Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel: Dünn, aber gehaltvoll
Nach neun Monate Pause ist der „Lichtblick“ wieder erschienen. Deutschlands einzige unzensierte Gefangenenzeitschrift hat eine neue Redaktion.
Vor einem knappen Monat hat die neue Redaktion ihre Arbeit aufgenommen, ein richtiger Alltag ist aber noch nicht eingekehrt. Immerhin: Die erste Lichtblick-Ausgabe seit dem Bruch ist jetzt da. Am vergangenen Mittwoch wurden rund 7.500 Exemplare in Tegel angeliefert. „Stunde Null. Das Warten hat ein Ende“, steht auf dem weißen Cover des schlanken, nur 30 Seiten umfassenden Heftes.
Inhaltlich und optisch dokumentiert es einen Neuanfang. An die Abonnenten ausgeliefert werden konnte die Zeitung bislang allerdings noch nicht. Es gibt Probleme mit der Etikettierung, auch andere wichtige Daten seien seit der Beschlagnahmung der alten Rechner durch Kripo und Staatsanwaltschaft verloren gegangen, heißt es.
Seit 55 Jahren wird der Lichtblick in Tegel von Gefangenen gemacht. Er erscheint viermal im Jahr bundesweit; nicht nur Inhaftierte lesen das Blatt. In der deutschen Gefängnislandschaft ist die unzensierte Zeitung ein Unikat. Weil einer der früheren Redakteure die Technik des Lichtblick zur Begehung von betrügerischen Geschäfte missbraucht haben soll, war die Redaktion am 31. August 2022 aufgelöst worden.
taz-Panter Stiftung hilft
Im Oktober 2022 hatte die taz Panter Stiftung ein Hilferuf des unabhängigen Berliner Vollzugsbeirats erreicht, beim Aufbau einer neuen Redaktion zu helfen. Die Tegeler Anstaltsleitung – auch ihr ist am Fortbestand der Zeitung gelegen – griff das Angebot der taz Panter Stiftung dankbar auf. Bis Ende März zeigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der taz einer Gruppe von interessierten Gefangenen, wie man eine Zeitung macht.
Von sieben Teilnehmern, die bis zum Schluss des Workshops dabei waren, wurden nun vier zu Redakteuren ernannt. Von Anfang an war klar, dass die Anstaltsleitung bei der Entscheidung das letzte Wort haben würde. Zu den drei Gefangenen, die abgelehnt worden waren, gehören zwei Insassen, die in Sicherheitsverwahrung untergebracht sind.
Am Freitag fand in der JVA Tegel ein Abschiedstreffen zwischen Workshopteilnehmern und taz-Redakeuren statt. Die abgelehnten Sicherungsverwahrten kommentierten die Entscheidung der Anstaltsleitung dabei mit Enttäuschung und Unverständnis. Was die Beweggründe der Anstaltsleitung waren, wissen indes nur die Gefangenen selbst. Es fällt unter den Schutz der Privatsphäre und wurde von der Anstalt nicht öffentlich bekannt gemacht.
Die vier Neuen des Lichtblick heißen Peter M., Steffen K., Adrian U. und Michael H. Bei dem Treffen am Freitag zeigten sie sich gut gelaunt. Zwischen 33 und 62 Jahre alt ist das Team, das von sich sagt, man sei schon gut zusammengewachsen.
Auf dem Tisch in der Teilanstalt II, wo das Treffen stattfindet, liegt die im Workshop entstandene Pilotausgabe. In Ermangelung der noch von der Staatsanwaltschaft seinerzeit noch nicht wieder herausgegebenen Technik war das Heft in der taz layoutet worden. Anders als frühere Ausgaben, die zum Teil schreiend bunt und mit ellenlangen Textriemen bestückt waren, ist das neue Heft großzügig gestaltet. Die Überschriften sind in einem warmen Grünton gehalten, Fotos wird viel Platz eingeräumt. Auch mit den Texten, informativ und gut recherchiert, werden neue Maßstäbe gesetzt.
Kein Pin-Up-Girl
Heikle Themen sind nicht ausgespart und lassen für die Zukunft hoffen. Es finden sich Berichte über die ungerechte Entlohnung im Knast, den auf TikTok veröffentlichten Protest von Tegeler Gefangenen oder über Trans*identitäten in Haft. Im Mittelteil des Heftes ist der Jahreskalender 2023 eingeheftet – ein Muss in jeder Ausgabe zu Jahresanfang. Anders als manchmal gibt es diesmal aber kein Pin-Up-Girl, das herausgenommen und an Zellenwände gehängt werden kann.
Lichtblick-Redakteure genießen innerhalb der JVA Tegel einen großen Freiraum, mit einem sogenannten Läuferausweis können sie sich weitestgehend frei bewegen. Was für Reaktionen ihnen da über die Pilotausgabe zu Ohren gekommen sind? Als Erstes sei das Heft in der Mitte aufgeblättert worden, hat Redakteur Peter M. bei Mitgefangenen beobachtet. „Dann kam der enttäuschte Ruf: Wo sind denn die Titten?“
Eine Beamtin habe nicht verstanden, dass die Geschichte über einen Therapiehund eine Glosse sei. Die Nachrufe über verstorbene Mitgefangene sei nicht so gut in der Sicherungsverwahrung angekommen, erzählen die beiden abgelehnten Gefangenen. Er habe viel Lob über das Heft vernommen, sagt Redakteur Steffen K. „Dünn, aber gehaltvoll“.
Und nun? An Ideen für die nächste Ausgabe mangele es nicht, erzählen die Redakteure. Tonnenweise Post sei gekommen, insbesondere aus anderen Haftanstalten der Bundesrepublik. Der Lichtblick sei Adressat für alle Katastrophen und Probleme in den Gefängnissen.
Die hohe Kunst sei zu sortieren, auch im direkten Gespräch, sagt Peter M. Nicht alles, was behauptet werde, habe Gehalt. „Nicht jeder Leserbrief wird gleich zum Leitartikel“. Noch nie hätten sie in Briefen von so vielen Nazi- und Diktatorenvergleichen, bezogen auf Justizbedienstete, gelesen.
Die Redaktion befindet sich in zwei Zellen, die durch einen Durchbruch verbunden sind. Anders als früher sitzt man sich jetzt an den Schreibtischen gegenüber. „Wir wollen transparent sein und nicht mit dem Rücken zueinander sitzen“, sagt Michael H. Auch auf Besucher der Redaktion wirke das offener.
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