Festival für Internationale Neue Dramatik: Den Menschen zuschauen

Beklemmung im Kammerspiel: Das Festival Internationaler Neuer Dramatik an der Schaubühne Berlin begann mit Stücken, in denen die Welt begrenzt ist.

Vier Männer sitzen an einem Küchentisch

Der neue Nachbar stellt sich den Fischern von nebenan vor: „Fortress of Smiles“ von Kuro Tanino Foto: Shinsuke Sugino

Das Genre Kammerspiel erhält in der Inszenierung „Fortress of Smiles“ des japanischen Regisseurs Kuro Tanino eine sehr wortgetreue Bedeutung. Tatsächlich schaut man zwei Stunden lang in zwei heimelig ausgeleuchtete Kammern, hyperrealistisch eingerichtet, in denen gequatscht, gekocht, gegessen, verdaut und geschlafen wird.

Dem Leben da zuschauen, wo es unspektakulär ist, ohne zu dramatisieren, und doch seine Tragik zu erfassen: So könnte man den Ansatz von Kuro Taninos Stück beschreiben, der mit „Fortress of Smiles“ nach Berlin gekommen ist, eingeladen von der Schaubühne zu ihrem Festival Internationaler Neuer Dramatik, kurz FIND.

So neu scheint Taninos Zugriff freilich nicht, erinnert seine Erzählung über den Feierabend einiger Fischer in der einen Wohnung, und den Angestellten, der seine demente Mutter pflegen will, in der Nachbarwohnung doch an Franz Xaver Kroetz' „Wunschkonzert“, die textlose Beobachtung einer alleinstehenden Frau, 1973 uraufgeführt und vor zwanzig Jahren auch von Thomas Ostermeier, dem Intendanten der Schaubühne, inszeniert.

Vielleicht hat auch das zur Einladung geführt. Jahrzehnte später, und noch immer gilt es, von der Einsamkeit des Menschen zu erzählen. Sein Unglück scheint existentiell und ist doch menschengemacht.

Bekommt den Blick nicht vom Handy hoch

In „Fortress of Smiles“ haben die Leute nicht viel, mit dem sie den sozial eng begrenzten Raum ihres Alltags überwinden könnten. Die Gespräche drehen sich ums Kochen, ums Aufräumen, die neuen Nachbarn. Die drei Fischer, die dem Alkohol zusprechen, frotzeln sich und reden über Frauen mit reichlich Projektionen und wenig Erfahrung.

Der Mann, der seine Mutter pflegt, versucht, alles richtig zu machen und verschwindet dabei fast zwischen den hin und hergeräumten Kisten. Seine unglückliche Tochter bekommt den Blick nicht vom Handy hoch. In einer langen Szene in der Nacht sitzt der pflegende Sohn bei seiner Mutter und liest ein Buch, um später seiner Tochter zu gestehen, dass er von „Der alte Mann und das Meer“ nichts verstanden habe.

In der Wohnung nebendran schaut der alte Fischer, der nicht mehr hinausfahren will, in derselben Nacht einen Western und redet dann lange über die Einsamkeit des Westernhelden beim Ritt durch die Wüste. Beide Männer erzählen im Blick auf eine ihnen ferne und unverständliche Kultur mehr über sich, als ihnen bewusst ist.

Eine Stepptanzschule in der Provinz

Das Unterlaufen von dramatischer Spannung, das sich Verhakeln im Kleinklein des Alltags, verbindet das Stück aus Japan mit „House of Dance“, geschrieben und an der Schaubühne inszeniert von der New Yorker Autorin und Regisseurin Tina Sattler. Sie zeigte bei FIND im vergangenen Jahr „Is this a room“, ein dokumentarisches Stück, angelehnt an das Protokoll eines FBI-Verhörs mit der Whistleblowerin Reality Winner.

