Joggen gehen und nachdenken: So schön lost and alone

Unser Autor mag es, sich in Innenräumen aufzuhalten - aber noch lieber, draußen zu sein. Beim Joggen denkt er über Romane nach und hat dabei Erkenntnisse.

Landschaft am See mit blauem Hintergrund

Durch ruhige Landschaften joggen und nachdenken über Schnee, Schnaps, Schäbigkeit und Schönheit Foto: Patrick Pleul/dpa

Bibliotheken, Theater, Küchen, das Alleinsein am Schreibtisch und ziemlich oft sogar meine Redaktion – das alles gefällt mir sehr. Am liebsten aber bin ich doch draußen. Und wenn ich draußen bin, dann will ich auch was mitbekommen: das süße Ningeln der Nachtigallen, die hektischen Rufe der Hundeleute, das hysterische Hupen der Autofahrer und nicht zuletzt das, was sich in meinem Kopf abspielt.

Ich würde beim Joggen also nie auch noch so coole Musik hören, wie etwa der neue Berliner Kultursenator (DMX: X Gon’ Give It To Ya – das Video dazu handelt von einem illegalen Straßenrennen) oder intime Telefongespräche führen – dafür wurde ja auch extra der Handybereich in den Zügen der Deutschen Bahn eingerichtet.

Ich jogge, wie ein Bauer sein Land abgeht, und wenn ich anhalte, um meine Altersübungen zu machen, dann eingedenk des Lyrikers Billy Collins: Der zitierte kürzlich im New Yorker Samuel Beckett („'A ray of sunshine and a free bench’ – what more can you ask?“) und konstatierte angesichts zahlreicher, in ihre Smartphones versunkener Studierender: „They’re afraid of being alone. But, if you can’t be lost and alone, how can you find inspiration?“

Schnee, Schnaps, Schäbigkeit und Schönheit

Wo der Schriftsteller Sven Heuchert seine Inspiration hernimmt, weiß ich ein bisschen, ich war mit ihm schon in seinen rheinischen Revieren unterwegs. Es sind Gegenden, wo Stadt und Land ineinanderwogen, wo der Hase an Getränke Hoffmann heranhoppelt.

Gerade hat Heuchert einen neuen Roman rausgebracht, „Das Gewicht des Ganzen“, für den er sich eine andere Qualität von Weite ausgesucht hat, Kanada, wo ich noch nie war. Ich habe das Buch trotzdem an drei Abenden weggezogen. Es hat mich beruhigt. Ich würde es eine Idylle nennen, gemacht aus Schnee, Schnaps, Schäbigkeit und Schönheit, lauter Dinge, die mich anziehen.

Was „Das Gewicht des Ganzen“ aber in diesem Text zu suchen hat, ist die Tatsache, dass ich dachte: Wie Heuchert die Natur in Sprache bringt als einerseits ja nur vorhanden, weil wir sie ansehen, und gleichzeitig als das uns Entgegengesetzte, das uns gnadenlos Verzehrende – das würde ich mir, gut vorgelesen, bei meinen Laufpartien anhören. Weil es einen Bezug hätte zu dem, was ich beim Laufen suche.

Noch besser liefe das Buch beim Autofahren rein, bei einer langen nächtlichen Überlandfahrt. Es ist eher episch als dramatisch. Es gibt Geschichten und sogar Geschichte, aber die Vorkommnisse stehen nicht im Vordergrund, die Landschaft ist so weit und breit und der Himmel so hoch, dass die Menschen es gar nicht schaffen, irrsinnig groß und wichtig rüberzukommen.

Was sie aber natürlich sind – und das ist dann die tiefere Erkenntnis: „Das Gewicht des Ganzen“ zeigt mir, dass ich noch nicht bereit bin für das ewige Ausatmen. Es ist, wie das Laufen, ein Luftholen nach all dem Stickigen, wohin ich aber zurückmuss, weil nur dort verhandelt wird, was mich zumindest derzeit noch mehr als alles andere interessiert.

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Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.

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