piwik no script img

Die WahrheitYoga mit Tomaten

Der Plan, 123 Jahre alt zu werden, könnte aufgehen. Aber nur, wenn entsprechende Maßnahmen durchgeführt werden, die weitreichende Folgen haben.

D ie 75-jährige Nachbarin eines Freundes stammt aus Minneapolis, der Heimatstadt von Prince. Als Referenz an den Musiker hat sie den Zwergtomaten ihrer Balkonzucht deshalb Namen von Prince-Songs gegeben – der Mann, argumentierte sie, stamme schließlich ebenfalls aus Minneapolis. Und er sei ja ähnlich klein wie ihre Pflanzen.

„Purple Rain“ ist eine in Lila gehende, etwas süßliche Frucht; „Little Red Corvette“ eine schnittige rote; „When doves cry“ heißt die Sorte, die von den Tauben im Hinterhof am meisten als Toilette benutzt wird, das ersetzt den Dünger. Die Tomatenzüchterin hält sich angeblich viel auf ihrem Balkon bei den Stauden auf, beschallt sie mit Prince-Musik und raucht dazu Joints.

Ich musste bei der Beschreibung an den Film „Under the Silver Lake“ denken, in dem Andrew Garfield einen verpeilten kalifornischen Herumhänger spielt, der auf eine verschwurbelte Reise durch mysteriöse Orte in Silver Lake, einem Stadtteil von Los Angeles, geht und am Ende bei seiner Balkonnachbarin landet, die er schon vorher beobachtet hatte. Sie ist ungefähr 70 und steht den ganzen Tag oben ohne mit einem Papagei auf der Schulter auf ihrem Balkon und besprüht liebevoll ihre Marihuanapflanzen, während Psychedelic-Musik aus dem Schlafzimmer schallt. Schade, dass ich keinen Balkon habe. Ich würde gern später so eine alte, glücklich bekiffte Nudistin mit Papagei werden.

Aber momentan steht in Frage, ob mein Plan, 123 Jahre lang zu leben („Projekt 123“), überhaupt so einfach auszuführen ist. Denn anscheinend ist mein Blutdruck etwas zu hoch. Laut dem Internet gibt es jedoch passable Methoden, um ihn dauerhaft wieder zu senken: Man soll regelmäßig Sport machen, „mediterrane Kost“ zu sich nehmen und auf Alkohol verzichten. Ich berücksichtige nur die ersten beiden Ratschläge, sie erscheinen mir am sinnvollsten – und zur „mediterranen Kost“ gehört ja eh eindeutig Wein, hallo!?

Eines meiner Streaming-Portale bietet zum Glück ein umfassendes Angebot an ständig wechselnden Mitmach-Sportvideos, die allesamt aus einem Sportstudio in Los Angeles stammen. Darin stehen meistens ein athletischer Fitnessguru oder eine achtsame Yogalehrerin in der Mitte und werden rechts und links flankiert von zwei eher durchschnittlich fit wirkenden Mitsportlern, der auf der linken Seite ist sogar recht schlapp und macht die Übungen immer nur halb oder gar nicht mit. Auf diesen Drückeberger konzentriere ich mich – meine freundlichen kalifornischen Sportkollegen bestehen nämlich darauf, dass man nur soviel macht, wie man kann.

Neulich habe ich beim „30 Minuten Core-Training zu R-’n’-B-Hits“ eigentlich nur auf der Yogamatte gelegen, das war sehr entspannend und garantiert gut für den Blutdruck. Die Vier-Mediterrane-Käse-Tiefkühlpizza danach hatte ich mir also richtig verdient. Ich hatte sogar ein paar Extra-Prince-Zwergtomaten draufgepackt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!