Dass die Schaubühne das Festival nutzt, internationale Kontakte zu knüpfen und Künst­le­r:in­nen dann auch einzuladen, an ihrem Haus zu inszenieren, ist eine bereichernde Strategie. Doch die Entscheidung für Sattlers Stück „House of Dance“, mit dem FIND diesmal eröffnete, ist trotzdem etwas rätselhaft.

Schauplatz ist eine Stepptanzschule irgendwo in der Provinz. Hier ist jede Stunde mit dem Traum vom Aufbruch verbunden. Für die Anfängerin, die sich auf einen lokalen Wettbewerb vorbereiten will, ebenso wie für ihren Lehrer, der in alten Kostümen wühlend seinen vergangenen Träumen begegnet. Eigentlich ist das eine schöne Vorlage für Skizzen über Sehnsucht, Träume und ihr allmähliches Verblassen.

Nur hat die Inszenierung es kaum vermocht, ihren Figuren fassbare Konturen zu geben. Die Stepptanzübungen geben der Erzählung eigentlich einen Rhythmus vor, teils lehnen sich die Episoden auch an an den Versuch, mit Tanzschritten eine Geschichte zu bauen. Aber am Ende hat man als Zuschauer das Gefühl, mit ebenso leeren Händen herauszukommen wie Schülerin und Tanzlehrer.

Sie sind wohl Fans von Quentin Tarantino

Es kommen noch spannend klingende Projekte zum diesjährigen Festival, darunter ein Stück aus Teheran, das in einer privaten Mädchenschule spielt. Eine Rückschau ist der New Yorker Wooster Group gewidmet.

Die Stücke der ersten Festivaltage aber waren eher seltsam. Wie „Burnt Toast“ von Susi Wang, einer Theatergruppe aus Oslo, mutmaßlich Fans von Quentin Tarantino, Splatter- und Horrorfilmen, aber auch belesen in den Mythen der Antike, deren Götter und Helden ja gelegentlich auch ihre eigenen Kinder verspeisen.

Suspense mit minimalen Mitteln

Ja. Jetzt bekommt man wohlmöglich schon eine Ahnung, dass es irgendwann ziemlich blutig und ziemlich gruselig in „Burnt Toast“ zugeht. Aber alles ist inszeniert in einer exquisiten Langsamkeit, und wie die ersten Dialoge zwischen einem Hotelgast und der Rezeptionistin zelebriert werden, ihre professionelle Freundlichkeit in einer kommerziellen Wellness-Welt, ist auch sehr komisch.

Der Gast, der Probleme hat, seinen Namen verständlich zu nennen, muss ihn schließlich buchstabieren, „I W A S“, was sich auch wie „Ich war“ übersetzen lässt. Da dämmert es einem schon, dass man es möglicherweise mit einem Zombie oder Vampir zu tun hat.

Auf jeden Fall hat diese Inszenierung den Zuschauer im Griff, erzeugt Suspense mit minimalen Mitteln, nutzt den Sound schlürfender Geräusche für wachsendes Entsetzen. Die Rollen von Mutter und Sohn werden ordentlich umgekrempelt – Norman Bates aus „Psycho“ lässt grüßen.

Widersprüchliche Emotionen triggern

Das Hinterhältige – oder auch Raffinierte des Erzählstils ist, dass er widersprüchliche Emotionen triggert, dass die grausamen Handlungen auch als die Anbahnung einer Liebesgeschichte gesehen werden können. Gelegentlich streifen die Dialoge Verschwörungstheorien oder Diskurse wie den über toxische Männlichkeit, aber das bleibt eher nebensächlich.

Lust auf mehr Theater? Die zu entzünden ist den ersten Tagen des Festivals, das bis 30. April geht, nicht so recht gelungen. Dabei ist FIND in seinen guten Ausgaben ein Festival, das ein Fenster in unvertraute Szenen öffnet, gerne viele Geschichten erzählt, aber auch mal befremdliche Ästhetiken einlädt. Und damit auch ein diverses Publikum anzieht. Es hilft einer Ausweitung des Blicks. Selbst wenn die Schauplätze, wie in den ersten Stücken, in sehr engen Grenzen spielen.

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