Schwarzwald „Tatort“: Eltern, Kinder, Splitscreen
Der neue „Tatort“ aus dem Schwarzwald ist gelungenes Drama. Er zeigt eine Familie in zwei Universen, die sich manchmal gegenseitig ins Wanken bringen.
Wenn man darüber nachdenkt, wieso sich das Schwarzwald-Duo seit seinem ersten Fall im Herbst 2017 so unwegdenkbar in die Tatort-Landschaft geschoben hat, beharrlich immer vorwärts, wie eine Endmoräne, schimmert er schnell auf, der Grund: Es liegt an Eva Löbau und Hans-Jochen Wagner, an ihrem Ermittlungsteam Franziska Tobler und Friedemann Berg – an „Franz“ und „Frieda“. Vertraut, Halbsätze reichen mitunter, ein Blick.
Sie spielen jene beiden Kripo-Leute, ohne dass dabei Papier in ihrem Mund knistert – Manfred Krug hat das so ungefähr mal über Jurek Beckers Drehbuchtexte gesagt. Aber seien wir ehrlich: Dass das überhaupt gelingen kann, das knisterfreie Reden, liegt nicht nur an den Dialogen, sondern auch an jenen, die sie aussprechen.
Das ist die große Kunst von Löbau und Wagner, dieses Realität-Simulieren: vor der TV-Kamera, in Serie, als immer wiedererkennbare Figuren, egal was sie tun. Angehörigen sagen, dass ein Kind, ein Partner ermordet wurde, sich mit Privatkram rumärgern, sich foppen, sich erzählen, was sie Neues herausgefunden haben, sich ein Croissant reichen, verkatert auf der Dienststelle auftauchen. Dass die Zeit Anfang Mai Löbau eine ganze Seite widmete – geschrieben von einer Theaterkritikerin – überrascht nicht, es war überfällig.
Diesen Sonntag also wieder Schwarzwald: „Das geheime Leben unserer Kinder“ von Autorin Astrid Ströher und Regisseur Kai Wessel geriet dabei mehr als vielschichtiges Familiendrama als ein 08/15-„Tatort“, was für ein Gewinn. Hier der verworrener werdende Alltag von Paaren – dort das komplexe Leben ihrer Kinder. Zwei Universen, nebeneinander. Und manchmal bringen sich die beiden gegenseitig ins Wanken. Wie bei Miriam Schenk (Susanne Bormann, die in den Neunzigern für Andreas Dresen selbst schon Teenies spielte) und Paul Wolf, er eine Tochter, sie einen Sohn, Zoé schon erwachsen, Benno fast-erwachsen, seit sieben Jahren eine eingespielte Familie.
„Hase“ geht zum Pfandhaus
Bis ein Freund der Kinder tot im Wehr liegt, Kopfwunde. Und Paul einen vollgebluteten Kapuzenpulli von Stiefsohn Benno in der Wäsche findet. Dann, ganz langsam, fängt alles an, auseinanderzudriften. Die Kluft wächst. Zwischen allen. Dass Regisseur Wessel dafür oft alles als Splitscreen zeigt, zwei Orte im Jetzt nebeneinander, trägt diesen Eindruck aufs hervorragendste weiter durch den Film.
Anders als Berg und Tobler, anders als die Eltern, weiß das Publikum schnell von dieser Kluft. Wer zuschaut, weiß, dass die beschaulichen Annahmen vom „Leben unserer Kinder“ nicht falscher sein könnten. Wenn einer nicht ans Telefon geht, dann nicht, weil er noch im Unterricht sitzt, mit „Handyverbot“. Wer zuschaut, weiß: Wenn Zoé in den Hörer sagt: „Ich bin noch in der Uni“, sitzt sie dabei auf dem Bett in ihrem WG-Zimmer. Wenn sie sagt, ihr Stiefbruder Benno sei sicher noch in der Schule – obwohl er Sekunden vorher noch neben ihr saß.
Irgendwann wissen es auch Berg und Tobler: Diese jungen Menschen handeln mit Kryptowährung, verticken Erbstücke beim Pfandleiher, planen Reisen, träumen von Social-Media-Karrieren. Während ihre Eltern sie „Hase“ nennen und felsenfest überzeugt sind: Ihre Kinder haben mit Drogen nichts am Hut, und Alkohol, niemals! Nette Teenies, harmlos eben. Eben.
Erst im Februar lief eine Folge mit Tobler und Berg, Löbau und Wagner. Meist sind’s zwei pro Jahr, maximal. Wird also noch eine Weile dauern bis zum nächsten Mal. Leider.
SWR-Tatort: „Das geheime Leben unserer Kinder“, Sonntag, 14.5., 20.15 Uhr, ARD und in der ARD-Mediathek
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind