?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung