Die Wahrheit: Lyrisches Ich mit dicken Titten

Till Lindemann, eine junge tragische Heldin aus der „Row Zero“ und eine untragische Kolumnistin mit brüchiger Altfrauenstimme. Eine Rockoper.

Neuerdings interessiert man sich ja dafür, was eigentlich mit den Stars da überhaupt so los ist. Roger Waters entpuppt sich als antisemitische Volltröte, Till Lindemann, inzwischen über 60, sucht sich sehr junge Frauen für Backstage-Partys aus beziehungsweise lässt sie casten – und die Welt streitet nun darüber, ob das nur unappetitlich oder doch eher kriminell ist. Eine ideale Vorlage für eine Rockoper.

Die junge tragische Heldin singt aus der „Row Zero“ genannten Reihe null: „Ich habe von nichts gewusst, als ich mich zum Konzert einladen ließ!“ Der Chor der peinlichen Twitteraner antwortet aus dem Off: „Das weiß man doch – wenn man gut aussieht, für umsonst in die nullte Reihe eingeladen wird und sich sexy anziehen soll, dass man dann den Saal dann nicht ungenudelt verlassen wird. Quasi Naturgesetz, ihr dummen Tussen.“ Der Twitteraner-Chor ist weitab vom Geschehen postiert, aber laut.

Die junge Heldin weint, doch man hört sie nicht, weil Till Lindemann – bald schon 70 – ins Mikro röhrt: „Dicke Titten, dicke Titten!“ Vielleicht ist es aber auch nur sein lyrisches Ich, das einen großen Gefallen an unterkomplexem gewalttätigen Bockmist findet. Aber dafür kann er dann ja nichts, ne?

Die untragische Kolumnistin singt mit brüchiger Altfrauenstimme dazwischen: „Was ist das für ein Männerbild, ihr kleinen Metal-Pimpfe? Gepimpfert wird, was vor mir hopst, wenn’s jung ist und mit wenig an? Und falls die Nudel mal nicht will, gilt das dann eigentlich auch umgekehrt?

Werden dann die Kerle von den Frauen so lange hinter der Bühne bearbeitet, bis es doch noch klappt, weil man schließlich zumindest eine vernünftige Nummer von den Metal-Honks erwarten kann, wenn man als junge Frau einen Abend kostbarer Lebenszeit in der ‚Row Zero‘ verschwendet hat? Und weil, wenn man als Metal-Musiker in seltsamer Verkleidung auf einer Bühne vor tausenden gierigen Mädchen herumposiert, man schließlich weiß, worauf man sich einlässt, und sich nicht einfach mit Kopfschmerzen herausreden kann? Oder, haha, mit Ohrenschmerzen?“

Natürlich nicht, denn was läuft oder nicht, bestimmen die Männer. Auch die bescheuerten Frauen, die sich gelegentlich in der Rolle der Haremsverwalterin gefallen, dürfen sich allenfalls im Glanz der Macht sonnen und werden beim ersten Gegenwind fallen gelassen – im Falle Rammstein besonders kurios: Es wird behauptet, dass ja gar nichts passiert sei, aber die Frau muss gehen.

Naivität ist kein Verbrechen, schon gar keines, das mit Übergriffigkeiten von leicht ranzigen Typen bestraft werden sollte. Allerdings wäre es für Fans auch kein Fehler, erst einmal anzunehmen, dass jeder „Star“ von zu viel Geld, zu viel Drogen und zu viel Arschkriechern bis in den Boden seiner bankrotten Seele korrumpiert wurde und man keine menschenähnlichen Verhaltensweisen erwarten darf. So lange, bis das Gegenteil bewiesen ist, gilt die Verrottungsvermutung.

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Susanne Fischer schreibt Romane und Kinderbücher und arbeitet als Geschäftsführender Vorstand der Arno Schmidt Stiftung und des Deutschen Literaturfonds e.V., letzteres ehrenamtlich. (FOTO: THOMAS MÜLLER)

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kari

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