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Regierungserklärung im AbgeordnetenhausSimply the Best – oder auch nicht

Der neue Regierungschef Kai Wegner (CDU) stellt die von ihm als „Das Beste für Berlin“ eingestuften Richtlinien der schwarz-roten Senatspolitik vor.

Im Abgeordnetenhaus präsentierte Regierungschef Kai Wegner (CDU) die Richtlinien seiner Politik Foto: dpa

Berlin taz | Kai Wegner versucht es auf die vereinnehmende, fast kumpelige Tour. Man solle doch zusammenarbeiten, ist vom neuen Regierungschef im Abgeordnetenhaus zu hören. Werner Graf von den nun oppositionellen Grünen und er hätten doch oft darüber geredet – „ich möchte diese Verwaltungsreform mit euch gestalten“. Es ist Wegners erste große Rede im neuen Amt, seine erste Regierungserklärung, in der er die Richtlinien seiner Politik vorstellt. Das macht ihm die Verfassung zur Pflicht, aber für Wegner ist es mehr eine Kür, den schwarz-roten Koalitionsvertrag zu präsentieren, dessen Titel auch über den Richtlinien steht: „Das Beste für Berlin“.

Verwaltung und die nötige Reform stellt Wegner als die Basis für all das Gute, Neue, Schöne dar, an dem die Koalition nach seinen Worten hart arbeiten will. Was wie eine generös ausgestreckte Hand Richtung Opposition wirken soll, ist aber unumgänglich: Ohne eine Zweidrittelmehrheit mit Stimmen von Grünen oder Linken funktionieren die dafür nötigen Verfassungsänderungen nicht. „Ja, wir brauchen euch auch“, gesteht Wegner noch zu.

Auf das ganze „Euch“ und den Bezug auf das mehrfach beschriebene zumindest bis vor der Wahl gute Verhältnis zwischen ihm und Wegner reagiert Grünen-Fraktionschef Graf durchaus reserviert. „Sie, lieber Kai Wegner …“ ist seine Formulierung. Das soll aber dem offiziellen Rahmen geschuldet und nicht etwas der Entzug des „Du“ sein, versichert ein Fraktionssprecher der taz.

In seiner rund dreiviertelstündigen Rede geht Wegner weniger ins Detail, was das „Beste für Berlin“ ganz konkret sein soll, sondern skizziert eher das große Ganze für die Stadt, in der er von Geburt an lebt. Dazu gehört für ihn auch die Feststellung: „Berlin ist eine Welt­me­tro­pole und nicht Bullerbü“. Bei den bald anstehenden Special Olympics, den Weltspielen von geistig behinderten Menschen, werde Berlin „zeigen, dass wir Großveranstaltungen können.“ Grünen-Fraktionschef Graf wird wenig später kritisieren, von der Koalition höre man „vor allem Olympia und Weltausstellung“, aber eben keine konkreten strukturellen Neuerungen.

Die seit den ersten schwarz-roten Koalitionsverhandlungen zu hörende Kritik, ein solches Bündnis sei eine Rückschrittskoalition, weist Wegner zurück: „Diese Koalition steht für Aufbruch und Entwicklung.“ Das sieht später auch SPD-Frak­tions­chef Raed Saleh so. Dabei lobt Wegner das freie Leben und Lieben in Berlin und sieht in der Liebe überhaupt „den besten Schutz gegen Hass, der auch jetzt wieder aus der rechten Ecke kommt“. Das intolerante Berlin, von dem die AfD fasele, „wird nie mein Berlin sein.“

Der Grüne Graf – auch für ihn ist es eine Premiere als Oppositionsführer – fühlt sich bei all diesen großen Linien an Überheblichkeit von Fußballbundesligisten wie Hertha BSC erinnert, sein wie Wegners Lieblingsverein. Doch während man dort offenbar wieder Bodenhaftung gefunden hat, „ist es bei Schwarz-Rot genau anders herum“. Von großen Bauprojekten sei die Rede, von vielen neuen Wohnungen, einem Klima-Sondervermögen und einem erneuten 29-Euro-Ticket – „ich gebe zu, schöne Zahlen in die Welt zu stellen, das können Sie“.

Graf zitiert dazu, was SPD-Fraktionschef Raed Saleh an gleicher Stelle mal über eine CDU-Rede sagte, als er noch mit Grünen und Linkspartei regierte: „In 80 Phrasen um die Welt“. Das beschreibt für Graf auch die gerade gehörten Richtlinien der Politik am besten. Bei der Linksfraktion arbeitet man sich weniger an den Richtlinien, sondern an der Wahl Wegners und an einer 800.000-Euro-Spende für die CDU ab. Für Fraktionschefin Anne Helm steht zudem genau wie für Graf weiter im Raum, dass Wegner bei seiner geheimen Wahl am 27. April Stimmen von der AfD brauchte, um Regierungschef zu werden.

Grüne und Linke kritisieren auch die SPD, bis vor Kurzem ihr Koalitionspartner. Rücknahme des Mietenstopps und Mieterhöhungen als angebliche sozialdemokratische Handschrift? „Es muss nicht alles kostenlos sein, aber für alle bezahlbar sollte es schon sein“, sagt Graf.

Am Rande der Besuchertribüne hat sich auch ein früherer Boss der CDU Wegners Rede angehört, auch wenn er weder Regierungschef noch Parteivorsitzender war. Klaus-Rüdiger Landowsky, langjähriger CDU-Fraktionschef, dessen politische Karriere im Bankenskandal 2001 endete, ist nach dem vorangehenden Festakt zum Parlamentseinzug vor 30 Jahren noch da geblieben, um sich Wegners Rede anzuhören. Landowsky hatte sich ablehnend geäußert, als Wegner 2019 den CDU-Vorsitz übernahm: Der sei „für dieses Amt zu klein“. Vier Jahre später lobt er an diesem Donnerstag gegenüber der taz Wegners Auftritt: „Der hat sich gut entwickelt.“

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